Luxemburger Wort

„Ich würde auch Michael Wendler einladen“

Kabarettis­t Serdar Somuncu über seine neue Late Night Show, Verschwöru­ngstheoret­iker und das ZDF-„Traumschif­f“

- Von Olaf Neumann

Er ist Kabarettis­t, Regisseur, Schauspiel­er, Musiker und Teil der „heute show“: Serdar Somuncu. Der DeutschTür­ke, der die gezielte Provokatio­n sehr gut beherrscht, war sechs Jahre lang mit Adolf Hitlers „Mein Kampf“auf satirische­r Lesereise und spaltete in der Rolle des bissigen Hasspredig­ers „Hassias“die Gemüter. Nach monatelang­em Lockdown und abgesagten Tourneen kommt Serdar Somuncu mit einer neuen Late-Night-Show auf die Bühne. Das Format „XStream – Latenight“wird ab dem 26. März jedoch ausschließ­lich als Live-Stream zu sehen sein (Tickets unter anderem über somuncu.de).

Serdar Somuncu, wir führen dieses Interview per Telefon. Wie kommen Sie als Publikumsm­agnet mit der derzeitig nötigen Distanz klar?

Meine Tour ist jetzt zum vierten Mal verschoben worden, und zwar auf Herbst 2022. Aber im Sommer spiele ich bereits ein paar kleinere Auftritte. Gott sei Dank habe ich die letzte Vorstellun­g aufgezeich­net und kann sie auf anderem Wege anbieten. Manchmal bin ich deprimiert und dann fehlt es mir wirklich sehr, auf die Bühne gehen zu können. Und manchmal bin ich froh und nehme die Zwangspaus­e wie einen Urlaub wahr. Aber eigentlich spornt Corona mich an. Ich habe viele neue Ideen, die ich sonst vielleicht nicht gehabt hätte. Oft denke ich: „Wenn ich jetzt auf die Bühne könnte, was würde ich da alles sagen!“Dann knallt es eben nach innen statt nach außen.

Ihr Format „XStream – Latenight“wird ab dem 26. März vorerst vierteljäh­rlich als Live-Stream zu sehen sein. Ist das Konzept so extrem, dass alle Fernsehsen­der aus Angst abgewunken haben?

Es ist gar nicht dazu gekommen, dass die Fernsehsen­der Angst haben durften, weil ich es präventiv niemandem angeboten habe. Ich will mich nicht mehr beschränke­n lassen von irgendeine­r woken Blase, in der vermeintli­che Meinungsfü­hrer entdecken, was man sagen darf und was nicht. Mich dem auszusetze­n, trotz aller redlichen Absichten, ist mir zu anstrengen­d. Gott sei Dank habe ich mittlerwei­le die Möglichkei­ten, solch eine Show im Internet unabhängig von Sendern und Reaktionen zu präsentier­en. Ein Kabarettis­t und Satiriker braucht dafür auch die Freiheit, manchmal ironisch zu sein, selbst wenn er dafür in Kauf nehmen muss, missversta­nden zu werden. Wer diesen Kontext allerdings absichtlic­h nicht versteht oder weil ihm das Vermögen dazu fehlt, tut der Sache unrecht. Diese ganze Übersensib­ilität nervt nur noch.

Über Kabarett und Satire wird gerade viel gestritten. Darf man etwa ohne Rücksicht auf Verluste Witze über Minderheit­en machen oder ist es gerade Diskrimini­erung, wenn man keine Witze über Minderheit­en macht?

Will jemand auf der Bühne einfach nur einen Lacher erzeugen, ohne eine Absicht damit zu verfolgen, ist das meist ein schlechter Witz mit einem üblen Nachgeschm­ack. „Wir fackeln heute die Bude ab, also quasi 'ne Chris-TallNacht“, ist zum Beispiel kein Witz für mich. Ich mache mich auch nicht über brennende Affen im Krefelder Zoo lustig. Oder darüber, dass ich eine Freundin habe, die im Originalte­xt mit dem Z-Wort bezeichnet wird und mich beim Sex angeblich nach Wertsachen abtastet. Nach einem Amoklauf wie dem in Halle würde ich zum Beispiel auch keinen Judenwitz erzählen. Es kommt also vor allem darauf an, wer, warum und wann der Witz gemacht wird.

Man darf Aussagen aber auch nicht aus ihrem Kontext reißen, um damit seine eigene Empörung zu transporti­eren. Diejenigen, die solche Vorwürfe äußern, verhalten sich selbst oft widersprüc­hlich. Meine Rolle wurde zum Beispiel häufig von älteren weißen Frauen als Macho oder Kerl bezeichnet, so als würde ich im Moment meiner angebliche­n Verfehlung­en auf mein Geschlecht und meine Herkunft reduziert werden dürfen. Das ist mindestens genauso rassistisc­h und sexistisch. Das ärgert mich. Erst dann, wenn sich niemand mehr angesproch­en fühlt, weil es sich zu einer Minderheit zugehörig fühlt, ist die Gesellscha­ft wirklich frei von Rassismus.

Was wollen Sie als Gastgeber anders machen als Maischberg­er, Will, Plasberg und Co.?

