Nachsorge
Luxemburg lockert, die Menschen strömen auf die Terrassen, in die Fußgängerzonen, in die Welt hinaus. Die Pandemie ist nicht vorbei, und doch entspannt sich die Lage zusehends, ja, man hat sie allmählich im Griff. Endlich ein wenig aufatmen, nach Monaten der Ungewissheit, nach Frust, Ärger, Angst und Leid. Auch die Regierung darf sich freuen, stellen ihr die Bürger im Politmonitor in puncto Corona-Maßnahmen kurz vor den Sommerferien doch noch ein durchaus zufriedenstellendes Zeugnis aus. Trotzdem: Die Politik darf es sich jetzt nicht zu einfach machen. Auf das große Aufatmen muss unbedingt das große Aufarbeiten folgen.
Denn eine kritische Auseinandersetzung mit dem von Luxemburg gewählten Weg, den getroffenen Entscheidungen und den gesetzten Prioritäten ist in dieser Krise unerlässlich. So wie die verheerende Entwicklung in den Altersund Pflegeheimen rückwirkend analysiert werden muss, so muss dies auch auf anderen Ebenen geschehen. Zu tief sind die Wunden, die die Krise hinterlassen hat – gesundheitlich, wirtschaftlich, sozial, gesellschaftlich. Und zu hoch das Risiko, dass das Ganze eben vielleicht doch nicht ganz so schnell überstanden sein wird.
Man erinnere sich nur an die Sachlage vor genau einem Jahr – mit überstürztem Optimismus und einem viel zu laut angepriesenen „Neustart“noch während des Etat de crise. Daraus lernen und es besser machen, muss nun die Devise lauten, und das kann nur gelingen, wenn mit Blick auf die zurückliegenden Monate auch unbequeme Fragen gestellt werden. Etwa, wie Luxemburg im vergangenen Herbst allen Prognosen zum Trotz dermaßen naiv in die zweite Welle gleiten konnte. Welche Grenzen und Schwachstellen die Pandemie im hiesigen Gesundheitssystem offenbart hat. Ob sich die groß angelegte Teststrategie bewährt hat, das Modell in den Schulen, die Impfstrategie. Wie man mit dem dramatischen Impakt von Corona auf die psychische Gesundheit, den auch der Politmonitor hervorhebt, umgeht. Gleiches gilt für die sozialen Auswirkungen und die Frage, wie man ihnen hätte entgegenwirken können. Untersucht werden müssen Kosten und Nutzen der wirtschaftlichen Maßnahmen für von der Krise gebeutelte Unternehmen. Und es muss hinterfragt werden, inwiefern die einzelnen Einschränkungen tatsächlich geholfen haben, das Virus einzudämmen, etwa die monatelang anhaltende, aber letztlich nie wirklich plausibel begründete Ausgangssperre. Sich aufrichtig mit dem Geschehenen auseinandersetzen muss aber nicht nur das Großherzogtum, sondern auch Europa. Eine Europäische Union, in der statt mit Geschlossenheit mit Grenzschließungen reagiert wurde, und die damit ihre wohl größte und vermeintlich unanfechtbare Errungenschaft auf bisweilen absurde und vor allem beschämende Art und Weise einfach ausgehebelt hat – mit allen Konsequenzen, die dies für die Bürger Europas mit sich brachte, den bitteren Nachgeschmack inklusive.
So sehr die Gesellschaft das Kapitel Corona am liebsten schnellstmöglich hinter sich lassen würde: Abschließen darf man es so schnell nicht. Luxemburg muss die richtigen Lehren ziehen und Verantwortung für die kommenden Generationen übernehmen. Weil man nie wissen kann, was noch kommt – und weil Vorsorge besser ist als Nachsorge.
Auf das große Aufatmen muss das große Aufarbeiten folgen.
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