Aufstand in der Peloponnes
Vor 200 Jahren begann die Geburt der modernen griechischen Nation
Überdies gerieten Handelsrouten im östlichen Mittelmeer und finanzielle Interessen der Großmächte im osmanischen Reich in Gefahr. Auch in Frankreich, das der Allianz nicht angehörte, fühlte man sich durch die Revolution in Südosteuropa indirekt bedroht und wollte deshalb den Status quo möglichst bewahren.
Allein Großbritannien, wo der Philhellenismus tief verwurzelt war, stand den Griechen zur Seite. Premierminister George Canning (1770-1827) rief die Großmächte auf, im griechisch-türkischen Konflikt zu vermitteln. Österreich und Preußen verweigerten sich, aber Frankreich und Russland stimmten zu.
Die Schlacht von Mesolongi brachte schließlich den Höhe- und Wendepunkt des Befreiungskampfes. Die Lagunenstadt im Golf von Patras war zwischen Mai 1825 und April 1826 Schauplatz der größten Tragödie dieser Revolution. Fünftausend Bewohner, darunter viele Frauen und Kinder, erwehrten sich elf Monate lang der Belagerung durch die türkische Armee. In der Nacht zum 23. April 1826 wagten die erschöpften, halb verhungerten Griechen den Ausfall aus der belagerten Stadt. Die meisten wurden von den Türken niedergemetzelt. Andere, die in der Stadt geblieben waren, verschanzten sich im Munitionsmagazin und sprengten sich schließlich in Verzweiflung selbst in die Luft.
Auch dieses Ereignis hat der Maler Theodoros Vryzakis in einem Bild festgehalten. Das berühmte Gemälde „Der Ausfall von Messolongion“wurde auf der Pariser Weltausstellung von 1855 ausgestellt.
Das Drama von Mesolongi löste in Europa einen Sturm des Protests aus. Nun konnte man nicht länger die Augen vor den Ereignissen in Griechenland verschließen. Der Fall von Mesolongi weckte das Gewissen der Welt. Am 6. Juli 1827 schlossen die Regierungen von Großbritannien, Frankreich und Russland den Vertrag von London. Mit ihm erklärten sich die drei Mächte bereit, die Autonomie Griechenlands unter türkischer Oberhoheit zu garantieren. Doch Sultan Mahmud II. (1785-1839) in Istanbul lehnte ab – und verspielte damit die letzte Chance, seine Herrschaft über Griechenland doch noch zu retten.
Die Osmanen setzten auf die Stärke ihrer Flotte und die Unterstützung Ägyptens, das Anfang September 1827 mit Kriegsschiffen vor Navarino aufkreuzte. Die Osmanen hatten den Hafen drei Jahre zuvor mit Hilfe der ägyptischen Verbündeten zurückerobert. Sultan Mahmuds Plan war, der griechischen Revolution mit einem vernichtenden Schlag ein Ende zu machen. Doch das Vorhaben scheiterte. Am 20. Oktober 1827 fuhr eine Flotte von elf britischen, acht russischen und sieben französischen Kriegsschiffen im Golf von Navarino auf. Die Türken feuerten den ersten Schuss ab. Die Seeschlacht endete mit der Versenkung von 53 der insgesamt 82 türkischen und ägyptischen Schiffe. Das war die Wende.
Zwei Jahre lang klammerten sich die Türken noch unter großen militärischen Verlusten an die letzten Reste ihrer einstigen Provinz Hellas. Dann ging der griechische Freiheitskampf mit der Niederlage der Türken gegen die russischen Armee bei Adrianopel zu Ende. Griechenland erlangte seine Unabhängigkeit unter der Schirmherrschaft der Großmächte.
Aber auch unter ihrer Vormundschaft: Von einer Republik hatten die griechischen Revolutionäre geträumt, für sie hatten sie gekämpft. Doch die Großmächte verordnetem dem jungen Staat eine Monarchie. Als ersten Monarchen inthronisierten sie Otto von Wittelsbach (1815-1867), den erst 17 Jahre alten Sohn des graecophilen Bayernkönigs Ludwig I. In seinem Gefolge kamen nicht nur Verwaltungsbeamte und Offiziere aus München nach Athen, sondern auch deutsche und österreichische Architekten, deren klassizistische Bauten das Bild der griechischen Hauptstadt bis heute prägen.
„Ich ersehne nichts mehr als Eure Friedfertigkeit und Euren Gehorsam“, sagte König Otto I. bei seiner Ankunft in Griechenland im Januar 1833. Gehorsam? Das kam nicht gut an bei den Freiheitskämpfern. Zehn Jahre später, im September 1843, gelang es den Griechen, in einem Staatsstreich ihrem Monarchen eine Verfassung abzutrotzen. Aus der absoluten wurde eine konstitutionelle Monarchie, der König musste die Macht mit einem Parlament teilen.
