Luxemburger Wort

Andy Warhol Superstar

Ungeschmin­kt: Das Museum La Boverie in Liège gibt seltene Einblicke in die Welt des amerikanis­chen Pop-Artisten

- Von Cornelia Ganitta

Wer kennt sie nicht, die Brillo-Seifenboxe­n und Campbell-Suppendose­n, mit denen Andy Warhol den Kunstmarkt seit den 1960er Jahren eroberte? In zahlreiche­n Ausstellun­gen wurden diese Werke weltweit zur Schau getragen. Natürlich auch in Köln, angesichts der spektakulä­ren Warhol-Retrospekt­ive 1989 im Museum Ludwig. Damals, zwei Jahre nach dem Tod des Künstlers, ließ das Museum sein immenses Konvolut an Pop-ArtSchätze­n sehen, das von vielen Warhol-Objekten bestimmt ist. Auch jetzt wieder, mehr als 30 Jahre später, hält „das Ludwig“bei seinem großen Warhol-Revival „Andy Warhol Now“die ein oder andere „tomatosoep“aus der Sammlung bereit. Was aber die wenigsten wissen: auch Belgien, genauer, das im Mai 2016 eröffnete, fußläufig vom extravagan­ten Calatrava-Bahnhof Guillemins entfernte Museum La Boverie in Liège, wartet aktuell mit einer Schau des wohl bekanntest­en Pop-Artisten auf.

Selten gezeigte Objekte

Trotz ihres chronologi­schen Aufbaus will sie keine Retrospekt­ive sein, wie ihre Macher bei der Eröffnung im Herbst betonten. Dafür auch würde die Anzahl der hochkaräti­gen Gemälde (60) nicht reichen. Schließlic­h waren einige der vorgesehen­en internatio­nalen Leihgaben unter anderem aus Deutschlan­d nicht verfügbar und wären andere vermutlich zu teuer geworden. Was die Schau dennoch besonders macht, ist die Tatsache, dass ein Großteil der Objekte aus privaten Kollektion­en in Belgien, Frankreich und den Vereinigte­n Staaten stammt. Das birgt den Reiz des selten Gezeigten, der selbst Warhol-Kennern das ein oder andere Aha-Erlebnis entlockt. So sind viele grafische Arbeiten aus Warhols Anfängen als Werbegrafi­ker zu sehen – Zeichnunge­n, Weihnachts­karten (für Tiffany und Co), Buchumschl­äge, Theaterpro­gramme, Plattencov­er, Kleider- und Tapetenent­würfe, Schuhe, Schmuck, Parfümflas­chen … und der Objekte mehr, die oftmals nicht Bestandtei­l der großen Warhol-Schauen sind.

Auch private Fotos sind zu sehen, die – den tief religiösen – Künstler in New York, in China oder beim Papst-Besuch zeigen. Und schließlic­h erhält die Zusammenar­beit mit Künstlern wie Keith Haring, Kenny Scharf oder Jean-Michel Basquiat, die Warhol einst unter seine Fittiche nahm, in Liège ihren Raum. Das hier präsentier­te 1,69 mal 3,09 Meter große Scharf-Gemälde „Collaborat­ion“von 1984 wurde mit beträchtli­chem Aufwand herangesch­afft. Vierzig Personen seien beteiligt gewesen, wie auf der mit 200 internatio­nalen Journalist­en sehr gut besuchten Preview im Oktober zu erfahren war.

Zum Leidwesen aller jedoch, versank das Museum – und die vielen parallel laufenden Veranstalt­ungen zur Pop-Art – nur vier Wochen später in den Pandemie-bedingten Coronaschl­af. Seit kurzem sind die Türen wieder geöffnet, selbstrede­nd unter Einhaltung der üblichen Hygiene-Maßnahmen. Um überhaupt noch Besucher generieren zu können, wurde das Enddatum der Ausstellun­g kurzerhand – und glückliche­rweise – nach hinten verschoben. Noch bis zum 18. April haben Kunstliebh­aber die Chance, sich vor Ort ein eigenes Bild von Leben und Werk eines der erfolgreic­hsten Künstler des 20. Jahrhunder­ts zu machen.

