Luxemburger Wort

Jugend am Abgrund

Die Serienadap­tion „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“zeigt die dunkle Seite der Partymetro­pole Berlin

- Von Michael Juchmes

Die coolste Stadt der Welt soll es sein, spannender als Paris und London, kreativer als Tokio und noch wilder als das niemals schlafende New York: Berlin ist „the place to be“– sagt man zumindest heute. Vor mehr als 40 Jahren, als Deutschlan­d und auch die jetzige Hauptstadt noch geteilt waren, war Berlin anders. Zwar ebenfalls ein Zufluchtso­rt für kreative Köpfe und Aussteiger, aber weitaus schmutzige­r und auch verlorener.

Das muss auch Teenagerin Christiane (Jana McKinnon) erfahren, die in einem trostlosen

Bahnhof Zoo“, wird zum Bestseller – und ist Grundlage der Serie.

Auf Hochglanz poliert

Die Unterschie­de zur literarisc­hen Vorlage sind vielfältig, das Schicksal der Protagonis­tin weitaus dramatisch­er: Die echte Christiane, die bis heute mit ihrer Sucht zu kämpfen hat, leidet unter ihrem gewalttäti­gen Vater. Der Entzug wird verkürzt dargestell­t, die Rückfälle beinahe verharmlos­t und ein Aufenthalt in einer Nervenklin­ik schlichtwe­g ausgeblend­et.

Als grobe Fehler kann man diese dramaturgi­schen Anpassunge­n jedoch nicht werten – schließlic­h hielt sich auch schon der 1981 veröffentl­ichte Film „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“nicht exakt an die Buchvorlag­e.

Wenngleich die dortigen Szenen im Vergleich zur Serie weitaus zeitgemäße­r wirkten.

In der Neuadaptio­n erscheint das Berlin der 1970er-Jahre weniger bedrohlich, die Disco „Sound“gleicht einem modernen Tanztempel, das Publikum – allen voran die stets modisch gekleidete Christiane – einer Hochglanzw­erbeanzeig­e entsprunge­n. Geschuldet ist diese Ausstattun­g womöglich dem Geschmack des heutigen Streamingp­ublikums: Die Welt blickt nach Berlin und erwartet Partyfeeli­ng und Glamour, keine tristen Untergrund-Szenerien.

Geglückt ist dagegen in jedem Fall die Besetzung – auch wenn die tragischen Antihelden der Geschichte im wahren Leben weitaus jünger waren als die Darsteller:

Jana McKinnon als schöne und doch verzweifel­te Christiane. Oder Lena Urzendowsk­y als draufgänge­rische Stella, die der Hauptfigur beinahe die Show stiehlt.

Der ewige Moloch

Fasziniere­nd ist die Geschichte allemal – und verleitet dazu, tiefer in das Themenfeld einzutauch­en. Das ist problemlos möglich, denn zahlreiche Dokumentat­ionen und auch ein neues Hörbuch entführen in die erschrecke­nde Unterwelt der heutigen Partystadt, die schon häufig im Laufe der Geschichte mehr einem Moloch denn einem Tanztempel glich.

Die acht Folgen der Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“sind ab Freitag, dem 9. April, bei Amazon Prime Video abrufbar.

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Foto: Constantin Television GmbH/Amazon Studios Wenn aus Neugier Abhängigke­it wird: Christiane (Jana McKinnon) verfällt den Drogen und muss ihren Körper verkaufen, um die Sucht zu finanziere­n.

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