Pekings steiniger Impfweg
Chinas Behörden kämpfen mit einer skeptischen Bevölkerung
Die Wirksamkeit der chinesischen Vakzine ist nach wie vor ein riesiger Elefant im Raum. Am Wochenende schließlich hat erstmals Gao Fu, Leiter der landesweiten Seuchenschutzbehörde, das offensichtliche Problem angesprochen: „Wir werden die Angelegenheit lösen, dass die bestehenden Impfstoffe keine hohen Schutzraten bieten“, sagte der Mediziner während einer Konferenz in Chengdu – und riet dazu, über eine Kombination aus unterschiedlichen Vakzinen für die Immunisierung nachzudenken. Angesichts der hochpolitischen Angelegenheit ist dies ein beachtliches Eingeständnis für einen Behördenvorstand.
Schadenfreude bei US-Medien
Wie zu erwarten stürzten sich insbesondere US-Medien auf die Aussage des Virologen wie auf ein gefundenes Fressen: Mit erheblicher Schadenfreude wurde die Nachricht prominent ausgeschlachtet – ungeachtet, dass niedrige Schutzraten chinesischer Impfstoffe auch weltweit für die Bekämpfung der Pandemie einen herben Rückschlag bedeuten. Nur wenig später luden die chinesischen Staatsmedien den 59-Jährigen zur „Klarstellung“ein: „Es war ein vollständiges Missverständnis“, sagte Gao Fu im Interview mit der „Global Times“– wohlgemerkt in der englischsprachigen Aussage. Im Chinesischen wurden seine Aussagen nicht veröffentlicht und sämtliche Kommentare auf sozialen Medien zensiert.
Am Montag schließlich bestätigten empirische Daten Gao Fus Einschätzung. Erstmals hat mit Sinovac ein chinesischer Impfstoff die Ergebnisse seiner finalen „Phase 3“-Studie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dabei handelt es sich um die Resultate aus Brasilien, wo Sinovac das Vakzin an über 12 000 Probanden testete: Laut dem Bericht, der noch keinem Peer-Review-Verfahren unterlag, beträgt die Prävention von Covid-19-Symptomen lediglich 50,7 Prozent – und ist damit nur knapp über der von der Weltgesundheitsorganisation definierten 50-Prozent-Schwelle. Allerdings, so heißt es, sei die Wirksamkeit bei schwerwiegenden Verläufen dennoch praktisch einwandfrei: Die einzigen sechs Erkrankten mit schwerem Verlauf hätten sich ausschließlich in der Placebo-Gruppe befunden.
In China arbeiten die Behörden nach anfänglichem Zögern mittlerweile auf Hochtouren daran, die Durchimpfung der eigenen Bevölkerung voranzutreiben. Zu Beginn der Woche waren zwar laut offiziellen Angaben fast 170 Millionen Dosen verimpft. Doch vom eigens gesteckten Ziel, bis Ende Juni 40 Prozent der Bevölkerung von 1,4 Milliarden zu immunisieren, ist man noch immer weit entfernt.
Tatsächlich zeigten sich viele Chinesen in ihrer Impfbereitschaft zunächst skeptisch. Mehrere repräsentative Studien – aus Schanghai und der Provinz Zhejiang – ergaben unisono, dass in etwa die Hälfte der Befragten sich gegen eine Injektion entscheiden würde. Besonders überraschend: Auch unter medizinischem Personal lag die Bereitschaft zur Impfung keineswegs höher.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Zum einen wissen viele Chinesen um vergangene ImpstoffSkandale heimischer Pharmaproduzenten, andererseits ist der Anreiz fürs Impfen in einer weitgehend virusfreien Gesellschaft nicht sonderlich hoch. Zudem scheint ungewollt auch die offizielle Propaganda
zur Impfskepsis beizutragen: Zu Beginn der Pandemie hat die Regierung massiv die Wirksamkeit von traditioneller chinesischer Medizin, also etwa nichtwissenschaftlich geprüften Kräutermischungen, als wirksame Behandlung gegen das Virus hervorgehoben. Nun verbreiten sich auf sozialen Medien Textnachrichten, die dazu aufrufen, sich gegen den Impfstoff und für „traditionelle Heilmittel“zu entscheiden.
Zuckerbrot und Peitsche
Damit die Impfkampagne trotz aller Hindernisse Fahrt aufnimmt, setzen die Behörden auf öffentliche Aufklärung. Pekings Wohnanlagen sind zugepflastert mit roten Propaganda-Bannern und Informationsplakaten. Auf einem ist ein Comic-Affe mit einer riesigen Spritze zu sehen: „Sorgt euch nicht! Es gibt tausend Wege, sich vor dem Virus zu schützen. Doch eine Impfung ist die Nummer eins!“. Zudem absolvierten Mitglieder der Nachbarschaftskomitees Hausbesuche, um Überzeugungsarbeit zu leisten. Fast 30 000 Impfzentren wurden im Land installiert. Mittlerweile werden auch Senioren zum Impfen zugelassen – zuvor hieß es, dass Leute über 60 Jahren aus Sicherheitsgründen noch auf eine bessere Datenlage warten müssten.
Doch weil gutes Zureden wohl nicht ausreichen wird, setzen die Behörden auch auf das Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“. Im Pekinger Bezirk Dongcheng bekommen sämtliche Geimpfte einen Korb voller Eier geschenkt – was laut einer Recherche des chinesischen Magazins „Caixin“für viele Bewohner der Hauptanreiz für die Impfung ist. Gleichzeitig berichtet der Mitarbeiter eines Staatsunternehmens in Tianjin, dass die Impfaufforderungen von Vorgesetzten mittlerweile immer penetranter würden. Zudem hätte es eine Mitteilung an die Angestellten gegeben, dass bei künftigen Beförderungen auch „gesundheitliche Gründe“eine Rolle spielen würden.
Im Pekinger Bezirk Dongcheng bekommen sämtliche Geimpfte einen Korb voller Eier geschenkt.