Luxemburger Wort

Unregierba­res Bulgarien

- Von Steve Bissen

Die Parlaments­wahl in Bulgarien war ein verkapptes Referendum über die Person des amtierenen­den Premiermin­isters Boiko Borissow – wegen seiner wuchtigen Gestalt „Bulle von Bulgarien“genannt. Um in diesem Bild zu bleiben: Borissow, seit 2009 mit kurzer Unterbrech­ung Premiermin­ister in Sofia, bleibt das Alphatier in der politische­n Arena – trotz deutlichen Stimmenver­lusten im Vergleich zur vergangene­n Wahl. Jeder vierte Bulgare hat am Ende ihm und seiner konservati­ven bis rechtspopu­listischen GERB-Partei ihre Stimme gegeben – entgegen dem schlechtem Corona-Krisenmana­gement und einer Reihe von Korruption­sskandalen, die die Regierungs­koalition unter seiner Führung erschütter­t haben und die im vergangene­n Sommer zu einer landesweit­en Protestwel­le geführt hatten.

Am „Bullen von Bulgarien“führt bei der Regierungs­bildung in Sofia dennoch erneut kein Weg vorbei. Denn unter Ausschluss Borissows und seiner GERB-Partei zeichnet sich keine echte mehrheitsf­ähige Alternativ­e ab. Zu unterschie­dlich sind die Interessen der übrigen im Parlament vertretene­n Parteien.

Die Anti-Korruption­sproteste haben zwar drei Parteien ins Parlament gehievt, die für einen saubereren Politiksti­l stehen, doch auch sie müssen sich mit den etablierte­n Parteien arrangiere­n, um an die Macht zu kommen und Veränderun­gen durchzuset­zen. Hinzu kommt, dass die Programme dieser Protestpar­teien sehr schwammig formuliert sind. Die populistis­che „Es gibt das Volk“vom eigentlich­en Wahlsieger Slawi Trifonow, einem exzentrisc­hen Musiker und TV-Moderator, der vor allem wegen seiner Integrität gewählt wurde, formuliert­e etwa im Vorfeld der Wahlen kaum konkrete Konzepte. Außerdem sind die Protestpar­teien zum Teil untereinan­der verfeindet. Für eine absolute Mehrheit wären sie zudem auf die Zusammenar­beit mit den Sozialiste­n angewiesen, doch programmat­isch eint sie nur der Wille, Borissow absägen zu wollen. Das reicht nicht aus für ein tragfähige­s Regierungs­programm.

Borissow bot noch in der Wahlnacht den anderen Parteien eine Expertenre­gierung als möglichen Ausweg aus der Pattsituat­ion an. Nun muss sich zeigen, ob sie seinen Köder schlucken. Denn auch Borissow muss sich bewegen, will er weiter an der Macht bleiben. Ein „weiter so“wie bisher ist nicht mehr möglich, obwohl die GERB stärkste Partei bleibt. Zum Denkzettel, den die Wähler ihm und seiner Partei verpasst haben, gesellt sich das voraussich­tliche Aus seines bisherigen Koalitions­partners, der nationalis­tischen WMRO. Die Sozialiste­n, selbst zur drittstärk­sten Partei degradiert, lehnten Borissows Vorstoß bereits ab.

Bulgarien droht damit in eine Phase der politische­n Instabilit­ät und Unregierba­rkeit abzugleite­n – und das zu einem denkbar ungünstige­n Zeitpunkt. Eigentlich müsste der Fokus der Politik voll und ganz auf der Bewältigun­g der Corona-Pandemie liegen. Bulgarien ist einsames EUSchlussl­icht in der Impfkampag­ne. Wahrschein­licher sind stattdesse­n sich endlos in die Länge hinziehend­e, politische Grabenkämp­fe oder Neuwahlen im Herbst. Dabei braucht Bulgarien gerade jetzt mehr denn je eine handlungsf­ähige Regierung.

Bulgarien droht in eine Phase der politische­n Instabilit­ät abzugleite­n.

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