Ungewohnt im Mittelpunkt
Die Schulorganisation im hauptstädtischen Bahnhofsviertel sorgt im Gemeinderat für reichlich Diskussionen
Luxemburg. Üblicherweise gehört der Punkt „Schulorganisation“auf der Tagesordnung einer Gemeinderatssitzung zum jährlichen Pflichtprogramm, der ohne größere Diskussionen abgehandelt wird. Dies ist aber in diesem Jahr in der Hauptstadt nicht der Fall. Eine mögliche Zusammenlegung von drei Schulen im Bahnhofsviertel (siehe auch Kasten) sorgt seit Monaten für viele Diskussionen, so auch gestern in der Gemeinderatssitzung. Die Abstimmung erfolgt am Freitag.
Für die Opposition, bestehend aus Déi Gréng, Déi Lénk und LSAP, hatte das Thema hohe Priorität und sie hatte sogar einige Stunden vor der gestrigen Sitzung die Medien zu einer Pressekonferenz eingeladen, wo auch der Antrag zu diesem Thema vorgestellt wurde. „Wir wollen uns für die geplante Fusion stark machen. Die Schulpolitik soll ambitiös bleiben“, so LSAP-Rat Tom Krieps.
Das Oppositionstrio ist sich einig: „Die Schule muss jedem Kind die gleichen Chancen anbieten und auch auf die Bedürfnisse eines Kindes eingehen. Schule ist sehr wichtig für den sozialen Zusammenhalt in einer Stadt und auch in einem Viertel. Es darf kein Sozialneid entstehen und es dürfen keine Partikularinteressen spielen.“
In diesem Rahmen fällt auch immer wieder der Begriff des Schultourismus. Damit gemeint sind Eltern, die ihre Kinder in eine Schule außerhalb ihres Wohnortes einschreiben. „Es reicht, ein Formular auszufüllen“, erklärt Christa Brömmel (Déi Gréng). Kinder müssen entweder bei einem Verwandten zweiten Grades angemeldet sein oder vor der Grundschule eine Crèche in dem anderen Viertel besucht haben. „In Belair sind fast ein Drittel der Schulkinder nicht aus diesem Viertel, sondern aus Bonneweg, Gare oder Rollingergrund. Es wird nichts unternommen und sogar unterstützt“, so Tom Krieps. Eine weitere Statistik ist in diesem Zusammenhang interessant: Nur 50 Prozent der Kinder aus der Hauptstadt gehen in eine öffentliche Schule.
Mangel an Lehrpersonal
Ein weiterer Punkt, der in diesem komplexen Dossier mitspielt, ist der soziale Faktor. Der Vorwurf steht im Raum, dass es ein Kampf Reich gegen Arm ist – MichelWelter-Schule gegen Rue-duCommerce-Schule. Dagegen wehrt sich Jean-Marc Cloos vom Elternkomitee der Schule aus der Rue Michel Welter: „Das ist eine falsche Darstellung. Es ist ein guter Mix vorhanden, auch wenn die Menschen rund um diese Schule vielleicht besser gestellt sind.“
Fakt ist, dass der Ausländeranteil bei beiden Gebäuden stark variiert: 20 Prozent Luxemburger Kinder in der Rue du Commerce und 53 Prozent in der Rue Michel Welter. In der Rue du Commerce sind außerdem von 126 Kindern 30 Flüchtlingskinder. Bei einer solchen Zusammensetzung wird natürlich ein anderer Ablauf benötigt als bei Kindern, die in den
Unterrichtssprachen schon alphabetisiert sind. „Diesem Problem wurde jahrelang nur nachgeschaut und es wurde nicht agiert“, bemängelt Guy Foetz (Déi Lénk).
Ohne Neuorganisation würde es in Zukunft in der Schule der Rue Michel Welter sogenannte Zyklenklassen geben, also zwei verschiedene Jahrgänge zusammengelegt. Das Problem ist momentan: Für die drei Zyklenklassen gibt es nur noch eine ausgebildete Lehrkraft. „Es hatten sich Kandidaten gemeldet, die sind aber abgesprungen“, so die Opposition. Außerdem würde die Zahl der Kinder dort dann über dem angestrebten Durchschnitt von 16 pro Klasse liegen.
Ein weiterer Diskussionspunkt ist die generelle Sicherheitsdebatte im Bahnhofsviertel. Die Schule in der Rue du Commerce liegt in der Nähe der Rue de Strasbourg – der Hotspot zwischen Drogenszene und Straßenstrich – und kämpft um den guten Ruf. „Die Schule in der Rue du Commerce hat es nicht verdient, stigmatisiert zu werden. Mit ihren Aussagen hat die Bürgermeisterin dies bewirkt – gewollt oder ungewollt“, so Guy Foetz, der sich auch noch fragt: „Warum wird zum Beispiel dort der Schulhof nicht freundlicher gestaltet? Das würde bereits den Vorurteilen die Argumente nehmen.“
Tom Krieps wirft in diesem Kontext die Frage auf, „warum verschiedene Schulen einen schlechten Ruf“haben. „Ich mache den politischen Verantwortlichen den Vorwurf, dass in den vergangenen Jahren nicht ausreichend dagegen angekämpft wurde.“
Neues Viertel in Hollerich
Ein weiterer Punkt, der noch nicht geklärt ist, betrifft das neue Viertel „Nei Hollerich“auf dem Gelände von Paul Wurth und Heintz van Landewyck. Hier entstehen auf 21 Hektar 1 740 Wohneinheiten. Das wird die Einwohnerzahl von 10 700 Menschen im Bahnhofsviertel noch einmal erhöhen. Diese Kinder werden auch in den Schulen des Bahnhofsviertels eingeschult, da auf diesen 21 Hektar keine Schule eingeplant ist.
Schulschöffin Colette Mart (DP) stellt indes Besserung in Aussicht, da in den nächsten Jahren in der Rue Adolphe Fischer, wo sich das Polizeikommissariat befand, eine neue Schule gebaut werden soll. Die Opposition um Christa Brömmel ist diesbezüglich skeptisch: „2028 soll dieses neue Gebäude stehen. Es ist aber eher so, dass Schulgebäude in der Hauptstadt zehn Jahre bis zur Fertigstellung benötigen.“Dazu komme, dass hier „nur Platz für 180 Schüler“sei.
Dafür hat Colette Mart mittelfristig fünf weitere Posten für „Appui“-Stunden anzubieten – dies nachdem Bürgermeisterin Lydie
Polfer bei Parteikollege und Bildungsminister Claude Meisch interveniert hat.
Ihr DP-Kollege aus dem Gemeinderat Claude Radoux appellierte derweil daran, die Diskussion generell „sachlicher“anzugehen und bedauerte vor allem die persönlichen Attacken.
Die Stimmung in den Schulen des Bahnhofsviertels ist nicht gut. Mitglieder des Schul- und Elternkomitees haben ihren Rücktritt eingereicht. Dieses Dossier ist bereits einige Monate alt, aber noch lange nicht abgeschlossen.