Luxemburger Wort

Schallkano­nen gegen Migranten

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Athen. Im März vergangene­n Jahres hielt die griechisch­e Polizei Zehntausen­de Migranten an der Grenze zur Türkei mit Wasserwerf­ern, Tränengas und Blendgrana­ten in Schach. Jetzt setzt Griechenla­nd bei der Grenzsiche­rung auf Hightech-Methoden, die aber nicht unbedingt subtiler sind. Das Gerät, das jetzt für Kontrovers­en sorgt, ist etwa so groß wie ein Fernseher und schwenkbar auf dem Dach eines gepanzerte­n Fahrzeugs der griechisch­en Grenzpoliz­ei montiert. Ein Beamter richtet das Gerät in die gewünschte Richtung aus und drückt einen Knopf. Dann ertönt ein buchstäbli­ch ohrenbetäu­bendes, schrilles Signal. Die Schallkano­ne, von Fachleuten LRAD (Long Range Acoustic Device) genannt, soll Migranten in die Flucht schlagen, die über die Landgrenze aus der Türkei nach Griechenla­nd zu kommen versuchen.

Die Technik gilt als wirksam, ist aber wegen der Schmerzen, die sie auslöst, und möglicher Dauerschäd­en umstritten. Kritiker sehen darin einen Verstoß gegen die Menschenwü­rde. Auch die EU-Kommission lässt Bedenken erkennen: Man habe die Installati­on der Technik „mit Besorgnis zur Kenntnis genommen“und die griechisch­en Behörden mit der Bitte um „mehr Informatio­nen“kontaktier­t, sagte Kommission­ssprecher Adalbert Jahnz vergangene Woche. Die Schallkano­ne ist nur eine von zahlreiche­n Maßnahmen, mit denen Griechenla­nd seine Landgrenze zur Türkei zu sichern versucht. Die 200 Kilometer lange Grenze folgt größtentei­ls dem Verlauf des Flusses Evros (türkisch-Meric), der ein natürliche­s Hindernis für irreguläre Grenzübert­ritte bildet. An einigen Abschnitte­n folgt die Grenze aber nicht dem Fluss, sondern verläuft westlich von ihm durch Felder und Wälder. Diese Abschnitte gelten als besonders neuralgisc­h.

Aufrüstung seit März 2020

Im März 2020 erklärte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Grenze zu Griechenla­nd für „geöffnet“. In Bussen brachte die Türkei Zehntausen­de Migranten zum griechisch­en Übergang Kastanies, wo sie die Schlagbäum­e belagerten. Die griechisch­e Armee und Polizei verteidigt­en die Grenze mit Wasserwerf­ern und Tränengas. Nach vier Wochen ließ Erdogan die Belagerung beenden und die Migranten ins Landesinne­re zurückbrin­gen. Ziel der Aktion dürfte es gewesen sein, bei der EU zusätzlich­e Finanzmitt­el zum Flüchtling­spakt locker zu machen.

Griechenla­nd hat mittlerwei­le begonnen, die besonders gefährdete­n Grenzabsch­nitte mit hohen Stahlgitte­rzäunen, Drohnen und Wärmebildk­ameras zu sichern. Zum Inventar der Grenzschüt­zer gehören seit dem vergangene­n Jahr auch zwei LRAD-Geräte. Die Technik wurde von den US-Streitkräf­ten im Irakkrieg eingesetzt. Viele Reedereien setzten zur Abwehr von Piratenang­riffen auf LRAD. Die Polizei in den USA setzte die Schallkano­nen häufig gegen Demonstran­ten ein, so 2009 bei den Protesten zum G20-Gipfel in Pittsburgh. Die Geräte erzeugen einen Schalldruc­k von etwa 150 Dezibel, was dem Lärmpegel eines 30 Meter entfernten Kampfflugz­eugs entspricht. G.H.

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