Abgewickelt
Die Stasi-Unterlagen-Behörde wird heute Teil des deutschen Bundesarchivs – Bürgerrechtler von 1989 nennen das falsch
Kurz vor knapp gibt es noch einmal jede Menge Ärger. Die Schriftstellerin Ines Geipel fordert ihre Akte zurück. Sie ist überzeugt, dass sie beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR nicht sicher ist. Auszüge daraus sind im Umlauf, ohne dass sie – wie vorgeschrieben – über eine Anforderung informiert wurde. Als Hochleistungssportlerin ist die 1960 geborene Geipel ins Visier der Stasi geraten. Als Schreibende thematisiert sie die Folgen der DDRDiktatur. Der Berliner „Tagesspiegel“hat sie einmal eine „Entkommene“genannt; eine mit warmem Blick auf „die Untergegangenen“.
Falls die Bezeichnung korrekt ist – dann gilt sie auch und ganz besonders für den Staatssicherheitsdienst. Der offiziell Ministerium hieß, und zwar „der bewaffneten Organe“. Das „MfS“war zugleich Nachrichtendienst für In- und Ausland und Geheimpolizei. Als die Stasi unterging, während der friedlichen Revolution von 1989, spitzelten für sie hauptamtlich 91 000 Mitarbeiter; die Zahl der inoffiziellen, der sogenannten IM, liegt laut Wissenschaftlern zwischen 110 000 und 189 000 – bei 17 Millionen Einwohnern.
Bürger stürmten die Büros
Das Ende der Stasi ist für viele in den heutigen neuen Ländern die Erfolgsgeschichte der Revolution. Als bald nach dem Mauerfall bekannt wurde, dass die Spitzelbehörde quer durch die Republik Akten vernichtete – hinter vielen Dienststellen loderten Feuer, später fanden sich dort Berge von Asche: Da begannen Bürgerinnen und Bürger die Gebäude und Büros zu besetzen. Start war in Erfurt am 4. Dezember 1989 – am 15. Januar 1990 stürmten mehr als 100 000 Menschen als letztes die Zentrale in der Berliner Normannenstraße. Nicht nur die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley machte sich Gedanken, wem die dort lagernden Akten gehören sollten. Die Bevölkerung, fand sie, solle „die Kontrolle darüber übernehmen, wer diese Sachen bekommt“.
Es bekam sie – die nächste Behörde. Vielleicht ist das die Krux – oder zumindest eine von etlichen: Dass ein Amt gegründet wurde – und nach seinem Leiter benannt. Als sei da einer, der sich um alles selbst kümmern würde.
Konnte er – und zwischendrin sie – natürlich nicht. Und doch verschmolz die Behörde zumindest mit ihren ersten beiden Leitungen so, dass sie zunächst zehn Jahre lang „Gauck-Behörde“hieß – und danach elf „Birthler-Behörde“. Roland Jahn, dritter und auch letzter Chef, DDR-Oppositioneller wie der spätere Bundespräsident Joachim Gauck und die vormalige grüne Landesministerin Marianne Birthler auch, schaffte diese Identifikation nicht. Wohl auch, weil er sie nicht schaffen wollte. Und weil er, sozusagen, der Abwickler der Behörde ist.
Heute, am 17. Juni, 68 Jahre nach dem Aufstand gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen, den die SED, auch mit Hilfe der Stasi, blutig niederschlagen ließ – gehen BStU und alle Hinterlassenschaften der Stasi ins Bundesarchiv über. 111 Kilometer Akten. 1,8 Millionen Fotos. Knapp 2 900 Filme. Mehr als 23 000 Tondokumente.
Es gibt Protest. Immer noch. Für die Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler von 1989 ging es immer um mehr als nur ein Archiv.
Als „das letzte bundesweit sichtbare Denkmal der friedlichen Revolution“versteht die frühere Thüringer Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Hildigund Neubert, die Behörde. Sie verkörpere „die Hoffnung für viele Menschen in Diktaturen, dass die Diktaturen also auf Dauer nicht wegkommen“. Auch Ex-Leiterin Birthler hält das Ende für falsch. „Geschichte lässt sich nicht abwickeln“, mahnte sie, gemeinsam mit einigen Landesbeauftragten. Vergeblich.
Beauftragte für die SED-Opfer
Und so wird heute „die Übernahme der Verantwortung für die Stasi-Unterlagen durch das Bundesarchiv“gefeiert. In letzter Minute hat das Parlament noch rasch die DDR-Oppositionelle Evelyn Zupke zur „Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur beim
Das Ende der Stasi ist für viele in den heutigen neuen Ländern die Erfolgsgeschichte der Revolution.
Deutschen Bundestag“gewählt – für die Gegner der Auflösung nicht einmal eine Stasi-Unterlagen-Beauftragte light. Tatsächlich steht in Zupkes Aufgabenbeschreibung, dass sie „beraten“soll und „unterstützen“und „den Blick … schärfen“und „die gesellschaftliche Verständigung… vorantreiben“.
Viele der Opfer halten das für Kosmetik. Verdeckt Wunden – hilft aber nicht. Dass die Stasi-Hinterlassenschaften an den alten Orten in Berlin und im Osten bleiben und zugänglich, aber eben als Teil des Bundesarchivs, werten die Bürgerrechtler ähnlich. Im Sommer 1990 haben sie verhindert, dass die Akten auf Jahrzehnte gesperrt, manche sogar zeitnah vernichtet wurden. So hatte Helmut Kohl das im Einigungsvertrag festschreiben wollen. Stattdessen haben bislang mehr als zwei Millionen Menschen ihre Akten gelesen, 3,5 Millionen wurden auf etwaige Spitzelei überprüft. Und mehr als 35.000 Wissenschaftler und Journalisten haben in den Stasi-Hinterlassenschaften geforscht.
Ines Geipel, die Bespitzelte, hat zum 30. Jahrestag der Deutschen Einheit die „ostdeutsche Erfahrungswucht“gepriesen. Und beklagt, dass sie übersehen werde. „Noch immer.“