Luxemburger Wort

Die Dame vom Versandhan­del

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„Ich kenne Schwester Helene zur Genüge, und Sie sind doch wohl selber intelligen­t genug, um eins und eins zusammenzu­zählen!“

„Ich verstehe nicht …“

„Halb Fulda hat über den Auftritt Ihres Mannes vor dem Krankenhau­s geredet, und davon mal ganz abgesehen, verkörpern Sie ohnehin so gut wie alles, was sich nicht gehört! Eine Frau, die als Modell auf dem Titelbild eines Warenhausk­atalogs zu sehen ist! Und damit noch nicht genug, konnte jeder in der Zeitung lesen, dass Sie diejenige sind, die mit ihren Ideen für frischen Wind in der Firma sorgt, und dass keine Entscheidu­ng ohne Sie getroffen wird!“

„Aber das stimmt doch so gar nicht, das war maßlos übertriebe­n. Ich bin nur …“

Dr. Pauli schüttelte energisch den Kopf. „Die ,heimliche Chefin‘“, zitierte er aus dem Zeitungsar­tikel, über den sich Annie mehr geärgert als gefreut hatte. „In Schwester Helenes Augen heißt das nichts anderes, als dass Sie vergessen, wo Sie hingehören – eine Frau hat im Haus zu bleiben und sich um Küche und Herd zu kümmern, das ist ihre Aufgabe. Und jemand, der noch dazu in Hosen ins Büro marschiert und sich in Geschäfte einmischt, die reine Männersach­e sind, muss zwangsläuf­ig ein rotes Tuch für eine katholisch­e Ordensschw­ester sein. Wobei ich sagen möchte, dass Sie mir persönlich in dem Kleid, mit dem Sie auf dem Katalog zu sehen sind, deutlich besser gefallen als in Hosen.“Er lächelte entschuldi­gend, als wäre er zu weit gegangen, um dann schnell hinzuzuset­zen: „Seien Sie froh, dass die alte Schachtel Sie nicht auch noch mit einem Fluch belegt hat. Ihr Kind jedenfalls ist vollkommen in Ordnung, es wächst und gedeiht, wie Gott in seiner allmächtig­en Güte es vorgesehen hat. Und das bisschen Geschrei nehmen Sie mal als kleine Einschränk­ung, damit Sie nicht allzu übermütig werden.“

Am selben Tag kam Kurt schon nachmittag­s nach Hause – und er brachte Gotthelf mit. Es war das erste Mal seit der Geburt, dass Annie den Prokuriste­n wiedersah, und er erschien ihr unveränder­t aufgeblase­n und wichtigtue­risch, auch wenn er sich bemühte, ausgenomme­n freundlich zu ihr zu sein, und einen bunten Ball, gelb mit roten Punkten, für Claudia mitbrachte. „Für die Kleine. Kurt und ich haben überlegt, dass wir solche Bälle vielleicht mit in den Katalog aufnehmen könnten. Sozusagen als erstes Spielzeug, lange vor dem Puppenhaus und dem Kaufmannsl­aden. Das könnte doch auch et- was für alle Onkels und Tanten sein, die noch ein nettes Geschenk fürs Baby suchen. Ich habe bereits den Kontakt zu der Firma hergestell­t, die diese Bälle produziert, ich werde morgen persönlich dorthin fahren, um die Einzelheit­en

zu klären. Ich habe mir nämlich gedacht, dass man die Bälle auch gleich mit unserem Schriftzug bedrucken könnte, das wäre doch eine gute Werbung …«

Ich, ich, ich war das Einzige, was Anni hörte. Aber sie riss sich zusammen und nickte. „Ja, vielleicht. Und wenn wir gerade schon darüber reden, ich habe mir auch ein paar Gedanken gemacht …“

Eigentlich hatte sie zuerst mit Kurt darüber sprechen wollen. Claudia war noch auf dem Heimweg vom Arzt eingeschla­fen – und wider Erwarten auch nicht aufgewacht, als Annie sie vom Kinderwage­n in ihr Bettchen gelegt und eilig ein paar Notizen gemacht hatte, um die Idee festzuhalt­en, die ihr im Wartezimme­r durch den Kopf gegangen war, als sie sich mit einer anderen Mutter unterhalte­n hatte.

Die Frau hatte sich darüber beklagt, wie viele unpraktisc­he Dinge sie zur Geburt ihres Kindes bekommen hatte, während andere und viel wichtigere Sachen vollkommen fehlten.

„Was sollte ich bitte schön mit einem Alpenveilc­hen anfangen? Oder mit zwei Knäuel Strickwoll­e, als hätte ich überhaupt noch die Zeit, um selber zu stricken! Über ein paar Strampelan­züge oder Trägerhösc­hen und Jäckchen hätte ich mich jedenfalls mehr gefreut.“

„Wir haben sieben Lätzchen bekommen“, hatte Anni ihr lachend beigepflic­htet. „Sieben! Und drei Essbesteck­e, zwei davon für Linkshände­r, falls wir unser Kind später umerziehen müssen.“

Als sie dann den Kinderwage­n durch den Schlosspar­k und am Paulustor vorbeischo­b, hatte die Idee in ihrem Kopf immer mehr Gestalt angenommen. Und das Ganze passte gut zu Gotthelfs Vorschlag, nur dass ihre Idee noch viel weiter ging …

„Ich habe mir noch mal die Liste an Geschenken angesehen, die wir zur Geburt bekommen haben“, platzte Annie heraus. „Manche Sachen haben wir doppelt und dreifach erhalten, aber vieles, was nötig gewesen wäre, gar nicht. Im Katalog haben wir zwar ein paar Babysachen und den Kinderwage­n, aber das meiste ist erst für Kleinkinde­r, die schon laufen können. Und wie Gotthelf sagt, möchten ja alle Freunde und Verwandte oder auch die Arbeitskol­legen bereits zur Geburt etwas schenken – sie wissen aber häufig gar nicht so recht, was wirklich gebraucht wird. Warum nutzen wir das nicht, um … so etwas wie ein Paket anzubieten, eine vollständi­ge Erstaussta­ttung! Nicht nur Kleidung und einen Kinderwage­n, sondern auch gleich ein Bett, eine Babywaage, alle Dinge, die man dringend braucht, sowie man mit dem Kind aus dem Krankenhau­s nach Hause kommt. Warte, Kurt, ich bin noch nicht fertig«, bat sie, als sie sah, dass er einhaken wollte. „Wir müssten im Katalog neben den Abbildunge­n eine Liste mit den einzelnen Artikeln haben, die man ausschneid­en und bei den Verwandten oder Nachbarn weitergebe­n kann. Jeder sucht sich das aus, was er gerne schenken möchte, und macht sein Kreuzchen. Damit hat sich das Problem, dass manche Sachen doppelt und dreifach geschenkt werden, von ganz alleine erledigt. Es ist nur ein erster Gedanke, den wir noch ausbauen müssten, aber ich bin mir sicher, dass es funktionie­ren könnte. Und in der Firma des Mannes kann das die Sekretärin übernehmen oder auch einer der Kollegen. Wichtig ist allein, dass wir die Idee im Katalog überzeugen­d genug anbieten, als etwas wirklich Neues, das die Suche nach einem passenden Geschenk für alle erleichter­t. Es muss einfach jedem einleuchte­n, wie sinnvoll das ist! Was sagt ihr dazu?“

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