Klimakatastrophe mit Kapitalismus verhindern
Weshalb der Volkswirt Hans-Jörg Naumer für FinanceForFuture statt Fridays for Future plädiert
Spätestens seit dem Buch „Wie wir die Klimakatastrophe verhindern“von Bill Gates, das in Luxemburg in jeder Buchhandlung und in jedem Kiosk ausliegt, ist die Klimakrise wieder im Bewusstsein der Öffentlichkeit. Was kann die Welt nun tun und welchen Beitrag sollte Luxemburg leisten? Darf ich eigentlich noch nach Mallorca fliegen, wenn das nach der Pandemie wieder geht? Ja, sagt Hans-Jörg Naumer (45). Der promovierte Volkswirt leitet Global Capital Markets&Thematic Research bei Allianz Global Investors. Seine These ist: Nur mit Wachstum und Innovationen wird es gelingen, den Klimawandel aufzuhalten. Die Marktwirtschaft liefert den Schlüssel dazu.
Hans-Jörg Naumer, es gibt zwei Strategien, um die Klimakatastrophe zu verhindern: Ein Verzicht auf Wirtschaftswachstum, den die sogenannte „DeGrowth“- Bewegung fordert, oder den Einsatz neuer Technologien, wie es Bill Gates in seinem Buch vorschlägt. Was glauben Sie?
Erlauben Sie mir eine Gegenfrage: Europa trägt zwölf Prozent zum weltweiten CO2-Ausstoß bei. Was würde denn erreicht, wenn wir kein Wachstum mehr hätten? Im Weltmaßstab bestenfalls nichts, per Saldo wäre der Effekt sogar wohl eher negativ, weil unsere Innovationskraft erlahmen würde und unsere Nachfragemacht ebenso. Je stärker wir wirtschaftlich sind, desto mehr kann die Welt von unseren Technologien profitieren. Bei der CO2-Intensität sind wir Klassenbester. Über die CO2-Steuer können wir mittels Importzuschläge auf andere Märkte einwirken. Außerdem wird die Welt bis 2100 auf elf Milliarden Menschen anwachsen. Allein die Bevölkerung Afrikas wird sich mehr als verdreifachen. Kein Wachstum hieße dort, dass sich die Armut noch weiter ausbreitet. Wir brauchen nicht „DeGrowth“. Wir brauchen „GreenGrowth“.
Der Klimaschutz ist auch ein Rennen gegen die Uhr. Können wir uns angesichts des hohen Zeitdrucks auf die Erfindung neuer Technologien verlassen?
Wir haben gar keine andere Chance. Ohne Innovationen wird es nicht gehen. Aber vieles an Technologie ist ja bereits da, denken Sie an die erneuerbaren Energien und die künstliche Intelligenz. Weitere Technologien versprechen ein großes Potenzial, etwa Wasserstoff, oder auch die Einlagerungsmöglichkeiten von CO2. Hinzu kommt: Je stärker die Nachfrage, desto stärker sinken die Preise. Bei Photovoltaikmodulen sind sie ins Bodenlose gefallen, und werden weiter sinken. Zur vorhandenen Technologie muss aber auch ein entsprechender Nachfrageanstieg kommen. Tatsächlich ist hier der Druck groß und steigt weiter. Ein Schlüssel liegt bei der Bepreisung des CO2-Ausstoßes. Dies ist absolut richtig, die Umwelt muss ein Preisschild bekommen. Ein anderer Schlüssel liegt bei den Investorinnen und Investoren. Nachhaltigkeitskriterien
halten gerade Einzug in die Kapitalanlage. Weltweit haben sich bereits über 3 000 Vermögensverwalter, die ein Volumen von 103 Billionen US-Dollar managen, zur Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien verpflichtet, und üben damit gewaltigen Druck auf die Unternehmen aus. Ich nenne das FinanceForFuture.
Sie sehen die Weltwirtschaft aktuell im Übergang zu einem sechsten Kondratieff-Zyklus. Diese Zyklen beschreiben Zeitabschnitte von 40 bis 60 Jahren, die von einer bestimmten Technik dominiert werden. Was wird die sechste Welle dominieren?
