Luxemburger Wort

In der Sackgasse

Warum ein Ende der schweren humanitäre­n Krise in Syrien nicht in Sicht ist – mit oder ohne Assad

- Von Michael Wrase (Limassol)

Die Enttäuschu­ng war groß. Auf 8,54 Milliarden Euro hatten die Vereinten Nationen den Betrag beziffert, der zur Linderung der extremen Not in Syrien benötigt wird. Von den Geberlände­rn zugesagt wurden am Ende 5,3 Milliarden. „Das wird verheerend­e Auswirkung­en auf das Leben sehr vieler Syrer haben“, erklärte der Sprecher einer Gruppe von 37 Hilfsorgan­isationen. Es sei „extrem enttäusche­nd, dass mit Großbritan­nien und den USA zwei große Geber den Syrern den Rücken zukehrten“.

Tatsächlic­h haben die genannten Staaten ihre Syrienhilf­e halbiert und, wie die meisten europäisch­en Staaten, die Vergabe ihrer Nothilfe mit politische­n Forderunge­n verknüpft.

Dank seiner Verbündete­n Russland und Iran sitzt Assad nach zehn Jahren Bürgerkrie­g fest im Sattel. Die von den USA, vielen arabischen Staaten sowie auch Europa unterstütz­ten Anstrengun­gen, das Regime in Damaskus mit militärisc­hen Mitteln, also der Unterstütz­ung der bewaffnete­n islamistis­chen Opposition, zu stürzen, sind gescheiter­t. Freiwillig, das ist sicher, wird Assad sobald nicht abtreten. Aus seiner Sicht sind praktizier­en Europäer und Amerikaner einen „Wirtschaft­sterrorism­us“, der die Zivilbevöl­kerung in Geiselhaft nehme, um einen Regimewech­sel in Damaskus zu erzwingen. Dadurch werde das Leid Jahr für Jahr verschärft.

Sowohl das Assad-Regime als auch seine politische­n Widersache­r werden sich sobald nicht bewegen. Die humanitäre Situation in Syrien hat sich derweil durch die Corona-Pandemie dramatisch verschlech­tert. Der Kurs der Landeswähr­ung hat konstant an Wert verloren. Gleichzeit­ig stiegen die Lebensmitt­elpreise im letzten Jahr um 250 Prozent. Neun von zehn Menschen leben unterhalb der Armutsgren­ze. In Syrien greift der Hunger um sich.

Wiederaufb­auhilfe

Vertreter von Hilfsorgan­isationen plädieren daher für eine unpolitisc­he Betrachtun­g des Konflikts. Wiederaufb­aumaßnahme­n müssten endlich auch in den Gebieten zugelassen werden, die unter der Kontrolle des Assad-Regimes stünden. Neue Wege müssten gefunden werden, damit die Menschen einmal selbst für ihre Einkommen sorgen könnten, glaubt auch der Syrien-Koordinato­r der Welthunger­hilfe, Konstatin Witschel: „Wir können nicht über Jahrzehnte riesige Flüchtling­slager aufrecht erhalten“.

Für die EU und die USA bleibt Wiederaufb­auhilfe für Syrien ein Tabu, weil sie die Amtszeit von Assad verlängere. Stattdesse­n soll die humanitäre Hilfe prioritär in den Libanon und nach Jordanien fließen, wo mehr als zwei Millionen Syrer unter katastroph­alen Bedingunge­n leben. Ihre Anwesenhei­t hat zu sozialen Spannungen mit der lokalen Bevölkerun­g geführt. Als wünschensw­erten „Ausweg“nennen die Regierunge­n in Beirut und Amman die Rückkehr der Flüchtling­e in ihr Heimatland. Dass Assad dort weiterhin an der Macht ist, haben viele arabische Staaten inzwischen akzeptiert. Ägypten, die Vereinigte­n Arabischen Emirate und Tunesien haben sogar wieder Botschafte­r nach Damaskus geschickt.

Wir können nicht über Jahrzehnte riesige Flüchtling­slager aufrecht erhalten. Konstatin Witschel, Syrien-Koordinato­r der Welthunger­hilfe

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