Dem Glück auf der Spur
Wissenschaftler der Universität Luxemburg versuchen vorherzusagen, was ein gelingendes Leben ausmacht
„Wenn ich gewusst hätte, dass ...“– so starten viele Sätze. Ihnen gemein ist, dass sie sich auf die Vergangenheit beziehen. Wenn ich in der Vergangenheit bereits eine spezifische Entwicklung vorausgeahnt hätte, hätte ich mich in dem einen oder anderen Bereich vielleicht anders entschieden. Soweit die Theorie. Allerdings besitzen die wenigsten Menschen eine Glaskugel für Hellseher – noch die entsprechenden Fähigkeiten.
Vorher schon wissen, was uns irgendwann einmal glücklich macht – was wie ein Traum klingt, ist Teil eines ambitionierten Projektes, das im Rahmen des „Institute for Advanced Studies“(IAS) der Universität Luxemburg durchgeführt wird. Die Sozialwissenschaftlerin Conchita d’Ambrosio und der Physiker Alexandre Tkatchenko haben sich zusammengetan, um mit Mitteln beider Fachrichtungen die Zufriedenheit der Menschen mit neuen Methoden zu messen.
Faktoren für Zufriedenheit
„Wir versuchen zu verstehen, was individuelles und soziales Wohlbefinden beeinflusst. Dazu nutzen wir datenbasierte, nichtlineare Modelle des maschinellen Lernens. Wir wollen schauen, was die bestimmenden Faktoren für Zufriedenheit sind“, so die Wissenschaftlerin. Das haben natürlich in der Vergangenheit schon viele andere Forscherteams versucht, allerdings mit einem Unterschied: die Methode. Während die meisten Wissenschaftler mit linearen Methoden arbeiten, um herauszufinden, warum sich Probanden auf Skalen von eins bis zehn bei einem bestimmten Wert positionieren, nutzen die Forscher aus Luxemburg nichtlineare Methoden.
„Aus der Literatur wissen wir, dass Menschen gerne reicher als andere sein wollen. Arbeitslosigkeit spielt eine Rolle, aber auch im Vergleich mit dem Status anderer. Wir wissen, dass Frauen durchschnittlich zufriedener mit ihrem Leben sind, aber auch gestresster, anfälliger für Depressionen. Alles das wird auf simple Weise herausgefunden. Wir können aber nicht erklären, warum Unterschiede zwischen den Menschen existieren. Daher versuchen wir besser zu machen, was bisher schon gemacht wurde“, so die Forscherin.
An dieser Stelle kommen die Kenntnisse der Physiker ins Spiel. „Die meisten Phänomene in der Natur sind nichtlinear. Man kann sie nicht als Summe linearer Faktoren darstellen, es gibt zu viele Interaktionen. In den Naturwissenschaften sind wir es gewohnt, mit nichtlinearen Modellen zu arbeiten. Eine spezielle Art der neueren Anwendung dieser Modelle basiert auf maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz (KI). Informatiker und Wissenschaftler
Alexandre Tkatchenko
haben eine große Werkzeugkiste erarbeitet, mit Anwendungen für maschinelles Lernen, die vom Alltag lernen. Man muss also das Modell nicht vorher definieren“, erklärt Alexandre Tkatchenko. Aktuell arbeitet das Team mit sozialwissenschaftlichen Daten aus Großbritannien, da dort große Datenmengen zur Verfügung stehen. „Wir nutzen sozioökonomischen Parameter wie Geschlecht oder Einkommen, um Lebenszufriedenheit vorherzusagen“, so der Physiker.
Conchita D'Ambrosio
Das klingt natürlich simpler, als es in Wahrheit ist. Denn zunächst müssen große Datenmengen vorbereitet werden, um dann mithilfe der KI analysiert zu werden. Und nicht immer ist die Datenlage vollständig. „Manchmal geben Menschen keine Antwort. Dann ist die Frage, warum sie das tun, warum wollen sie etwas nicht sagen. Wir müssen sehr vorsichtig mit den Daten umgehen“, erklärt Conchita d’Ambrosio. Doch nicht nur die Datenlage ist kompliziert. Wie will man mit generellen Aussagen die Entwicklung eines Individuums vorhersagen? Können Maschinen uns am Ende sogar sagen, was uns glücklich macht?
