„Katastrophal für Berufskraftfahrer“
LCGB fordert von der Regierung ein Abkommen zur Sozialversicherung mit den Nachbarländern
Der LCGB, Mehrheitsgewerkschaft im Transportsektor des Großherzogtums, prangert den „katastrophalen Sozialversicherungsschutz für grenzüberschreitend tätige Berufskraftfahrer an, die für luxemburgische Unternehmen arbeiten.“Auch nach einem Treffen mit dem Minister für soziale Sicherheit, Romain Schneider (LSAP), hat sich die Situation nicht entspannt: Der LCGB warf gestern dem Minister wieder eine „gleichgültige Haltung“und „leere Worte“vor.
Hintergrund ist eine europäische Regelung zur Sozialversicherung. Obwohl der LCGB auf die Folgen der Brüsseler Verordnung EG 987/2009 sowie der Grundverordnung EG 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit hingewiesen habe, habe sich die Luxemburger Regierung um keine Lösung für die in Luxemburg tätigen Fahrer bemüht, so Paul Glouchitski, LCGB-Sekretär. Die Zentralstelle der Sozialversicherungen (CCSS) halte weiterhin an einer strikten Anwendung der Bestimmungen fest, ohne Rücksicht auf die Auswirkungen auf die betroffenen Fahrer. Das heißt, die Sozialversicherungspflicht verbleibt nur dann in Luxemburg, wenn die Tätigkeit im Wohnsitzstaat weniger als ein Viertel der Arbeitszeit beträgt.
Die 25-Prozent-Regelung
Zum 1. Mai 2020 seien darum etwa 800 Fahrer entsprechend dieser Regelung übergangsweise von der Sozialversicherung in Luxemburg ausgeschlossen worden. Wie viele es derzeit sind, konnte der LCGB gestern nicht sagen: Betroffen seien aber fast alle Berufskraftfahrer, da diese fast alle im Ausland wohnten und dort auch einen großen Teil ihrer Arbeit verrichteten. Führt ein Berufskraftfahrer 25 Prozent seiner Tätigkeit in dem Land aus, in dem er auch seinen Wohnsitz hat, muss er nach der neuen EU-Regulierung auch dort bei der Sozialversicherung angemeldet sein, so das Ministerium. Darauf hätte Luxemburg keinen Einfluss.
Im Falle einer Tätigkeit des Arbeitnehmers in zwei oder mehr Ländern muss der Arbeitgeber die zuständige Behörde des Wohnsitzlandes des Arbeitnehmers unverzüglich informieren, die dann die anwendbare Sozialgesetzgebung bestimmt. Aus diesem Grund wurde vielen grenzüberschreitend tätigen Berufskraftfahrern von der CCSS mitgeteilt, dass ihre Sozialversicherungszugehörigkeit aufgehoben wurde. Sie behalten zwar noch drei Monate lang das Recht auf Gesundheitsleistungen, aber der sonstige Sozialversicherungsschutz wird nicht mehr gewährt. „Da ein Antrag auf Wiedereingliederung mindestens zwei Monate dauert, können diese administrativen Hindernisse den Grenzgänger im schlimmsten Fall nicht nur den Sozialversicherungsschutz, sondern auch den Arbeitsplatz kosten“, erklärt Glouchitski. Die Regierung würde die betroffenen Fahrer ihrem Schicksal überlassen.
Das Centre Commun de la sécurité sociale hatte bereits letztes Frühjahr die Unternehmen daran erinnert, dass die seit 2010 geltende Übergangsphase zur Sozialversicherung zum 1. Mai 2020 auslaufe für Fahrer, die nach 2010 angestellt wurden. Für später eingestellte Fahrer galt die Regelung bereits.
„Wenn Beschäftigte also nicht in Luxemburg wohnen, kann die Luxemburger Verwaltung auch nicht entscheiden, unter welche Legislation die Person fällt“, erklärt das Ministerium für soziale Sicherheit. Die Beschäftigten und ihre Arbeitgeber seien frühzeitig von der CCSS informiert worden. Die betroffenen Betriebe hätten genügend Zeit gehabt, die Angelegenheit zu regeln, heißt es aus dem Ministerium. Romain Schneider erklärte auch in Antworten auf verschiedene parlamentarische Anfragen zu dem Thema, seit elf Jahren für eine Lösung zu kämpfen, an der die Nachbarländer aber offenbar nicht interessiert sind.
Die Vereinbarungen zur Telearbeit im Zusammenhang mit der Pandemie konnte in nur wenigen Tagen mit den Nachbarländern ausgehandelt werden, entgegnet der LCGB, und fragt: „Ist der Transport- und Logistiksektor in den Augen der Regierung noch ein wirtschaftlich strategischer Sektor?“Die betroffenen Fahrer, die für das gute Funktionieren des Wirtschaftsgefüges wichtig seien, überlasse sie ihrem Schicksal.
Belastung für Unternehmen
Diese EU-Verordnung bereitet dem luxemburgischen Güterkraftverkehr-Gewerbe Schwierigkeiten, denn die Mehrheit der 7 200 Fahrer wohnt in Frankreich, Belgien und Deutschland, so der Handelsverband clc. Es ist tatsächlich ein Problem, hört man von den Transportunternehmen. Wenn zum Beispiel ein neuer Fahrer eingestellt wird, dauere es mitunter mehrere Monate, bis eine Antwort von einem Mitgliedstaat über die Bestimmung des Sozialversicherungssystems eintrifft. In dieser Zeit hat das Unternehmen keinen Fahrer und der Fahrer keine Arbeit. Die Fahrten so disponieren, dass die Fahrer möglichst wenig in ihren Wohnsitzländern fahren, wäre zwar theoretisch möglich, ist in der Praxis aber nicht umsetzbar. Dass die Übergangsregel just mitten in der Pandemie ausgelaufen ist, dürfte für manches Unternehmen erschwerend hinzukommen. Dabei hat sich Luxemburg gerade erst wieder mit seinen Nachbarn für andere Branchen darüber verständigt, dass in diesen eine Grenze der Arbeitszeit im Rahmen der Corona-Ausnahmeregelungen bis auf weiteres nicht angewendet wird. So können Grenzgänger weiterhin im Homeoffice arbeiten ohne die Anbindung an das luxemburgische Sozialversicherungssystem zu verlieren. Insbesondere wegen der niedrigeren luxemburgischen Beiträge in der Sozialversicherung, aber auch dem höheren Kindergeld ist dies für Grenzgänger besonders interessant. Wird in der Transportbranche aber für Betriebe und Fahrer keine zufriedenstellende Lösung gefunden, so könnte das für hiesige Unternehmen zur Folge haben, dass sie noch schwerer geeignete Mitarbeiter finden. Schon jetzt sucht die Branche händeringend nach Fahrern. In Luxemburg angestellt zu sein, droht mit der neuen EU-Regelung für Berufskraftfahrer jedenfalls weniger attraktiv zu werden.
Der LCGB fordert darum den Abschluss eines Abkommens mit den Nachbarländern zur Koordinierung der sozialen Sicherheit. Das habe man aber vergeblich in den letzten zehn Jahren versucht, heißt es aus der Regierung. „Solche bilateralen Vereinbarungen ermöglichen es“, erklärt der LCGB, „die Arbeits- und Gehaltsbedingungen von Fahrern, die in zwei verschiedenen Ländern arbeiten, beizubehalten, ohne dass sie aus dem luxemburgischen Sozialversicherungssystem ausgeschlossen werden.
Die Fahrer werden im Stich gelassen. Paul Glouchitski, LCGB-Sekretär