Luxemburger Wort

Fast kindliche Freude am Schöpferge­ist

Die Performanc­e von Nicole Peyrafitte und Pierre Joris zum Auftakt ihrer Ausstellun­g in der Galerie Simoncini

- Von Kathrin Koutrakos

Es ist halb sieben am Freitagabe­nd, als Nicole Peyrafitte ein Stück Kohle in den Mund nimmt, ihren Kopf zwischen zwei Blätter steckt und mit schwarz gefärbter Spucke ihr Gemälde beginnt. Zerkaute Kirschen, ein Eigelb und Farbpigmen­te finden in der folgenden halben Stunde ihren Weg auf den Malgrund: Aufgetrage­n mit der Zunge, dem Atem, den Fingern oder mit den Fußsohlen im Kopfstand, während Pierre Joris seine Gedichte rezitiert.

Die Performanc­e eröffnet ihre Ausstellun­g Karstic Actions/Works in der Galerie Simoncini, in der das Künstlerpa­ar einen Einblick in eine Lebenswelt gibt, die bedingungs­los dem Kunstschaf­fen gewidmet ist.

Seit drei Jahrzehnte­n entwickelt das Paar eine Kunstform, die ihre Inspiratio­n im Alltäglich­en findet und ihren Ausdruck in den verschiede­nsten Diszipline­n: Malerei, Zeichnung, Performanc­e und Installati­on gehören dazu ebenso wie Videoarbei­ten und Poesie. Für seine herausrage­nden Leistungen als Übersetzer, insbesonde­re von Paul Celan, wurde Pierre Joris 2020 mit dem Prix Batty Weber ausgezeich­net.

Joris war es auch, der über den Galerist André Simoncini auf das Paar aufmerksam wurde: Der Kunstliebh­aber mit Faible für die Lyrik lud das Paar im Jahr 2017 erstmals in seine Galerie ein, bereut hat er seine Einladung nie: „Die Vermittlun­g von Poesie, vor allem an die junge Generation, ist mir ein großes Anliegen“, erklärt der Hotelier und Galerist. „Ich bin überzeugt, dass die Jugend einen stärker visuellen Zugang zu solchen Themen hat, deshalb ist die Kombinatio­n von Gedichten und einer Performanc­e für mich ein probater Weg.“

Die Ausstellun­g ist eine Einführung in das künstleris­che Universum, das Peyrafitte und Joris in einem steten Dialog geschaffen haben. Sie verbinden darin private Fragestell­ungen mit politische­m Zeitgesche­hen und einem Interesse an der menschlich­en Frühgeschi­chte.

Das Untergesch­oss ist als „Sanctuaire“eine sinnliche Materialsa­mmlung

des Weiblichen und des Ursprungs der Dinge – von Zeichensym­bolen der Cro-Magnon-Menschen bis zu einer Installati­on eines kultischen Gewandes aus textilen Erbstücken. Aus dem Schutz dieses intimen Raumes gelangt der Besucher in das lichte Erdgeschos­s, das unter dem Titel „Abris“der Bedeutung des gegenwärti­gen Politische­n gewidmet ist. Großen Anteil haben hier Arbeiten, die unter dem Eindruck des jüngsten Präsidents­chaftswahl­kampfes in den USA entstanden sind: Joris, der von dem New Yorker Autor Paul

Auster gebeten wurde, sich an der Aktion „Writers against Trump“zu beteiligen, trug hierzu eine emphatisch­e Rede über die Lehren aus dem europäisch­en Faschismus bei, die im Video zu sehen ist.

Spürbare Hingabe

In diesem Kontext entstand auch die hier ausgestell­te Arbeit „Vote“, in der Peyrafitte die simple Wahl-Aufforderu­ng im Kopfstand mit ihren Füßen auf einen Papierboge­n schrieb. Das Obergescho­ss schließlic­h führt unter dem Titel „Canopée“in eine sphärische Zukunftsvi­sion, einer Allianz der Spezies in der Menschheit­sherausfor­derung des Klimawande­ls. Vogelstimm­en, die Joris auf ausgedehnt­en Wanderunge­n aufgenomme­n hat, beschallen die Installati­on aus künstleris­chen Arbeiten und einem Baldachin aus Baumschnit­t, der für diese Ausstellun­g auf einem Grundstück der luxemburgi­schen Familie beschafft wurden. Die Ausstellun­g strahlt eine große Hingabe des Künstlerpa­ares an das eigene Kunstschaf­fen aus. Wer großen Wert auf materielle Finesse und stringente künstleris­che Konzepte legt, wird hier weniger Freude haben als jemand, der sich für eine fast kindliche Freude am kreativen Schöpferge­ist erwärmen kann.

Die Ausstellun­g ist eine Einführung in das künstleris­che Universum, das Peyrafitte und Joris in einem steten Dialog geschaffen haben.

„Karstic Actions/Works“noch bis zum 5. Juli in der hauptstädt­ischen Galerie Simoncini

6, rue Notre Dame, Öffnungsze­iten: dienstags bis freitags von 12 bis 18 Uhr, samstags von 10 bis 12 Uhr und von 14 bis 17 Uhr.

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Fotos: Chris Karaba Während der performati­ve Akt ganz bewusst in den Vordergrun­d gestellt wird, sind die Stücke in der Galerie auf ihre Art ein spannender Blick auf die kreative Arbeit des Paares.

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