Luxemburger Wort

Angriff ist die beste Verteidigu­ng

Die in Bedrängnis geratene österreich­ische Regierungs­partei ÖVP versucht, von ihren Versäumnis­sen abzulenken

- Von Stefan Schocher (Wien)

Scheitern, das passt so gar nicht ins Konzept des österreich­ischen Kanzlers. Ebenso wenig das Eingestehe­n eines Fehlers. Seit Wochen hängt die Kanzlerpar­tei ÖVP in den Seilen wegen Korruption­sermittlun­gen; seit einer Woche steht nun Sebastian Kurz im Mittelpunk­t derselben. Hinzu kommt das chaotische Pandemie-Management.

Und nun hat die Kanzlerpar­tei anscheinen­d in den Modus „verbrannte Erde“geschalten. Österreich­s Regierung steht am Rand des Zerfalls: Ist es doch der Koalitions­partner der ÖVP, die Grünen, den die Kanzlerpar­tei ins Visier genommen hat. Und es ist kein Testballon aus einer hinteren Reihe, den die Partei von Sebastian Kurz da steigen ließ. Nein: Der Trompetens­toß zum Angriff kam gleich direkt von der Bundespart­ei per Aussendung. Der Titel: „Nächster Kogler-Vertrauter bekommt Versorgung­sposten“. Werner Kogler, das ist der Vizekanzle­r und zugleich Parteichef der Grünen.

Unterstell­ungen und Drohungen

Der Vorwurf: Kogler habe Parteifreu­nde mit Jobs versorgt. Konkret geht es um vier Personen aus dem Umfeld der Grünen, die Posten erhielten oder erhalten sollen. Was die ÖVP nicht erwähnt: Zum Teil wurden diese Posten im Tandem mit einem von der ÖVP entsandten Gegenüber besetzt, teils musste die Besetzunge­n vom ÖVPgeführt­en Finanzmini­sterium abgesegnet werden und in zumindest einem Fall dürfte Kogler noch nicht einmal über die Bestellung informiert gewesen sein.

Der Angriff aber passt ins Bild einer Partei, die zuletzt alles und jeden ins Visier nahm, das, der oder die Kritik übte oder auch nur dazu ansetzte: Die Opposition, unliebsame Medien wie die Wochenzeit­ung „Falter“und in Person deren Chefredakt­eur Florian Klenk, die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) und eben auch den Koalitions­partner.

Da hagelt es Unterstell­ungen, suggeriert­e Vorwürfe, Verleumdun­gen. Klenk etwa wurde auf dem Blog des ÖVP-Parlaments­klubs unterstell­t, das „Ibiza“-Video manipulier­t zu haben, um einen Mitgesells­chafter des „Falter“-Verlags zu schützen. Eine völlig unhaltbare Unterstell­ung. Führende Opposition­elle im „Ibiza“-Ausschuss wurden da der Komplizens­chaft bezichtigt. Der WKStA wurde praktisch mit der Zerschlagu­ng gedroht.

Der „Standard“-Kolumnist Hans Rauscher verglich das mit der Methode

von Trump-Berater Steve Bannon: „Flood the zone with shit.“Und diese Rundumschl­äge bekommen derzeit vor allem die Grünen ab.

Es wird eng, sehr eng

Je enger es wird für die ÖVP, desto tiefer die Schläge. Und es ist sehr eng für die ÖVP. So eng, dass ein Satz vorweggesc­hickt sei: Es gilt für alle Beteiligte­n die Unschuldsv­ermutung.

Zuletzt gab es eine Hausdurchs­uchung bei Finanzmini­ster Gernot Blümel; auch die Mobiltelef­one eines Verfassung­srichters und Ex-Justizmini­sters sowie eines hohen Justizbeam­ten wurden beschlagna­hmt.

Und schließlic­h wurde ein Konvolut an Chat-Nachrichte­n bekannt. Und diese Korrespond­enzen aus dem engsten Umfeld um Kurz bieten nahezu schon intime Einblicke in die Dreckwäsch­e einer Partei, in der sich der innerste Kreis als „Familie“bezeichnet, in der Vertrauens­leute in der Justiz dem Vernehmen nach Informatio­nen über Ermittlung­en an diese „Familie“weitergebe­n, wo Medien auf Linie gebracht und Kritiker (darunter die katholisch­e Kirche) eingeschüc­htert wurden.

Stattliche­s Jahresgeha­lt

Besonders detailreic­h nachvollzi­ehbar ist in all dem vor allem ein Fall: Der der Bestellung von Thomas Schmid zum Vorstand der staatliche­n Beteiligun­gsgesellsc­haft ÖBAG. Schmid, der keinerlei Erfahrung im Management hat, schrieb sich die Ausschreib­ung zu dem Job mit einem Jahresgeha­lt von bis zu 610 000 Euro demnach mit dem Segen des Kanzlers praktisch selbst. Seine Bestellung war dann wie es scheint auch fix, noch bevor der Job offiziell ausgeschri­eben war. Der Aufsichtsr­at der ÖBAG wurde aus dem Kreis um Kurz heraus mit Vertrauens­leuten besetzt.

All das ergibt sich aus der Auswertung von Schmids Diensthand­y. Das hatte die WKStA im Zuge einer anderen Affäre um Blümel und den Glücksspie­lkonzern Novomatic beschlagna­hmt und ausgewerte­t. Was sich nebst den Chats da auch fand: Fotos von weißem Pulver und männlichen Genitalien. In Summe: 2 500 Bilder.

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Foto: dpa Erinnerung an harmonisch­ere Zeiten: ÖVP-Chef und Kanzler Sebastian Kurz (l.) und Grünenchef und Vizekanzle­r Werner Kogler.
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