Die nächste Welle wird eine grüne Welle sein – und sie hat bereits begonnen. Wir bewegen uns inmitten einer Transformation hin zum ökologischen Wirtschaften. Und das mit mehr Erfolg, als uns bewusst ist. Ein Beispiel: Die weltweiten CO2-Emissionen haben sich schon längst vom Wirtschaftswachstum
Der Marktanalyst Dr. Hans-Jörg Naumer
entkoppelt. Während die Emissionen über die vergangenen Jahre kaum noch gewachsen sind, hat die CO2-Intensität, das heißt, die Menge an CO2 je Wertschöpfung, deutlich abgenommen. Weltweit hat sie sich, verglichen mit 1960, halbiert. In Deutschland liegt sie nur noch bei rund einem Fünftel dessen, wo sie vor über 60 Jahren lag. Anders ausgedrückt: Wir leben immer besser und setzen immer weniger CO2 frei. Das ist Innovation.
Können Roboter und künstliche Intelligenz die Klimakatastrophe verhindern?
Künstlicher Intelligenz kommt eine Schlüsselrolle zu. Die Transformation zu einer nachhaltigen Ökonomie kann nur gelingen, wenn unsere Stromnetze, unsere Städte, die Logistik, ja selbst die Landwirtschaft smart werden, also intelligent vernetzt. Heute schon pflanzen Drohnen Bäume und bewässern sie passgenau, bekämpfen Schädlinge und senken so 90 Prozent des Spritzmittelbedarfs. Ich weiß von Winzern, die das an der Mosel, ganz nahe bei Luxemburg, schon anwenden. Wenn Energiequellen immer dezentraler werden, unterschiedlicher und schwankungsanfälliger vom Energieaufkommen, wenn wir Verbraucher mehr und mehr auch Produzenten werden, dann lässt sich die Energieversorgung nur mit künstlicher Intelligenz steuern.
Wie kann sich ein Land wie Luxemburg auf den neuen Kondratieff-Zyklus einstellen?
Ein Finanzplatz wie Luxemburg hat die beste Perspektive, wenn es sich bei FinanceForFuture an die Spitze der Bewegung stellt.
Wie soll ich als Individuum mit der Klimakatastrophe umgehen? Soll ich etwa aufhören, Flugreisen nach Mallorca zu machen?
Auch wenn unser Beitrag klein ist, achten meine Familie und ich darauf, möglichst wenig zu verschwenden. Die Bewahrung der Schöpfung ist uns wichtig. Warum aber soll ich auf Flugreisen verzichten? Wenn der CO2-Preis, also der Preis für die Umwelt, im Ticket enthalten ist, weiß ich, dass ich nicht auf Kosten anderer fliege. Auf Dienstreisen gehe ich heute schon klimaneutral, egal ob mit Zug oder Flieger. Das Entscheidende ist nicht der Verzicht, das Entscheidende ist, dass alles einen korrekten Preis für den Umweltverbrauch
bekommt. Dies führt unweigerlich zu einem stärker klimabewussten Verhalten und die Gelder können dann mittels Investitionen etwa in die Aufforstung für Klimaneutralität sorgen.
Was wären politisch gut gemeinte, Ihrer Ansicht nach aber falsche Entscheidungen, um den Klimawandel zu bekämpfen?
Zentralstaatliche Planung. Wir brauchen die „schöpferische Kraft der Zerstörung“. Das aber geht nur über Wettbewerb und freie Preisbildung, wobei, wie gesagt, die Umwelt ein Kostenfaktor werden muss.
Sie meinen, reale Renditen sinken erstmals in 5 000 Jahren Menschheitsgeschichte, es bilden sich Blasen. Was heißt das für einen heute 30-jährige Anleger und seine private Vermögensverwaltung?
So lange die Zentralbanken eine Politik des billigen Geldes betreiben, ist die Gefahr der Blasenbildung in der Tat erhöht. Wir sehen das schon in einigen Segmenten, etwa am Immobilienmarkt oder bei Bitcoin. Auch sind einige Aktienmärkte hoch gepreist und nehmen viel Zukunftshoffnung vorweg. Eine Anlageentscheidung muss aber das Niedrig- oder Negativzinsumfeld berücksichtigen. Dieses wird uns noch sehr lange begleiten. Es führt deshalb kein Weg an Sachwerten vorbei. Da gehören Aktien und Aktienfonds an erster Stelle mit dazu, da sie die Beteiligung an Unternehmen ermöglichen.
Ein Schlüssel liegt bei der Bepreisung des CO2Ausstoßes. Dies ist absolut richtig, die Umwelt muss ein Preisschild bekommen.