Unregierbares Bulgarien
Die Parlamentswahl in Bulgarien war ein verkapptes Referendum über die Person des amtierenenden Premierministers Boiko Borissow – wegen seiner wuchtigen Gestalt „Bulle von Bulgarien“genannt. Um in diesem Bild zu bleiben: Borissow, seit 2009 mit kurzer Unterbrechung Premierminister in Sofia, bleibt das Alphatier in der politischen Arena – trotz deutlichen Stimmenverlusten im Vergleich zur vergangenen Wahl. Jeder vierte Bulgare hat am Ende ihm und seiner konservativen bis rechtspopulistischen GERB-Partei ihre Stimme gegeben – entgegen dem schlechtem Corona-Krisenmanagement und einer Reihe von Korruptionsskandalen, die die Regierungskoalition unter seiner Führung erschüttert haben und die im vergangenen Sommer zu einer landesweiten Protestwelle geführt hatten.
Am „Bullen von Bulgarien“führt bei der Regierungsbildung in Sofia dennoch erneut kein Weg vorbei. Denn unter Ausschluss Borissows und seiner GERB-Partei zeichnet sich keine echte mehrheitsfähige Alternative ab. Zu unterschiedlich sind die Interessen der übrigen im Parlament vertretenen Parteien.
Die Anti-Korruptionsproteste haben zwar drei Parteien ins Parlament gehievt, die für einen saubereren Politikstil stehen, doch auch sie müssen sich mit den etablierten Parteien arrangieren, um an die Macht zu kommen und Veränderungen durchzusetzen. Hinzu kommt, dass die Programme dieser Protestparteien sehr schwammig formuliert sind. Die populistische „Es gibt das Volk“vom eigentlichen Wahlsieger Slawi Trifonow, einem exzentrischen Musiker und TV-Moderator, der vor allem wegen seiner Integrität gewählt wurde, formulierte etwa im Vorfeld der Wahlen kaum konkrete Konzepte. Außerdem sind die Protestparteien zum Teil untereinander verfeindet. Für eine absolute Mehrheit wären sie zudem auf die Zusammenarbeit mit den Sozialisten angewiesen, doch programmatisch eint sie nur der Wille, Borissow absägen zu wollen. Das reicht nicht aus für ein tragfähiges Regierungsprogramm.
Borissow bot noch in der Wahlnacht den anderen Parteien eine Expertenregierung als möglichen Ausweg aus der Pattsituation an. Nun muss sich zeigen, ob sie seinen Köder schlucken. Denn auch Borissow muss sich bewegen, will er weiter an der Macht bleiben. Ein „weiter so“wie bisher ist nicht mehr möglich, obwohl die GERB stärkste Partei bleibt. Zum Denkzettel, den die Wähler ihm und seiner Partei verpasst haben, gesellt sich das voraussichtliche Aus seines bisherigen Koalitionspartners, der nationalistischen WMRO. Die Sozialisten, selbst zur drittstärksten Partei degradiert, lehnten Borissows Vorstoß bereits ab.
Bulgarien droht damit in eine Phase der politischen Instabilität und Unregierbarkeit abzugleiten – und das zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Eigentlich müsste der Fokus der Politik voll und ganz auf der Bewältigung der Corona-Pandemie liegen. Bulgarien ist einsames EUSchlusslicht in der Impfkampagne. Wahrscheinlicher sind stattdessen sich endlos in die Länge hinziehende, politische Grabenkämpfe oder Neuwahlen im Herbst. Dabei braucht Bulgarien gerade jetzt mehr denn je eine handlungsfähige Regierung.
Bulgarien droht in eine Phase der politischen Instabilität abzugleiten.