Wie viele freiheitsliebende Griechen, stand auch Theodoros Kolokotronis der Regentschaft König Ottos feindselig gegenüber. Das trug ihm 1834 eine Anklage wegen Hochverrats und das Todesurteil ein. Der König begnadigte ihn zu 20 Jahren Haft, aber schon 1835 kam Kolokotronis durch eine Amnestie frei. Im Jahr darauf wurde in Athen der Grundstein des königlichen Schlosses gelegt. Das Gebäude am Syntagmaplatz, das heute Sitz des Parlaments ist, wurde von dem deutschen Architekten Friedrich von Gärtner gebaut. 1837 stiftete König Otto die erste Universität in Athen. Kolokotronis kommentierte die Gründung der Hochschule mit den weitsichtigen Worten: „Die Universität wird mit der Zeit das Schloss zerstören, aber die Kenntnisse, die die jungen Leute dort erwerben, werden dem Land mehr Nutzen bringen als unsere Heldentaten.“Die Ära der Monarchie, die dem Land von den Großmächten des 19. Jahrhunderts oktroyiert wurde, sollte in Griechenland allerdings erst 1973 zu Ende gehen.
Kolokotronis hat die Einführung der ersten Verfassung nicht mehr erlebt. Er starb sieben Monate vorher, im Februar 1843, in Athen. Damals umfasste das Königreich Griechenland nicht einmal die Hälfte des heutigen Staatsgebiets. In den folgenden 104 Jahren wuchs das Land schrittweise auf seine heutige Ausdehnung. 1864 trat Großbritannien die ionischen Inseln ab. Zwischen 1881 und 1913 mussten die Türken Thessalien, Makedonien und Kreta aufgeben. Und nach dem Zweiten Weltkrieg gab Italien 1947 die bis dahin unter seiner Verwaltung stehenden Dodekanes-Inseln an Griechenland zurück.
Der 25. März, an dem Bischof Germanos das Startsignal zum Aufstand gegen die Osmanen gab, ist in Griechenland Nationalfeiertag. Man begeht ihn traditionell mit einer großen Militärparade in Athen. In diesem Jahr sollten die Feierlichkeiten besonders prächtig ausfallen, aber die Pandemie macht Massenveranstaltungen unmöglich. Man feiert in kleinem, aber besonders prominentem Kreis. Zum Jahrestag werden in Athen Vertreter jener drei Mächte erwartet, die den Griechen in ihrem Freiheitskampf beistanden. Aus Frankreich kommt Verteidigungsministerin Florence Parly in Vertretung des Präsidenten Macron, aus London Prinz Charles und aus Moskau Ministerpräsident Michail Wladimirowitsch Mischustin.
Türkische Gäste werden nicht dabei sein. Die Beziehungen der beiden Nachbarn sind gespannt. Wirklich gut waren sie nie. Es gab zwar Ansätze zur Annäherung, etwa unter dem griechischen Premier Eleftherios Venizelos (1864-1936) und dem türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938). Sie unterschrieben 1930 einen Freundschaftsvertrag, Venizelos schlug 1934 Atatürk sogar für den Friedensnobelpreis vor. Doch die Entspannung war nicht von Dauer. Auch der NATO-Beitritt der beiden Länder 1952 konnte die Erbfeindschaft nicht überwinden. Heute verfolgt die Türkei unter ihrem Staatschef Recep Tayyip Erdogan eine immer aggressivere Außenpolitik. Im östlichen Mittelmeer macht sie Griechenland die Wirtschaftszonen und Bodenschätze streitig, in der Ägäis zieht sie den territorialen Status Dutzender Inseln in Zweifel.
Erdogan hängt neo-osmanischen Großmachtträumen nach. Er fordert eine Revision des Vertrages von Lausanne, der 1923 die Grenzen der Türkei zu Griechenland definierte. In Griechenland vermutet man dahinter türkische Gebietsansprüche. Kriegsschiffe der beiden verfeindeten Nachbarn kreuzten im vergangenen Sommer in den umstrittenen Seegebieten auf. Zeitweilig schien es, als stünden Griechen und Türken kurz vor einem Krieg.
Fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben die meisten einst verfeindeten Völker Europas zueinander gefunden. Aber zwischen Griechen und Türken gibt es auch 200 Jahre nach Beginn der griechischen Revolution keine Aussöhnung.
* Gerd Höhler ist Wort-Korrespondent in Athen
Statt der Republik eine Monarchie
Beziehungen zu den Türken bis heute gespannt