„Die Maschine ist die Methode, sie analysiert. Die Menschen sagen uns, ob sie glücklich sind“, so die Wissenschaftlerin. Es gelte zu bedenken, dass Menschen sich in gewisser Hinsicht zwar unterscheiden, aber auch sehr viele Gemeinsamkeiten teilten.
Auch wenn die Idee der Kooperation schon seit längerem existiert, hat das IAS den entscheidenden Finanzierungsschub gegeben – keine Selbstverständlichkeit, wie die Forscher betonen. „Für solche Projekte ist oft wenig Finanzausstattung da, denn es ist schwierig, vorher zu sagen, ob etwas dabei rauskommt.“Was genau am Ende das Gesamtergebnis der Forschung sein wird, ist also bislang unklar, erste Erkenntnisse konnten die beiden Wissenschaftler allerdings schon gewinnen. „Wir haben anhand linearer Studien aus der Vergangenheit gesehen, dass Frauen durchschnittlich zufriedener mit ihrem Leben sind. Nutzt man aber viel kompliziertere nichtlineare Modelle, wird deutlich, dass das so nicht stimmt. Da ist kein Unterschied zwischen den Geschlechtern”, erklärt die Sozialwissenschaftlerin.
Lebensqualität verbessern
Daneben haben sie bisher herausgefunden, dass die drei wichtigsten Variabeln – emotionale sowie physische Gesundheit und Familienstand – genauso wichtig sind, wie es in den bislang verwendeten linearen Modellen vermutet wird. Derzeit versucht das Team anhand von Daten Vorhersagen darüber zu treffen, wie viele Tage Menschen voraussichtlich im Krankenhaus verbringen werden.
Alle diese Vorhersagen dienen unter anderem dem Ziel, die Lebensqualität zu verbessern. „Menschen
wollen wissen, was glücklich macht. Entscheidungsträger müssen wissen, wann sie wie wo eingreifen sollten“, erklärt Conchita d’Ambrosio.
Eine Frage, bei der alle Analysen starten, sei es, allgemeingültige Regeln zu finden, wie Alexandre Tkatchenko betont. Ein zweiter Aspekt sei es dann, Sonderfälle zu identifizieren. „Wenn ich etwa Leute identifizieren will, die eine hohe Veranlagung haben, depressiv zu werden, sind das Sonderfälle in der Hinsicht, dass nicht 90 Prozent der Menschen die Veranlagung haben, sondern zehn oder 20. Wie kann ich sie identifizieren? Unsere Forschung geht auch in diese Richtung. Da ist ein Potenzial, unsere allgemeinen Modelle zu nutzen, um diese Sonderfälle zu identifizieren und zu versuchen, Variabeln zu beeinflussen, die sie gesünder oder fröhlicher machen könnten.“
Dass dabei so unterschiedliche Fachrichtungen wie Sozial- und Naturwissenschaften zusammenarbeiten, ist aus Sicht der Forscher ein Gewinn. „Es ist eine Herausforderung, aber auch eine Belohnung. Es ist einfacher für jeden, in seinem Bereich zu bleiben und zu wissen, was man in der Vergangenheit getan hat. Man weiß, wie Dinge funktionieren, man hat seine Kollegen, ist respektiert, weiß wie Dinge laufen. Aber das kann dazu führen, dass man keine neuen Entdeckungen mehr macht. Entdeckungen werden oft an Grenzen gemacht“, so der Physiker.
Aktuell stützt sich das Team neben Daten aus Großbritannien unter anderem auf Daten aus Deutschland – die Gültigkeit der Ergebnisse sei aber durchaus auch für Luxemburg gewährleistet, wie Conchita d’Ambrosio erklärt. „Unglücklicherweise haben wir kein reichhaltiges Datenset in Luxemburg. Aber wir sind hier nicht so verschieden von den Menschen in Deutschland oder Großbritannien. Der Unterschied ist vernachlässigbar.“
Auch wenn etwa die Erkenntnis darüber, dass die Unterschiede in der Zufriedenheit zwischen Männern und Frauen gar nicht so relevant sind, bereits ein spannendes Ergebnis ist, stehe man insgesamt noch ganz am Anfang. „Wir haben Zugriff auf so viele wunderbare Datenmengen. Was wir momentan nutzen, ist nicht so reichhaltig wie das, was uns noch alles zur Verfügung steht.“
Wir versuchen besser zu machen, was bisher schon gemacht wurde. Conchita D'Ambrosio