Wachstum ist nicht alles
Erst die Katastrophe, dann die Überraschung. Während wir durch Corona die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit erleben, melden die Experten des Statec, dass Luxemburgs Wirtschaft im Jahr 2020 um „lediglich“minus 1,3 Prozent abgesackt ist. Im ersten Quartal 2021 stieg das saisonbereinigte reale BIP im Vergleich zum ersten Quartal 2020 sogar um
4,9 Prozent. Zu Beginn der Corona-Krise wurde noch von vielen Krisenpropheten der wirtschaftliche Totalzusammenbruch vorhergesagt. Es wurden „apokalyptische“Prognosen von minus acht bis zu minus zwölf Prozent aufgestellt. Doch die Wirtschaft ist bekanntlich bisher nicht untergegangen, es gab keine Pleitewelle, keine Massenarbeitslosigkeit.
Wenn wir den Stand der Dinge heute anschauen, so wird deutlich: Nicht die Auswirkungen der Lockdowns und Einschränkungen wurden überinterpretiert, sondern die Wirksamkeit der zahlreichen „Kriseninstrumenten“von Anfang an stark unterschätzt. Das gilt sowohl für die Heimarbeit als auch für die Hilfsmaßnahmen zur Förderung und Unterstützung der Wirtschaft. Hinzu kommt, laut Idea, die starke „Outperformance“Luxemburgs in bestimmten Sektoren, wie etwa in der IKTBranche, bei den Unternehmensdienstleistungen und den nicht-marktbestimmten Dienstleistungen.
So konnte das Schlimmste verhindert werden. Natürlich ist das sogenannte BIP ein sehr unvollkommener Durchschnittsmaßstab, denn auf Ebene der einzelnen Branchen und Sektoren gibt es unverändert deutliche Unterschiede, etwa zwischen dem angeschlagenen Hotel- und Gaststättengewerbe und der bisher verschonten Finanzbranche. Nichtsdestotrotz zeigen diese Zahlen einmal mehr die Widerstandsfähigkeit unserer kleinen Wirtschaft in den schwierigsten Krisenphasen.
Dennoch gibt es etwas, das diese durchaus positiven Zahlen nicht zeigen, nämlich wie corona-müde die Bevölkerung ist, ausgelaugt durch den Lockdown und die vielen Einschränkungen, zunehmend genervt vom dauernden Hin und Her, verängstigt durch die soziale Isolation, die unsichere Zukunft, die ökonomischen Sorgen. Die Statistiken spiegeln auch nicht die Not der jungen Menschen wider, die den Alltag, die Freiheit und Unbefangenheit ihrer Generation vermissen. Ganz zu schweigen von der prekären Lage der Kulturschaffenden und der Verarmung der kulturellen Vielfalt. Und schließlich sind da noch die Sorgen, dass eine CoronaImpfung vor neuen Varianten von SARS-CoV-2 nicht schützt, dass das Virus uns auch in den nächsten Jahren nicht verlassen wird.
Das Bruttoinlandsprodukt als Maßstab steht seit Längerem stark in der Kritik, weil es höchst ungeeignet ist, um Aussagen über Wohlstand oder Lebensqualität eines Landes zu erfassen. Vor allem in der jetzigen Corona-Krise ist der Indikator so wenig repräsentativ für den allgemeinen Zustand unseres Landes. Alternativen gibt es bereits, doch das Bruttoinlandsprodukt bleibt unangefochten die Mutter aller Indikatoren. Dabei wäre doch gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, um das BIP ein für allemal als wichtigsten Gradmesser für die Entwicklung des Landes zu überdenken und auszutauschen.
Das BIP ist in CoronaZeiten definitiv nicht mehr zeitgemäß.