Angriff ist die beste Verteidigung
Die in Bedrängnis geratene österreichische Regierungspartei ÖVP versucht, von ihren Versäumnissen abzulenken
Scheitern, das passt so gar nicht ins Konzept des österreichischen Kanzlers. Ebenso wenig das Eingestehen eines Fehlers. Seit Wochen hängt die Kanzlerpartei ÖVP in den Seilen wegen Korruptionsermittlungen; seit einer Woche steht nun Sebastian Kurz im Mittelpunkt derselben. Hinzu kommt das chaotische Pandemie-Management.
Und nun hat die Kanzlerpartei anscheinend in den Modus „verbrannte Erde“geschalten. Österreichs Regierung steht am Rand des Zerfalls: Ist es doch der Koalitionspartner der ÖVP, die Grünen, den die Kanzlerpartei ins Visier genommen hat. Und es ist kein Testballon aus einer hinteren Reihe, den die Partei von Sebastian Kurz da steigen ließ. Nein: Der Trompetenstoß zum Angriff kam gleich direkt von der Bundespartei per Aussendung. Der Titel: „Nächster Kogler-Vertrauter bekommt Versorgungsposten“. Werner Kogler, das ist der Vizekanzler und zugleich Parteichef der Grünen.
Unterstellungen und Drohungen
Der Vorwurf: Kogler habe Parteifreunde mit Jobs versorgt. Konkret geht es um vier Personen aus dem Umfeld der Grünen, die Posten erhielten oder erhalten sollen. Was die ÖVP nicht erwähnt: Zum Teil wurden diese Posten im Tandem mit einem von der ÖVP entsandten Gegenüber besetzt, teils musste die Besetzungen vom ÖVPgeführten Finanzministerium abgesegnet werden und in zumindest einem Fall dürfte Kogler noch nicht einmal über die Bestellung informiert gewesen sein.
Der Angriff aber passt ins Bild einer Partei, die zuletzt alles und jeden ins Visier nahm, das, der oder die Kritik übte oder auch nur dazu ansetzte: Die Opposition, unliebsame Medien wie die Wochenzeitung „Falter“und in Person deren Chefredakteur Florian Klenk, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und eben auch den Koalitionspartner.
Da hagelt es Unterstellungen, suggerierte Vorwürfe, Verleumdungen. Klenk etwa wurde auf dem Blog des ÖVP-Parlamentsklubs unterstellt, das „Ibiza“-Video manipuliert zu haben, um einen Mitgesellschafter des „Falter“-Verlags zu schützen. Eine völlig unhaltbare Unterstellung. Führende Oppositionelle im „Ibiza“-Ausschuss wurden da der Komplizenschaft bezichtigt. Der WKStA wurde praktisch mit der Zerschlagung gedroht.
Der „Standard“-Kolumnist Hans Rauscher verglich das mit der Methode
von Trump-Berater Steve Bannon: „Flood the zone with shit.“Und diese Rundumschläge bekommen derzeit vor allem die Grünen ab.
Es wird eng, sehr eng
Je enger es wird für die ÖVP, desto tiefer die Schläge. Und es ist sehr eng für die ÖVP. So eng, dass ein Satz vorweggeschickt sei: Es gilt für alle Beteiligten die Unschuldsvermutung.
Zuletzt gab es eine Hausdurchsuchung bei Finanzminister Gernot Blümel; auch die Mobiltelefone eines Verfassungsrichters und Ex-Justizministers sowie eines hohen Justizbeamten wurden beschlagnahmt.
Und schließlich wurde ein Konvolut an Chat-Nachrichten bekannt. Und diese Korrespondenzen aus dem engsten Umfeld um Kurz bieten nahezu schon intime Einblicke in die Dreckwäsche einer Partei, in der sich der innerste Kreis als „Familie“bezeichnet, in der Vertrauensleute in der Justiz dem Vernehmen nach Informationen über Ermittlungen an diese „Familie“weitergeben, wo Medien auf Linie gebracht und Kritiker (darunter die katholische Kirche) eingeschüchtert wurden.
Stattliches Jahresgehalt
Besonders detailreich nachvollziehbar ist in all dem vor allem ein Fall: Der der Bestellung von Thomas Schmid zum Vorstand der staatlichen Beteiligungsgesellschaft ÖBAG. Schmid, der keinerlei Erfahrung im Management hat, schrieb sich die Ausschreibung zu dem Job mit einem Jahresgehalt von bis zu 610 000 Euro demnach mit dem Segen des Kanzlers praktisch selbst. Seine Bestellung war dann wie es scheint auch fix, noch bevor der Job offiziell ausgeschrieben war. Der Aufsichtsrat der ÖBAG wurde aus dem Kreis um Kurz heraus mit Vertrauensleuten besetzt.
All das ergibt sich aus der Auswertung von Schmids Diensthandy. Das hatte die WKStA im Zuge einer anderen Affäre um Blümel und den Glücksspielkonzern Novomatic beschlagnahmt und ausgewertet. Was sich nebst den Chats da auch fand: Fotos von weißem Pulver und männlichen Genitalien. In Summe: 2 500 Bilder.