Kein Selbstläufer in Sofia
Bulgariens Wahlsieger Boiko Borissow steht vor schwieriger Aufgabe
Es war ein Wort, das den Wahltag in Bulgarien prägte wie kein anderes: Wandel. „Ich habe für Wandel und Stabilität gestimmt“, sagte etwa die Chefin der oppositionellen Sozialisten Kornelia Ninowa bei der Stimmabgabe. Und auch der Chef der oppositionellen bürgerlichen Drei-Parteien-Bewegung Demokratisches Bulgarien, Hristo Iwanow, sagte: „Wir sollten hinausgehen und für einen Wandel stimmen.“
Es sollte anders kommen: Boiko Borissows konservativ bis rechtsnationale GERB ist auch im neu gewählten Parlament in Sofia die mit Abstand stärkste Kraft. 25 Prozent schaffte sie. Das ist ein fettes Minus von fast neun Prozent. Aber daran, dass Boiko Borissow Premierminister bleibt, besteht mit diesem Resultat praktisch kein Zweifel. Eine echte Überraschung ist dagegen der Einzug der populistischen „Es gibt das Volk“des Musikers Slawi Trifonow. Sie schaffte aus dem Stand 17 Prozent und liegt damit einen Prozentpunkt vor den zuletzt konstant zweitplatzierten Sozialisten.
Einzug der Populisten
Das angesagte Referendum über seine Person hat Borissow damit klar überstanden – wenn auch mit Blessuren. Die schwerste Übung ist für ihn jetzt die Bildung einer mehrheitsfähigen Regierung. Sieben Parteien zogen in das Parlament ein. Darunter drei ausgewiesene Protestparteien. Der Chef des bisherigen Koalitionspartners der GERB, der nationalistischen WMRO, Krassimir Karakatschanow, sowie Hristo Iwanow von der DB schlossen auch Neuwahlen nicht aus.
Noch in der Wahlnacht bot Borissow aber die Bildung einer Expertenregierung an: „Ich schlage euch Frieden vor – lasst uns Experten
einsetzen und bis Dezember die Verantwortung übernehmen, die Pandemie zu bewältigen, damit es wieder aufwärts geht“, sagte Borissow in der Nacht auf Montag.
Seit dem Sommer 2020 hatte sich alles nur um Veränderung gedreht: Eine Protestbewegung hatte sich damals über das Land ausgebreitet. Im Fokus: Borissows Regierung aus GERB und den rechtsextremen Vereinigten Patrioten. Das, nachdem sichtbar geworden war, was mit Geld, Einfluss und guten Beziehungen möglich ist in Bulgarien unter dem selbst erklärten Saubermann Borissow.
Es war Hristo Iwanow, heute Chef der DB, in Person, der damals mit einer Aktion einen Nerv traf und die Protestbewegung lostrat: Er war mit einem Schlauchboot an der Schwarzmeerküste vor dem Anwesen des Geschäftsmanns und Hinterzimmer-Politikers Ahmed Dogan an Land gegangen – und von Beamten des staatlichen Sicherheitsdienstes abgeführt worden. All das vor laufenden Kameras. Laut bulgarischem Recht ist die gesamte Küste des Landes Allgemeingut. Und staatlicher Personenschutz für Ahmed Dogan ist an sich jenseits alles rechtlich Möglichen. Vor der Residenz eines reichen einflussreichen Mannes an Land zu gehen, ist also ausdrücklich erlaubt, dort dann von staatlichen Personenschützern wegen nicht mehr als eben dieser Landung mit einem Boot festgenommen zu werden, das wäre an sich ein Ding der Unmöglichkeit. Aber juristische Theorie und gelebte Realität haben in Bulgarien dann doch bisweilen recht wenig miteinander zu tun.
Es gab Massenkundgebungen, es gab neue Allianzen zwischen ganz unterschiedlichen politischen Lagern, es gab neue Ideen und Konzepte sowie neue Parteien. Die „Es gibt das Volk“(ITN) ist eine solche. Die „Demokratisches Bulgarien“auch. 2020 gab es einen Sommer, in dem sich die politische Textur des Landes substanziell verändert hat. Trotz Seuche. Trotz zunehmend repressivem Vorgehen der Regierung. Dass sich vieles verändert hat, das zeigt sich nach der Wahl. Nur eines hat die Bewegung vom vergangenen Sommer dann eben doch nicht geschafft: Mit Substanz in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen und eine echte Alternative zu bieten. Die DB, eine Allianz aus drei bürgerlichen Gruppierungen mit realitätsnahen Forderungen, schaffte gerade einmal neun Prozent, während die ITN mit populistischen Versprechen auf Platz zwei kam.
Saubermann-Image verloren
Die GERB kann sich zwar nicht erst seit dem Sommer 2020 kaum mehr als Sauberpartei verkaufen. Aber angesichts der Biografie Borissows (Kampfsportler, Leibwächter, Mafiajäger mit einer verdächtig guten Nase für das Milieu) kam das sowieso immer eher in Märchenwelten verankerten Erwartungshaltungen gleich als einer realen Einschätzung. Und mit all seiner Leibesfülle, seiner Vehemenz verkörpert Borissow vor allem eben doch eines: Stabilität, Kontinuität, Berechenbarkeit. Dinge auf die Menschen zurückgreifen in Krisen. Und diese Parameter haben am Sonntag gesiegt.
Über eines kann das Wahlergebnis nicht hinwegtäuschen: Einen in vielerlei Hinsicht ernüchternden Wahltag. Aus dem ganzen Land wurde eine äußerst niedrige Wahlbeteiligung (ausgegangen wird von rund 50 Prozent) gemeldet und bereits im Vorfeld und über den Wahltag hinweg hatte es Befürchtungen gegeben, dass die geltenden Hygiene- und QuarantäneMaßnahmen das Ergebnis maßgeblich verzerren würden.