Vom Smartphone zum E-Auto
Mit Xiaomi plant der nächste große Tech-Gigant die Entwicklung eines Elektrofahrzeugs
Oft heißt es, dass Elektroautos immer mehr Smartphones auf Rädern ähneln. Dementsprechend ist die Zukunftsvision von XiaomiGründer Lei Jun nur konsequent: „In den letzten zehn Jahren haben wir sehr gute Handys gemacht. Ich bin mir sicher, dass wir auch sehr gute Autos produzieren werden“, sagte der 51-jährige Unternehmer am Dienstagabend in Peking. In grauem Sakko und weißen Sneakers sprach Lei vor vollen Zuschauerrängen mit seiner für ihn typisch motivierenden Art: Elektroautos, so sagt der studierte Informatiker, soll das letzte unternehmerische Großprojekt seines Lebens werden.
Übersättigter Markt
Zehn Milliarden RMB, rund 1,3 Milliarden Euro, wird das Pekinger Tech-Imperium dafür in einer ersten Runde investieren. Weitere Details ließ Xiaomi-Gründer Lei in seiner Rede zwar aus, doch die Börsenhändler reagierten dennoch verhalten optimistisch: Am Tag der Ankündigung stiegen die Aktien der Chinesen um immerhin sechs Prozent.
Nun ist es nicht so, dass die Branche für E-Mobilität noch auf einen weiteren Mitspieler gewartet hätte. Der Markt in der Volksrepublik ist ganz im Gegenteil durch die großzügigen Subventionen der Regierung bereits mehr als übersättigt. Der Großteil der weit über hundert zählenden Start-ups wird in den nächsten Jahren pleite gehen, noch ehe die ersten Elektroautos vom Fabrikband gegangen sind.
Doch Xiaomi hat trotz der zahlreichen Konkurrenten einen ganz entscheidenden Vorteil – nämlich einen hohen Markenwert. Im Ausland sind die Chinesen vor allem für ihre preiswerten Handys bekannt, gegen Ende 2020 stieg Xiaomi erstmals hinter Apple und Samsung zum weltweit drittgrößten Smartphone-Produzenten auf. Im Heimatmarkt bietet Xiaomi zusätzlich so ziemlich alles an, was man sich unter Tech-Spielereien vorstellen kann – von smarten Klimaanlagen über Luftbefeuchter bis hin zu Staubsauger-Robotern. Doch das Unternehmen verkauft auch Reiskocher, Laptops und Bluetooth-Lautsprecher.
Wahrscheinlich, so heißt es unter Branchen-Insidern, wird Xiaomi nicht den Weg des USMarktführers Tesla gehen und eigene Fabriken errichten. Die Produktion der Autos werden die Chinesen wohl auslagern und einem Partner überlassen, um sich voll und ganz auf die Software-Entwicklung zu konzentrieren. Weltweit hat die Regierung in Peking schon früh versucht, die Verbrennungsmotoren aus den stark verschmutzten Städten zu verbannen. Erst im März veröffentlichte die Münchner Unternehmensberatung „Roland Berger“ihren alljährlichen „E-Mobility Index“für 2021, der zum zweiten Mal in Folge von China angeführt wird – vor Deutschland und Frankreich. Jedes zweite Elektroauto fährt auf chinesischen Straßen, fast 70 Prozent der Batterieproduktion stammt aus dem Reich der Mitte. Das Ziel von Pekings Wirtschaftsplanern ist es, den Verkauf von Verbrennungsmotoren bis 2035 vollständig auslaufen zu lassen.
Der Tesla-Jäger
Chinas vielversprechendster Elektroauto-Kandidat ist ausgerechnet ein Konzern, der noch vor wenigen Monaten vor der Pleite stand: Rund 2,7 Milliarden Dollar haben chinesische Staatsunternehmen aufgebracht, um „Nio“zu retten. Dabei wird das Unternehmen mit Sitz in Shanghai von internationalen Medien nach wie vor als „Chinas Tesla-Jäger“betitelt. Sein jüngst vorgestelltes Modell „ET7“schafft es von null auf hundert in unter vier Sekunden, bis Ende nächsten Jahres möchte Nio eine Batterie mit bis zu 1 000 Kilometern Laufzeit auf den Markt bringen. Bislang hat das Unternehmen zwar noch nicht die schwarzen Zahlen erreicht, dennoch sind die in New York gehandelten Aktien 2020 um das 30-Fache gestiegen.
Ob Xiaomi mit seiner Elektroauto-Sparte ähnliches gelingt, bleibt fraglich. Doch sein Heimatmarkt bietet dem Unternehmen eine vollentwickelte Wertschöpfungskette und eine kaufkräftige Mittelschicht. Xiaomi-Gründer Lei Jun fährt bereits seit 2013 ein Elektroauto, wie er in seiner Rede am Dienstag verrät – einen Tesla.