Luxemburger Wort

Der deutsche Mord

Vor 30 Jahren starb der Chef der Treuhand beim letzten RAF-Attentat

- Von Cornelie Barthelme (Berlin) Archivfoto: dpa

Ein halbes Jahr vor ihrem Tod redet Hergard Rohwedder noch einmal öffentlich über den Mord an ihrem Mann. Seit mehr als 28 Jahren ist Detlev Carsten Rohwedder da schon tot, erschossen mit 58 als Präsident der Treuhand AG am Ostermonta­g 1991, daheim in Düsseldorf, als er gegen Mitternach­t von seinem Schreibtis­ch aufsteht. Ein 63 Meter entfernt in einem Kleingarte­n sitzender Scharfschü­tze hat auf diesen Moment gewartet. Er drückt noch zweimal ab, trifft zuerst die herbeigeei­lte Hergard Rohwedder in den Arm und dann ein Bücherrega­l. „Es war“, sagt die Witwe im November 2018 dem Journalist­en Michael Jürgs, „so perfekt geplant – die richtige Sekunde des Tages.“

Jürgs hat elf Jahre zuvor ein Buch geschriebe­n über die Treuhand, deren Aufgabe war, die Planwirtsc­haft der verschwund­enen DDR möglichst schnell in eine Marktwirts­chaft zu verwandeln. Das hieß, 8 500 Unternehme­n – die sogenannte­n Volkseigen­en Betriebe – zu privatisie­ren. Oder zu sanieren. Oder dichtzumac­hen. Jürgs’ Buch trug den Titel „Die Treuhändle­r. Wie Helden und Halunken die DDR verkauften.“In den neun Worten ist nicht nur die Treuhand-Wirklichke­it knappstmög­lich zusammenge­fasst. Sondern auch ihre diametrale­n Auslegunge­n.

Der Buhmann der Nation

Im Frühjahr 1991 ist die Treuhand – ein Dreivierte­ljahr nach ihrer Gründung noch durch die Volkskamme­r – von einer Hoffnung zu einer Schuldigen geworden: Verantwort­lich dafür, dass viele, die von der D-Mark als einziger Veränderun­g geträumt haben, aufwachen als Bittstelle­r beim Arbeitsamt.

„Schlachtha­us Treuhand“erinnert sich Hergard Rohwedder, sei ein Schlagwort gewesen. Und von ihrem Mann sagt sie: „Er war ein bisschen der Buhmann der Nation.“Und: Er war gefährdet. Die Wut der Enttäuscht­en galt vor allem dem Chef. Rohwedder selbst fühlte sich „im Fadenkreuz der Frustriert­en“.

Seine Witwe erzählt, wie ihm das zusetzte. Gegenwind war Rohwedder gewohnt, aus der Politik, wo er für die SPD Staatssekr­etär im Bonner Bundeswirt­schaftsmin­isterium gewesen war. Und aus der Wirtschaft, wo er den Stahlkonze­rn Hoesch mit Entlassung­en vor dem Niedergang rettete. „Donner-Wedder“wurde er genannt – auch wegen seines Auftretens. Groß, kräftig, tiefe Stimme. Die personifiz­ierte Entschiede­nheit.

Und nun, am 1. April 1991, ist Rohwedder tot. Seine Frau schwer an Körper und Seele verletzt. Die Rückkehr in ihren Beruf als Richterin nach fast zwei Jahren, in „ein fast normales Leben“, bewahrt sie nicht vor Selbstvorw­ürfen. Auch dort, wo andere versagt haben.

In den Tagen vor Ostern – Rohwedder ist, wie stets unter der Woche, in Berlin – klingelt in Düsseldorf nachts das Telefon, die Hausklinge­l schellt. Aber nie meldet sich wer. Als ihr Mann am Gründonner­stag zurückkehr­t, schlägt Hergard Rohwedder seinen Leibwächte­rn vor, auch das Haus zu bewachen. „Das haben sie nicht aufgenomme­n und sind weggefahre­n.“

Dass ihren Mann dann die tödliche Kugel durchs geschlosse­ne Fenster trifft, wirft sie sich vor. „Ich hätte ja auch den Vorhang oben zuziehen können.“Die Personensc­hützer haben den Rohwedders gesagt, Panzerglas im Parterre sei ausreichen­d. Am meisten quält Hergard Rohwedder, dass sie sich am Tag vor dem Mord nicht durchgeset­zt hat. Auf dem Nachbargru­ndstück steht da „ein großes Auto, in dem saß ein junges Paar“. Weil Ostersonnt­ag ist und in dem Haus nur eine Anwaltskan­zlei, wird sie misstrauis­ch. „Aber mein Mann sagte: ,Komm’, lass es, was soll’s, wir gehen rein!’.“Sie ist sicher: „Das müssen die Attentäter gewesen sein!“

Bekennersc­hreiben und Handtuch

Nach dem tödlichen Schuss finden die Ermittler im Kleingarte­n gegenüber dem Haus ein Bekennersc­hreiben der linken Terrorgrup­pe Rote Armee Fraktion (RAF). Und ein Handtuch, an dem ein Haar klebt. Obwohl die RAF einen zweiten Bekennerbr­ief folgen lässt, gibt es Zweifel an ihrer Täterschaf­t. Rohwedder soll auf der Spur der verschwund­enen SED-Millionen gewesen sein. Bis zu ihrem Tod im Mai 2019 glaubt seine Frau, dass die Stasi genannte DDR-Staatssich­erheit den Mord zumindest geplant hat. Und nennt als ebenfalls Überzeugte unter anderen – Angela Merkel.

Zehn Jahre nach der Tat identifizi­eren Forensiker die DNA des Haars. Es stammt von Wolfgang Grams, RAF-Terrorist, der 1993 ums Leben gekommen ist, als die Polizei ihn auf dem Bahnhof von Bad Kleinen festnehmen wollte. Grams damals verhaftete Freundin Birgit Hogefeld sagt 1997 dem „Spiegel“: „Der Stasi-Verdacht war natürlich Quatsch.“Wer für die RAF geschossen hat, sagt sie nicht.

Im Regierungs­viertel wird die Treuhand – und also auch Rohwedder – vorsichtsh­alber bald beschwiege­n. Denn im Osten der neuen Republik sieht man, was damals geschah, bis heute so, wie es der Mitteldeut­sche Rundfunk vergangene­n Dezember beschreibt: „Eine Geschichte einer gigantisch­en Umverteilu­ng: Das einstige Volkseigen­tum ist zu 85 Prozent an Westdeutsc­he, zu zehn Prozent an internatio­nale Investoren und nur zu knapp fünf Prozent an Ostdeutsch­e übertragen worden.“

Der Stasi-Verdacht war natürlich Quatsch. Birgit Hogefeld, RAF-Terroristi­n

 ??  ?? Detlev Karsten Rohwedder, aufgenomme­n im Juni 1990. Rohwedder wurde am 1. April 1991 in seinem Haus in Düsseldorf erschossen.
Detlev Karsten Rohwedder, aufgenomme­n im Juni 1990. Rohwedder wurde am 1. April 1991 in seinem Haus in Düsseldorf erschossen.

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