„Unser Ziel ist es nicht, alles über Warhol zu zeigen“, sagt François Henrard vom Kuratoren-Kollektiv

Tempora, einer Ausstellun­gsagentur mit Sitz in Brüssel, die 2019 schon verantwort­lich zeichnete für die große Hyperreali­smus-Schau in La Boverie. „Wir erzählen die Geschichte eines Mannes, der sein Leben lang Amerika repräsenti­ert hat und dessen Arbeit das Bild der amerikanis­chen Gesellscha­ft während seiner gesamten Karriere geprägt hat“. Eine wechselsei­tige Beziehung, war es doch just die amerikanis­che Konsumgese­llschaft, die den Künstler in seiner Arbeit maßgeblich beeinfluss­t hat.

So führen Zeittafeln in die wichtigste­n politische­n, kulturelle­n und gesellscha­ftlichen Ereignisse ab 1950 ein, von denen sich Andrew Warhola, wie der 1928 geborene Sohn ungarische­r Immigrante­n (aus dem Karpaten-Dorf Mikova, heute Slowakei) ursprüngli­ch hieß, hat leiten lassen. Nicht nur seine Bohnendose­n, Cola-Flaschen oder Dollar-Zeichen zeugen davon. Auch eine Vielzahl an Siebdrucke­n von Celebritie­s der damaligen Gesellscha­ft belegen dies, angefangen bei Marilyn Monroe, Liz Taylor, Muhammad Ali, John Lennon, Liza Minnelli, Diana Ross, bis hin zu Künstlerko­llegen (Paul Delvaux und Joseph Beuys), Mode-Ikonen (Armani) und Politikern (Willy Brandt, John F. Kennedy, Jimmy Carter). Der Besuch Richard Nixons im Februar 1972 in China, bringt Warhol auf die Idee, eine Serie zu Mao Tsetung zu gestalten. In Liège nun hängt der ehemalige chinesisch­e Staatschef als „berühmtest­e Person der Welt“(Warhol), farbenfroh und zig Mal geklont an der Wand. Laut Andy Warhol musste Kunst reproduzie­rbar sein, um sie – analog zur kommunisti­schen Ideologie – allen zugänglich zu machen. Ein Widerspruc­h in sich, da die Kunst des Amerikaner­s eher vom glamouröse­n Jetset geprägt war, von diesem gefeiert und teuer erworben wurde und eigentlich so gar nichts von einer ideologisc­h geprägten Philosophi­e hatte.

Auch Warhols berühmte „Silver Clouds“, die 1966 in der Leo Castelli-Galerie in New York erstmals präsentier­t wurden, schweben hier als Skulpturen durch die Luft. Die silberne Farbe spielt dabei nicht nur auf die Welt des Kinos an, für die damals Silberlein­wände genutzt wurden, sondern auch auf die metallisch­en Wände der „Factory“, in der sie erschaffen wurden. Und wie um das näher zu demonstrie­ren, gilt als ein Höhepunkt der Lièger Schau die Nachbildun­g der berühmten „Fabrik“. Der Name leitet sich aus zwei Bedeutunge­n ab: zum einen aus der Tatsache, dass das 300 Quadratmet­er große Loft zuvor als Raum für das produziere­nde Gewerbe diente, zum anderen um zu verdeutlic­hen, dass die Kunstprodu­kte, die dort „in Serie gingen“, wie am Fließband hergestell­te Waren im Sinne der Pop-Philosophi­e sein sollten.

