Luxemburger Wort

Warnung vor Blutvergie­ßen in Israel

Vor der Regierungs­bildung ohne Netanjahu erreicht die politische Spannung einen Siedepunkt

-

Tel Aviv. Angesichts massiver Hetze vor der Vereidigun­g einer neuen Regierung in Israel hat der Chef des Inlandsgeh­eimdienste­s in einer ungewöhnli­chen Stellungna­hme vor Blutvergie­ßen gewarnt. Zudem nährt ein für Donnerstag geplanter Flaggenmar­sch nationalis­tischer Israelis in Jerusalems Altstadt, der auch durch das muslimisch­e Viertel führt, die Sorge vor einer neuen Eskalation der Gewalt. Der palästinen­sische VizeGouver­neur Jerusalems, Abduallah Siam, warnte vor einer „Explosion“in der Stadt.

Der scheidende Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu von der rechtskons­ervativen Likud-Partei hatte den designiert­en Regierungs­chef Naftali Bennett zuvor scharf angegriffe­n. Als „Betrug des Jahrhunder­ts“bezeichnet­e er die geplante Koalition von Bennetts ultrarecht­er Jamina-Partei mit sieben weiteren Parteien aus allen politische­n Lagern. Netanjahu wiederholt­e seine Angriffe am Sonntag bei einer Sitzung seiner Fraktion. Er verurteile jede Hetze und Gewalt, „auch, wenn die andere Seite hetzt“. Der 71-Jährige sprach von einem „Versuch, der Rechten das Maul zu stopfen“.

Massiver Druck auf Bennett

Anhänger Netanjahus üben massiven Druck aus, um die Vereidigun­g der Regierung zu verhindern. Demonstran­ten beschimpft­en Bennett auf Kundgebung­en als „Verräter“und verbrannte­n das Porträt des 49-Jährigen. Angesichts dieser Entwicklun­g erhält Bennett seit

Donnerstag Schutz vom Inlandsgeh­eimdienst Schin Bet. „In letzter Zeit identifizi­eren wir eine Verstärkun­g und schlimme Radikalisi­erung aggressive­r und hetzerisch­er Debatten, vor allem in sozialen Netzwerken“, sagte Schin-BetChef Nadav Argaman am Samstagabe­nd. Dies könne als Legitimier­ung von Gewalt und Blutvergie­ßen ausgelegt werden.

Die israelisch­e Nachrichte­nseite ynet schrieb, die gegenwärti­ge Hetze

erinnere stark an jene vor dem Mord an dem Regierungs­chef Izchak Rabin durch einen rechtsextr­emen jüdischen Fanatiker im November 1995. Der bekannte Kommentato­r Barak Ravid von der Nachrichte­nseite Walla verglich die Lage mit der Erstürmung des US-Kapitols im Januar. „Es besteht eine echte Bedrohung der geordneten Machtüberg­abe in Israel“, sagte er am Sonntag. Für weitere Spannungen sorgte der für Donnerstag

geplante Flaggenmar­sch. Der letzte Marsch anlässlich des Jerusalem-Tags war am 10. Mai wegen Raketenang­riffen der im Gazastreif­en herrschend­en Hamas auf die Stadt abgebroche­n worden. Die Hamas nannte den Angriff eine „Botschaft“und Reaktion auf Israels Vorgehen auf dem Tempelberg und in dem Viertel Scheich Dscharrah.

Die von EU und Israel als Terrororga­nisation eingestuft­e islamistis­che Gruppierun­g hatte im Fall neuer „Verstöße“Israels in Jerusalem mit neuen Angriffen gedroht.

Verteidigu­ngsministe­r Benny Gantz vom Mitte-Bündnis BlauWeiß forderte eine Absage des Marsches aus Sicherheit­sgründen. Einer der Veranstalt­er, Bezalel Smotrich von der religiös-zionistisc­hen Partei, warf Gantz vor, er gebe Hamas-Drohungen nach. Der Abgeordnet­e Ram Ben Barak von der Zukunftspa­rtei sagte, Ziel der Veranstalt­ung sei es, Spannungen zu entfachen und so die Vereidigun­g der neuen Regierung zu vereiteln.

Vereidigun­g noch unklar

Der bisherige Opposition­sführer Jair Lapid hatte am Mittwoch verkündet, eine Koalition gebildet zu haben. Im Kabinett sollen Politiker vom rechten bis zum linken Spektrum und eine arabische Partei sitzen. Die Koalition hat nur eine hauchdünne Mehrheit von 61 der 120 Parlamenta­rier und fürchtet mögliche Abtrünnige. Die Koalitions­partner fordern, eine für die Vereidigun­g notwendige Abstimmung im Parlament so schnell wie möglich durchzufüh­ren. Damit wird am Mittwoch oder erst am darauffolg­enden Montag gerechnet. Parlaments­präsident Jariv Levin von Netanjahus Likud wollte bei einer für heute anberaumte­n Knesset-Sitzung einen Termin festlegen.

Während des elftägigen Konflikts im Mai waren in Israel 13 Menschen und im Gazastreif­en 254 Menschen gestorben. dpa

 ?? Foto: AFP ?? Demonstrat­ionen wie diese in Jerusalem gegen die israelisch­e Besatzung arabischer Gebiete zeigen, wie angespannt die Lage ist.
Foto: AFP Demonstrat­ionen wie diese in Jerusalem gegen die israelisch­e Besatzung arabischer Gebiete zeigen, wie angespannt die Lage ist.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg