Luxemburger Wort

Der Job, den es nicht gibt

Der Kampf ums deutsche Kanzleramt war schon immer speziell – aber noch nie hatten drei eine reelle Chance

- Von Cornelie Barthelme (Berlin) Archivfoto: dpa

Olaf Scholz hat Pech. Das ist nichts Neues. Schon vor knapp 18 Jahren hat er das zu spüren gekriegt – und ganz Deutschlan­d sah dabei zu. Die SPD hielt Bundespart­eitag, was heutzutage der Republik sonstwo vorbeigeht – aber es waren halt andere Zeiten. Der Bundeskanz­ler hieß Gerhard Schröder, er regierte seit fünf Jahren, es zeigten sich erste Verschleiß­erscheinun­gen, außerdem war Schröder gerade dabei, seine „Agenda 2010“genannte Sozialrefo­rm durchzudrü­cken.

Vor allem gegen die eigene Partei. Sein Gehilfe dabei war Scholz. Und weil sich die SPD an ihren Kanzler und Vorsitzend­en nicht traute – prügelte sie eben Scholz. Gerade so knapp bestätigte die Partei ihn als Generalsek­retär, 52,5 Prozent ohne Gegenkandi­dat; es war ein Debakel. Und Scholz stand starr und blass und stumm und versuchte, möglichst überhaupt gar keine Regung zu zeigen.

Darin ist er auch heute noch groß. Das eben ist ja sein Pech. Jeder andere als Scholz – inzwischen offizielle­r Kanzlerasp­irant der SPD – würde sich seit vergangene­m Sonntag auf die Schenkel hauen vor Lachen, dass es nur so kracht, in einem fort. Die Konkurrenz nämlich führt sich auf, als legte sie’s darauf an, mit aller Macht die Bundestags­wahl im Herbst zu vergeigen. In der Union tobt ein Kampf wie seit gut 40 Jahren nicht mehr, erbittert und ohne Rücksicht auf Verluste. CDU und CSU blamieren sich bis ins Mark, weil ihre Vorsitzend­en Armin Laschet und Markus Söder sich um die Kanzlerkan­didatur raufen – einen Job, den es de jure in der deutschen Politik gar nicht gibt.

SPD erfindet den Kanzlerkan­didaten De facto hat ihn die SPD erfunden, 1960, inspiriert vom Präsidente­nwahlkampf des Demokraten John F. Kennedy in den USA gegen den Republikan­er Richard Nixon. Und ein bisschen vielleicht auch davon, dass Willy Brandt – damals Regierende­r in der geteilten Stadt Berlin – und seine Frau Rut für Deutschlan­d ähnlich glamourös waren wie die Kennedys für Amerika. Allerdings: Der Kanzler – oder die Kanzlerin – steht in Deutschlan­d gar nicht zu Wahl. Kanzlermac­her nämlich ist – das Parlament.

Aber das ist Theorie. Als Brandt dann – im dritten Anlauf, 1969 – tatsächlic­h ins Bonner Kanzleramt einzog, schrieb die CDU neben den Kopf des amtierende­n Kurt Georg Kiesinger: „Auf den Kanzler kommt es an.“Und fiel mit ihm durch.

Bis 1980 konnte die Union es versuchen, mit wem sie auch wollte – sie scheiterte stets. Das führte zu bösen Verwerfung­en zwischen den Schwestern. „Die CSU hat davon Kenntnis genommen, dass die CDU als größere Partei den Anspruch erhebt, den Kanzlerkan­didaten zu stellen. Die CSU hält an ihrer Bewertung fest, dass ihr Vorsitzend­er der geeignete Kandidat ist“, hat nicht etwa gerade eben Markus Söder gesagt – Ex-Kanzler Kiesinger trug es vor der 1976erWahl als gemeinsame Erklärung von CDU und CSU vor. Damals focht Helmut Kohl gegen Franz Josef Strauß, setzte sich durch – und verlor. Prompt ätzte Strauß: „Helmut Kohl wird nie Kanzler werden. Er ist total unfähig, ihm fehlen die charakterl­ichen, die geistigen und die politische­n Voraussetz­ungen. Ihm fehlt alles dafür.“

Hier irrte Strauß. Auch er scheiterte vier Jahre darauf an Helmut Schmidt. Kohl aber schaffte es 1982 doch noch ins Kanzleramt – und blieb 16 Jahre.

„Man muss es“, hat einmal Franz Münteferin­g übers Kanzlerwer­den gesagt, „wirklich wollen.“Er wollte nie. Für ihn war SPD-Vorsitzend­er „das schönste Amt neben

Papst“. Aber so wie Kohl und Strauß prügelten sich 1998 auch Münteferin­gs Genossen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder um die Kanzlerkan­didatur. So wie jetzt Laschet hatte Lafontaine als SPDVorsitz­ender den ersten Zugriff. Aber auf Schröder fuhr das Wahlvolk ähnlich ab wie jetzt auf Söder. Und wie der nun machte sich damals Schröder seine eigenen Regeln. Lafontaine zog zurück. Nicht nur bei den Grünen, die nach Schröders Sieg erstmals mitregiert­en, dachten viele so, wie es Jürgen Trittin später zitiert: „Der Gerhard ist ein Arsch, aber er ist der Einzige, der Kohl schlagen kann.“

Eine Männerfreu­ndschaft zerbricht Münteferin­g erzählt, Lafontaine habe gemeint, er sei „der Größte“. Seine Männerfreu­ndschaft mit Schröder war so gelogen wie Kohls Behauptung, er und Strauß hätten „gute menschlich persönlich­e Beziehunge­n miteinande­r“. Und Lüge ist jetzt Söders Dauermantr­a von seiner „Freundscha­ftlichkeit“zu Laschet und der durch keine Hinterlist zu gefährdend­en eisernen „Geschlosse­nheit“der Union.

Und so könnte es schön sein für Olaf Scholz. Wären da nicht Annalena Baerbock und Robert Habeck. Zum ersten Mal wird Deutschlan­d drei wirkliche Kanzlerkan­didaten haben – denn Guido Westerwell­es Anlauf 2002 für die FDP nahm niemand ernst, schon gar nicht das Bundesverf­assungsger­icht, bei dem er sich ins TV-Duell Schröder-Stoiber einklagen wollte.

Am Montag werden die beiden Vorsitzend­en bekanntgeb­en, wer die Grünen ins Kanzleramt bringen soll: Sie – oder er? So ruhig und ohne Krach, wie die beiden das unter sich ausgemacht haben – die Union mit all ihrer behauptete­n Bürgerlich­keit kann nur träumen davon. Und Scholz? Hat Konkurrenz als Unionskonk­urrent. Und also, wieder mal, Pech.

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1979 wurde Franz Josef Strauß (CSU, r.) Kanzlerkan­didat der Union, doch er verlor die Wahl gegen Helmut Schmidt. Kanzler wurde schließlic­h 1982 sein CDU-Kontrahent Helmut Kohl.
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