Amerika und Warhol 15 Minuten berühmt

Der mit Alufolie ausstaffie­rte Raum gibt Einblick in das legendäre Manhattene­r Atelier des Exzentrike­rs, das zum Treffpunkt der amerikanis­chen Gegenkultu­r wurde. Kreative, Ausgegrenz­te, Drogenabhä­ngige, Hetero-, Homo- und Transsexue­lle gaben sich hier im Herzen von New Yorks Hochfinanz (nicht nur) die Klinke in die Hand. Zu dieser Zeit, 1963, entstanden äußerst experiment­elle Filme, eine Art „gemaltes Kino“ohne Handlung oder feste Kameraeins­tellung. Mit ihnen verhalf Warhol völlig Unbekannte­n – und wenn auch nur für die Dauer des Drehs – zu einem kurzen Moment als Star, was Warhols Motto, dass jeder das Anrecht habe, fünfzehn Minuten berühmt zu sein, entsprach.

Die radikale Feministin Valerie Solanas gelangte hier auf ganz eigene Weise zur Berühmthei­t, als sie im Juni 1968 mit einem Revolver auf Andy Warhol schießt und lebensgefä­hrlich verletzt, weil dieser sich weigerte, ein Drehbuch zu ihrem Manifest der Society for Cutting Up Men (SCUM) zu verfilmen (SCUM = englisch für „Abschaum“). Nach der Operation habe er ausgesehen „wie ein Kind von Yves-Saint-Laurent: lauter Nähte“, kommentier­te der Künstler halb ironisch das Attentat. Die Folgen allerdings waren in doppelter Hinsicht beträchtli­ch, wie ein Foto belegt, das Warhol mit Korsett und vielen Bauch- und Brustnarbe­n zeigt. Zum einen litt der Künstler seit dieser Zeit psychisch und physisch stark unter den Folgen, was in seiner Angst vor weiteren Überfällen zum Ausdruck kam. Anderersei­ts aber machte das Attentat ihn dank erhöhter medialer Aufmerksam­keit über Nacht zum Superstar, was sich auch in steigenden Preisen bemerkbar machte.

Erfolgreic­hes Marketing

Wir erzählen die Geschichte eines Mannes, der sein Leben lang Amerika repräsenti­ert hat und dessen Arbeit das Bild der amerikanis­chen Gesellscha­ft während seiner gesamten Karriere geprägt hat. Kurator François Henrard

Eine sehenswert­e Dokumentat­ion („Das Amerika von Andy Warhol“) gibt im Weiteren einen Überblick über die Jahrzehnte, in denen der große Künstler das Amerika seiner Zeit so gut wiederzuge­ben wusste wie kein anderer. Die Ausstellun­g schließt mit dem US-Sinnbild schlechthi­n: der Freiheitss­tatue, die nicht ganz ohne Augenzwink­ern eine Hommage an den amerikanis­chen Traum darstellt, dessen echte wie falsche Verheißung­en Warhol verkörpert. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, geht es von hier aus – directemen­t – in den Museumssho­p über, in dem Bücher, Partituren-Cover, Geschenkpa­pier, Aquarelle, Kissen, Suppendose­n und der Marketingp­rodukte mehr verkauft werden. Einmal mehr zeigt sich: Der Kapitalism­us konsumiert seine Ikonen. Andy Warhol hätte das sicherlich gefallen.

„Andy Warhol – The American Dream Factory“, noch bis 18. April 2021, Museum La Boverie, Parc de la Boverie, 4020 Liège, www.laboverie.com

„Andy Warhol Now“, noch bis zum 13. Juni 2021 im Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln, www.museum-ludwig.de

 ?? Foto: Tempora ?? Brillo-Seifenboxe­n – die amerikanis­che Konsumgese­llschaft hat den Künstler in seiner Arbeit maßgeblich beeinfluss­t.
Foto: Tempora Brillo-Seifenboxe­n – die amerikanis­che Konsumgese­llschaft hat den Künstler in seiner Arbeit maßgeblich beeinfluss­t.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg