Haseloffs Sieg
Sachsen-Anhalt stärkt die CDU – aber vor allem den Ministerpräsidenten
Nachmittags um vier geht in den Berliner Parteizentralen das Seufzen los. Sehr erleichtert klingt es bei der CDU, sehr enttäuscht bei der AfD, ziemlich enttäuscht bei den Linken, sehr erfreut bei der FDP. Die Grünen können sich nicht so recht entscheiden. Und bei der SPD herrscht das blanke Entsetzen.
Nachmittags um vier nämlich laufen bei jeder Wahl die sogenannten Exit-Polls der Demoskopen ein. Und diesmal – gewählt wird im jungen Bundesland Sachsen-Anhalt, 2,2 Millionen Einwohner von republikweit 83 – prophezeien sie eine Eindeutigkeit, mit der nach all den Umfragen während des Wahlkampfs niemand rechnen durfte. Die Institute sehen die CDU klar vor der AfD. Der prognostizierte Abstand beträgt minimal sechs und maximal 14 Punkte. Aber was wird das bedeuten, am Ende? Wegen der Pandemie wird die Zahl der Briefwähler steigen, eventuell aufs Doppelte. Deren Entscheidungen aber bleiben bei den sogenannten Polls außen vor.
Eine klare Entscheidung
Zwei Stunden später dann, Schlag sechs – die Wahllokale zwischen Salzwedel im Norden und Zeitz im Süden sperren gerade die Türen ab, die Wahlhelfer starten mit dem Zählen – kommt die Bestätigung. Vor die Wahl zwischen Solidität und Auflehnung gestellt – haben die Sachsen-Anhalter sich ganz klar entschieden. Zwölf Prozent mindestens haben sie zwischen CDU und AfD gelegt. Vor allem aber: Sie haben der CDU den ersten wirklichen Sieg seit der Bundestagswahl 2017 beschert.
Man kann – wenn man will – das Wahlergebnis so lesen. Ralph
Brinkhaus etwa, Unionsfraktionsvorsitzender im Bundestag, möchte das. Und so sagt er, Sachsen-Anhalt im Juni 2021 habe für die Bundes-CDU denselben Effekt wie das Saarland im März 2017. Damals habe Annegret-Kramp-Karrenbauer „den Schulz-Zug“gestoppt. „Insofern“, behauptet Brinkhaus, „ist das heute auch ein Sieg für Armin Laschet.“Wenig später besteht Brinkhaus tatsächlich auch noch darauf, es sei „auch einer von Markus Söder“.
So rächt sich, wieder einmal, dass seit Angela Merkel die CDUVorsitzenden darauf verzichten, an Landtagswahl-Abenden die Ergebnisse selbst zu kommentieren. In Wirklichkeit nämlich hat nicht die CDU in Sachsen-Anhalt gewonnen, und schon gar nicht haben das Laschet und Söder – auch wenn beide im Wahlkampf dort zu Besuch waren. Auch für Nicht-Hellseher ist klar, wofür die SachsenAnhalter die Berliner Auslegung halten. In Wirklichkeit nämlich ist dies der Sieg von Reiner Haseloff.
Verschobener Freiheitstraum
Er hatte eigentlich gar nicht mehr antreten wollen. Von Zeit mit seiner Frau Gabriele habe er geträumt, sagte er der „Bunten“, von Fahrten im Cabrio – und im Radio singe David Haselhoff „Looking for Freedom“. Als dann sein Innenminister und designierter Nachfolger, der CDU-Landesvorsitzende Holger Stahlknecht, mit der AfD eher flirtete als sich von ihr zu distanzieren – da verschob Haseloff seinen Traum von Freiheit.
„Er vertritt selbstbewusst die Interessen der Ostdeutschen“: Diese Vorgabe der Demoskopen bejahten vor dem Wahltag 69 Prozent aller Wähler. Und 93 Prozent derer, die vorhatten, sich für die CDU zu entscheiden. Tatsächlich hatte Haseloff die schwerste Regierungskrise
seiner schwarz-rot-grünen Koalition – die Erhöhung des im Osten ungeliebten Rundfunkbeitrags – dadurch beendet, dass er darüber nicht abstimmen ließ. Und so die 86 Cent pro Monat und Haushalt für die ganze Republik bis heute blockiert. Stahlknecht probierte den Aufstand, sprach von Minderheitsregierung – was Tolerierung durch die AfD bedeutet hätte – und wurde von Haseloff gefeuert.
Absturz der Sozialdemokraten
55 Prozent der Wähler haben gesagt, für ihre Wahlentscheidung sei das Land entscheidend – nicht der Bund. Für die Grünen – die ja erstmals ins Kanzleramt einziehen wollen – bedeutet das: ein hauchzartes Plus. Für die SPD – ebenfalls mit Kanzlerambition: Absturz in die Einstelligkeit. Für die AfD, dass sie jetzt ihre Prozent-Grenze selbst im Osten kennt. Sie liegt unter 25. Haseloff legt das als „ein klares Aufbäumen unserer Bevölkerung“aus. Die Sachsen-Anhalter, sagt er, wollten „nicht mit einem Image verbunden werden, das AfD heißt“.
Und dann sagt er, wie wichtig es sei, „dass Ostdeutschland in seiner Besonderheit wahrgenommen wird“. Und dann wird Haseloff – der von Freude redet und dabei die Mundwinkel nicht ein Millimeterchen nach oben bewegt – deutlich: „Wir müssen die Themen identifizieren, wo man Menschen zurückholen kann.“Und die würden „nicht in den Talkshows“besprochen. Die, sagt er, fast ausschließlich „westdeutsch“bestimmt seien. Und dann sagt er, im einunddreißigsten Jahr der nominelle Einheit, tatsächlich, er sage immer: „In Westdeutschland wird man Kanzler. Aber in Ostdeutschland wird verhindert, dass man Kanzler wird.“