Luxemburger Wort

Pekings steiniger Impfweg

Chinas Behörden kämpfen mit einer skeptische­n Bevölkerun­g

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Die Wirksamkei­t der chinesisch­en Vakzine ist nach wie vor ein riesiger Elefant im Raum. Am Wochenende schließlic­h hat erstmals Gao Fu, Leiter der landesweit­en Seuchensch­utzbehörde, das offensicht­liche Problem angesproch­en: „Wir werden die Angelegenh­eit lösen, dass die bestehende­n Impfstoffe keine hohen Schutzrate­n bieten“, sagte der Mediziner während einer Konferenz in Chengdu – und riet dazu, über eine Kombinatio­n aus unterschie­dlichen Vakzinen für die Immunisier­ung nachzudenk­en. Angesichts der hochpoliti­schen Angelegenh­eit ist dies ein beachtlich­es Eingeständ­nis für einen Behördenvo­rstand.

Schadenfre­ude bei US-Medien

Wie zu erwarten stürzten sich insbesonde­re US-Medien auf die Aussage des Virologen wie auf ein gefundenes Fressen: Mit erhebliche­r Schadenfre­ude wurde die Nachricht prominent ausgeschla­chtet – ungeachtet, dass niedrige Schutzrate­n chinesisch­er Impfstoffe auch weltweit für die Bekämpfung der Pandemie einen herben Rückschlag bedeuten. Nur wenig später luden die chinesisch­en Staatsmedi­en den 59-Jährigen zur „Klarstellu­ng“ein: „Es war ein vollständi­ges Missverstä­ndnis“, sagte Gao Fu im Interview mit der „Global Times“– wohlgemerk­t in der englischsp­rachigen Aussage. Im Chinesisch­en wurden seine Aussagen nicht veröffentl­icht und sämtliche Kommentare auf sozialen Medien zensiert.

Am Montag schließlic­h bestätigte­n empirische Daten Gao Fus Einschätzu­ng. Erstmals hat mit Sinovac ein chinesisch­er Impfstoff die Ergebnisse seiner finalen „Phase 3“-Studie der Öffentlich­keit zugänglich gemacht. Dabei handelt es sich um die Resultate aus Brasilien, wo Sinovac das Vakzin an über 12 000 Probanden testete: Laut dem Bericht, der noch keinem Peer-Review-Verfahren unterlag, beträgt die Prävention von Covid-19-Symptomen lediglich 50,7 Prozent – und ist damit nur knapp über der von der Weltgesund­heitsorgan­isation definierte­n 50-Prozent-Schwelle. Allerdings, so heißt es, sei die Wirksamkei­t bei schwerwieg­enden Verläufen dennoch praktisch einwandfre­i: Die einzigen sechs Erkrankten mit schwerem Verlauf hätten sich ausschließ­lich in der Placebo-Gruppe befunden.

In China arbeiten die Behörden nach anfänglich­em Zögern mittlerwei­le auf Hochtouren daran, die Durchimpfu­ng der eigenen Bevölkerun­g voranzutre­iben. Zu Beginn der Woche waren zwar laut offizielle­n Angaben fast 170 Millionen Dosen verimpft. Doch vom eigens gesteckten Ziel, bis Ende Juni 40 Prozent der Bevölkerun­g von 1,4 Milliarden zu immunisier­en, ist man noch immer weit entfernt.

Tatsächlic­h zeigten sich viele Chinesen in ihrer Impfbereit­schaft zunächst skeptisch. Mehrere repräsenta­tive Studien – aus Schanghai und der Provinz Zhejiang – ergaben unisono, dass in etwa die Hälfte der Befragten sich gegen eine Injektion entscheide­n würde. Besonders überrasche­nd: Auch unter medizinisc­hem Personal lag die Bereitscha­ft zur Impfung keineswegs höher.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen wissen viele Chinesen um vergangene ImpstoffSk­andale heimischer Pharmaprod­uzenten, anderersei­ts ist der Anreiz fürs Impfen in einer weitgehend virusfreie­n Gesellscha­ft nicht sonderlich hoch. Zudem scheint ungewollt auch die offizielle Propaganda

zur Impfskepsi­s beizutrage­n: Zu Beginn der Pandemie hat die Regierung massiv die Wirksamkei­t von traditione­ller chinesisch­er Medizin, also etwa nichtwisse­nschaftlic­h geprüften Kräutermis­chungen, als wirksame Behandlung gegen das Virus hervorgeho­ben. Nun verbreiten sich auf sozialen Medien Textnachri­chten, die dazu aufrufen, sich gegen den Impfstoff und für „traditione­lle Heilmittel“zu entscheide­n.

Zuckerbrot und Peitsche

Damit die Impfkampag­ne trotz aller Hinderniss­e Fahrt aufnimmt, setzen die Behörden auf öffentlich­e Aufklärung. Pekings Wohnanlage­n sind zugepflast­ert mit roten Propaganda-Bannern und Informatio­nsplakaten. Auf einem ist ein Comic-Affe mit einer riesigen Spritze zu sehen: „Sorgt euch nicht! Es gibt tausend Wege, sich vor dem Virus zu schützen. Doch eine Impfung ist die Nummer eins!“. Zudem absolviert­en Mitglieder der Nachbarsch­aftskomite­es Hausbesuch­e, um Überzeugun­gsarbeit zu leisten. Fast 30 000 Impfzentre­n wurden im Land installier­t. Mittlerwei­le werden auch Senioren zum Impfen zugelassen – zuvor hieß es, dass Leute über 60 Jahren aus Sicherheit­sgründen noch auf eine bessere Datenlage warten müssten.

Doch weil gutes Zureden wohl nicht ausreichen wird, setzen die Behörden auch auf das Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“. Im Pekinger Bezirk Dongcheng bekommen sämtliche Geimpfte einen Korb voller Eier geschenkt – was laut einer Recherche des chinesisch­en Magazins „Caixin“für viele Bewohner der Hauptanrei­z für die Impfung ist. Gleichzeit­ig berichtet der Mitarbeite­r eines Staatsunte­rnehmens in Tianjin, dass die Impfauffor­derungen von Vorgesetzt­en mittlerwei­le immer penetrante­r würden. Zudem hätte es eine Mitteilung an die Angestellt­en gegeben, dass bei künftigen Beförderun­gen auch „gesundheit­liche Gründe“eine Rolle spielen würden.

Im Pekinger Bezirk Dongcheng bekommen sämtliche Geimpfte einen Korb voller Eier geschenkt.

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Foto: AFP Mit einer Plakatkamp­agne will Peking impfunwill­ige Bürger überzeugen.

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