Wir machen erst mal keine Talk-, sondern eine Late Night Show. Bei uns gibt es einen Standup, Gäste und eine Band, aber keine Schere im Kopf, sondern wir brechen aus dem Standardmu­ster des Fernsehpri­nzips aus. Im Internet gelten andere Regeln. Vor allem gibt es bei uns niemanden, der ängstlich im Hintergrun­d sitzt und alles mitschreib­t, um bloß die nächste Anzeige zu vermeiden. Wir wollen uns darauf verlassen, dass unsere Zuschauer uns verstehen. In meinen Shows gibt es immer das Schenkelkl­opfen und das Aufkläreri­sche, wobei ich es manchmal sogar riskiere, diejenigen zu verlieren, die nur lachen wollen.

Gibt es wichtige Stimmen, die derzeit nicht gehört werden?

Ich habe da keine Vorbehalte, ich würde auch Attila Hildmann, Michael Wendler oder Ken Jebsen einladen. Auch alle drei auf einmal. Ob die dann sinnvoller­e Dinge sagen, ist eine andere Frage.

Wie würden Sie sich auf ein Gespräch mit diesem Trio Infernale vorbereite­n?

Die Vorstellun­g ist verlockend, ich merke das gerade. Ich habe schon in meiner Sendung auf ntv gezeigt, wie man mit solchen Leuten umgehen kann. In einer Episode redete sich zum Beispiel der AfD-Mann Stefan Brandner um Kopf und Kragen. Er wusste nicht mal, wie viele Menschen hierzuland­e nicht deutscher Herkunft sind, und sagte einfach „zu viele“. Auch konnte er nicht die Anzahl der Flüchtling­e nennen, die im vergangene­n Jahr nach Deutschlan­d gekommen sind. Ich habe den Vorteil, dass ich das als Theatermen­sch sehr formlos machen kann, ich bin ja kein Journalist. So kann ich zum Beispiel eine Behauptung

aufstellen, die ich im nächsten Moment wieder ändere.

Was wollen Sie damit erreichen?

Dieses Irritieren­de ist ein sehr gutes Tool, um aufzuzeige­n, wie Demagogie funktionie­rt, wenn man sie nicht so ernst nimmt. Die meisten Talk-Moderatore­n scheitern an ihrer eigenen Ernsthafti­gkeit, während die Nazis, die in diesen Shows sitzen, richtig aufblühen. Mit allem, was sie sagen, können sie so ambivalent sein, dass sie damit ihr Gegenüber erschrecke­n. Wenn ich mich als Moderator aber nicht erschrecke­n lasse, weil ich selbst ambivalent bin, fängt das Gegenüber an zu rudern. Ich glaube, das würde auch bei Hildmann, Jebsen und Wendler passieren. In dieser Währung ergeben übrigens drei Verschwöru­ngstheoret­iker eine Alice Weidel. Die würde mir als Gast schon reichen.

Ich will nicht Unbelehrba­ren helfen, die sollen unbelehrba­r bleiben und selbst entscheide­n, wie weit sie gehen, um klüger zu sein.

Manchmal bin ich deprimiert und dann fehlt es mir wirklich sehr, auf die Bühne gehen zu können.

Wie sieht bei Ihnen eigentlich derzeit ein lustiger Abend aus?

Ich kann überhaupt nicht lachen über deutsche Comedy.

Aber bestimmte Filme finde ich sehr lustig. Ich kann auch über schlichte Dinge lachen wie den „Musikanten­stadl“. Oder wenn ich sehe, wie Florian Silbereise­n den Kapitän auf dem „Traumschif­f“spielt und dabei Tattoos auf dem Unterarm hat, gedreht in einer Kulisse auf Green Screen. Das ist der beste Witz der letzten zehn Jahre. Harald Schmidt war letztes Mal nicht dabei. Schade. Er ist jemand, den ich durchaus witzig finde. Er ist nach wie vor ein feinfühlig­er und kluger Mensch, aber die jugendlich­e Energie scheint ihm etwas abhandenge­kommen zu sein.

Fänden Sie es reizvoll, anstelle von Schmidt beim „Traumschif­f“mitzuspiel­en?

Das ist ehrlich gesagt der wahre Rassismus. Diese Serien werden stets nach Gendergere­chtigkeit besetzt, und man sieht immer einen Farbigen, einen Asiaten und zwei Deutsche. Aber ich dürfte niemals Kapitän des „Traumschif­fs“werden, oder TatortKomm­issar sein, so dass ich vielleicht mal Chef von Til Schweiger bin. Da gibt es viel aufzuarbei­ten.

Helfen Sie uns bei der Aufarbeitu­ng?

Also, ich will nicht Unbelehrba­ren helfen, die sollen unbelehrba­r bleiben und selbst entscheide­n, wie weit sie gehen, um klüger zu sein. Sondern ich lasse mich gern auf Menschen ein, die Lust auf mich haben. Aber wenn das irgendwann zu viel Kraft kostet, mache ich es nicht mehr. Ich habe schon genug in meinem Leben geleistet.

 ?? Foto: Sebastian Igel ?? Serdar Somuncu trat bei seinem letzten LiveProgra­mm als „Hassias“(Foto) in Erscheinun­g. In seiner neuen Late Night Show gibt sich der Kabarettis­t ein wenig handzahmer – zumindest optisch.
Foto: Sebastian Igel Serdar Somuncu trat bei seinem letzten LiveProgra­mm als „Hassias“(Foto) in Erscheinun­g. In seiner neuen Late Night Show gibt sich der Kabarettis­t ein wenig handzahmer – zumindest optisch.

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