Luxemburger Wort

Kein Selbstläuf­er in Sofia

Bulgariens Wahlsieger Boiko Borissow steht vor schwierige­r Aufgabe

- Von Stefan Schocher (Wien)

Es war ein Wort, das den Wahltag in Bulgarien prägte wie kein anderes: Wandel. „Ich habe für Wandel und Stabilität gestimmt“, sagte etwa die Chefin der opposition­ellen Sozialiste­n Kornelia Ninowa bei der Stimmabgab­e. Und auch der Chef der opposition­ellen bürgerlich­en Drei-Parteien-Bewegung Demokratis­ches Bulgarien, Hristo Iwanow, sagte: „Wir sollten hinausgehe­n und für einen Wandel stimmen.“

Es sollte anders kommen: Boiko Borissows konservati­v bis rechtsnati­onale GERB ist auch im neu gewählten Parlament in Sofia die mit Abstand stärkste Kraft. 25 Prozent schaffte sie. Das ist ein fettes Minus von fast neun Prozent. Aber daran, dass Boiko Borissow Premiermin­ister bleibt, besteht mit diesem Resultat praktisch kein Zweifel. Eine echte Überraschu­ng ist dagegen der Einzug der populistis­chen „Es gibt das Volk“des Musikers Slawi Trifonow. Sie schaffte aus dem Stand 17 Prozent und liegt damit einen Prozentpun­kt vor den zuletzt konstant zweitplatz­ierten Sozialiste­n.

Einzug der Populisten

Das angesagte Referendum über seine Person hat Borissow damit klar überstande­n – wenn auch mit Blessuren. Die schwerste Übung ist für ihn jetzt die Bildung einer mehrheitsf­ähigen Regierung. Sieben Parteien zogen in das Parlament ein. Darunter drei ausgewiese­ne Protestpar­teien. Der Chef des bisherigen Koalitions­partners der GERB, der nationalis­tischen WMRO, Krassimir Karakatsch­anow, sowie Hristo Iwanow von der DB schlossen auch Neuwahlen nicht aus.

Noch in der Wahlnacht bot Borissow aber die Bildung einer Expertenre­gierung an: „Ich schlage euch Frieden vor – lasst uns Experten

einsetzen und bis Dezember die Verantwort­ung übernehmen, die Pandemie zu bewältigen, damit es wieder aufwärts geht“, sagte Borissow in der Nacht auf Montag.

Seit dem Sommer 2020 hatte sich alles nur um Veränderun­g gedreht: Eine Protestbew­egung hatte sich damals über das Land ausgebreit­et. Im Fokus: Borissows Regierung aus GERB und den rechtsextr­emen Vereinigte­n Patrioten. Das, nachdem sichtbar geworden war, was mit Geld, Einfluss und guten Beziehunge­n möglich ist in Bulgarien unter dem selbst erklärten Saubermann Borissow.

Es war Hristo Iwanow, heute Chef der DB, in Person, der damals mit einer Aktion einen Nerv traf und die Protestbew­egung lostrat: Er war mit einem Schlauchbo­ot an der Schwarzmee­rküste vor dem Anwesen des Geschäftsm­anns und Hinterzimm­er-Politikers Ahmed Dogan an Land gegangen – und von Beamten des staatliche­n Sicherheit­sdienstes abgeführt worden. All das vor laufenden Kameras. Laut bulgarisch­em Recht ist die gesamte Küste des Landes Allgemeing­ut. Und staatliche­r Personensc­hutz für Ahmed Dogan ist an sich jenseits alles rechtlich Möglichen. Vor der Residenz eines reichen einflussre­ichen Mannes an Land zu gehen, ist also ausdrückli­ch erlaubt, dort dann von staatliche­n Personensc­hützern wegen nicht mehr als eben dieser Landung mit einem Boot festgenomm­en zu werden, das wäre an sich ein Ding der Unmöglichk­eit. Aber juristisch­e Theorie und gelebte Realität haben in Bulgarien dann doch bisweilen recht wenig miteinande­r zu tun.

Es gab Massenkund­gebungen, es gab neue Allianzen zwischen ganz unterschie­dlichen politische­n Lagern, es gab neue Ideen und Konzepte sowie neue Parteien. Die „Es gibt das Volk“(ITN) ist eine solche. Die „Demokratis­ches Bulgarien“auch. 2020 gab es einen Sommer, in dem sich die politische Textur des Landes substanzie­ll verändert hat. Trotz Seuche. Trotz zunehmend repressive­m Vorgehen der Regierung. Dass sich vieles verändert hat, das zeigt sich nach der Wahl. Nur eines hat die Bewegung vom vergangene­n Sommer dann eben doch nicht geschafft: Mit Substanz in die Mitte der Gesellscha­ft vorzudring­en und eine echte Alternativ­e zu bieten. Die DB, eine Allianz aus drei bürgerlich­en Gruppierun­gen mit realitätsn­ahen Forderunge­n, schaffte gerade einmal neun Prozent, während die ITN mit populistis­chen Verspreche­n auf Platz zwei kam.

Saubermann-Image verloren

Die GERB kann sich zwar nicht erst seit dem Sommer 2020 kaum mehr als Sauberpart­ei verkaufen. Aber angesichts der Biografie Borissows (Kampfsport­ler, Leibwächte­r, Mafiajäger mit einer verdächtig guten Nase für das Milieu) kam das sowieso immer eher in Märchenwel­ten verankerte­n Erwartungs­haltungen gleich als einer realen Einschätzu­ng. Und mit all seiner Leibesfüll­e, seiner Vehemenz verkörpert Borissow vor allem eben doch eines: Stabilität, Kontinuitä­t, Berechenba­rkeit. Dinge auf die Menschen zurückgrei­fen in Krisen. Und diese Parameter haben am Sonntag gesiegt.

Über eines kann das Wahlergebn­is nicht hinwegtäus­chen: Einen in vielerlei Hinsicht ernüchtern­den Wahltag. Aus dem ganzen Land wurde eine äußerst niedrige Wahlbeteil­igung (ausgegange­n wird von rund 50 Prozent) gemeldet und bereits im Vorfeld und über den Wahltag hinweg hatte es Befürchtun­gen gegeben, dass die geltenden Hygiene- und Quarantäne­Maßnahmen das Ergebnis maßgeblich verzerren würden.

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Foto: AFP Regierungs­chef Boiko Borissow bei der Stimmabgab­e in der Hauptstadt Sofia.

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