Jugend am Abgrund
Die Serienadaption „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“zeigt die dunkle Seite der Partymetropole Berlin
Die coolste Stadt der Welt soll es sein, spannender als Paris und London, kreativer als Tokio und noch wilder als das niemals schlafende New York: Berlin ist „the place to be“– sagt man zumindest heute. Vor mehr als 40 Jahren, als Deutschland und auch die jetzige Hauptstadt noch geteilt waren, war Berlin anders. Zwar ebenfalls ein Zufluchtsort für kreative Köpfe und Aussteiger, aber weitaus schmutziger und auch verlorener.
Das muss auch Teenagerin Christiane (Jana McKinnon) erfahren, die in einem trostlosen
Bahnhof Zoo“, wird zum Bestseller – und ist Grundlage der Serie.
Auf Hochglanz poliert
Die Unterschiede zur literarischen Vorlage sind vielfältig, das Schicksal der Protagonistin weitaus dramatischer: Die echte Christiane, die bis heute mit ihrer Sucht zu kämpfen hat, leidet unter ihrem gewalttätigen Vater. Der Entzug wird verkürzt dargestellt, die Rückfälle beinahe verharmlost und ein Aufenthalt in einer Nervenklinik schlichtweg ausgeblendet.
Als grobe Fehler kann man diese dramaturgischen Anpassungen jedoch nicht werten – schließlich hielt sich auch schon der 1981 veröffentlichte Film „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“nicht exakt an die Buchvorlage.
Wenngleich die dortigen Szenen im Vergleich zur Serie weitaus zeitgemäßer wirkten.
In der Neuadaption erscheint das Berlin der 1970er-Jahre weniger bedrohlich, die Disco „Sound“gleicht einem modernen Tanztempel, das Publikum – allen voran die stets modisch gekleidete Christiane – einer Hochglanzwerbeanzeige entsprungen. Geschuldet ist diese Ausstattung womöglich dem Geschmack des heutigen Streamingpublikums: Die Welt blickt nach Berlin und erwartet Partyfeeling und Glamour, keine tristen Untergrund-Szenerien.
Geglückt ist dagegen in jedem Fall die Besetzung – auch wenn die tragischen Antihelden der Geschichte im wahren Leben weitaus jünger waren als die Darsteller:
Jana McKinnon als schöne und doch verzweifelte Christiane. Oder Lena Urzendowsky als draufgängerische Stella, die der Hauptfigur beinahe die Show stiehlt.
Der ewige Moloch
Faszinierend ist die Geschichte allemal – und verleitet dazu, tiefer in das Themenfeld einzutauchen. Das ist problemlos möglich, denn zahlreiche Dokumentationen und auch ein neues Hörbuch entführen in die erschreckende Unterwelt der heutigen Partystadt, die schon häufig im Laufe der Geschichte mehr einem Moloch denn einem Tanztempel glich.
Die acht Folgen der Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“sind ab Freitag, dem 9. April, bei Amazon Prime Video abrufbar.