Endspurt im „Ibiza“-U-Ausschuss
Im großen Finale des Politdramas steht erneut der österreichische Kanzler Sebastian Kurz im Fokus
Die Infektionszahlen im Sinken, ein Füllhorn an populären Normalisierungsmaßnahmen zur Verfügung und das Ende eines zuletzt chronischen Kopfschmerzes in Griffweite: Österreichs Kanzler Sebastian Kurz blickt einem Sommer wie damals entgegen. Weniger wie damals vor Corona wohlgemerkt, als wie damals vor der „Ibiza“-Affäre. Denn es ist der Skandal um den ehemaligen Koalitionspartner der regierenden ÖVP, die FPÖ, der zuletzt vor allem Kurz und dessen ÖVP zugesetzt hat.
Hatte die parlamentarische Untersuchung des Videos, in dem sich der damalige FPÖChef Heinz Christian Strache um Kopf und Kragen geplappert hatte, doch nur mehr die ÖVP zum Thema – inklusive tiefer Einblicke in die Handhabe der Regierung und vor allem auch das Staatsverständnis der Türkisen. Der parlamentarische Ausschuss zur Untersuchung „betreffend mutmaßlicher Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“aber, der ist mit der parlamentarischen Sommerpause Geschichte. Er wird nicht verlängert. Vor allem, weil die Neuen an der Seite der ÖVP, die Grünen, die Koalition mit der ÖVP nicht platzen lassen wollten.
Verweigerung statt Kooperation
Großes Finale also in einem Ausschuss, der zuletzt Staatsaffären am laufenden Band hervorgebracht hatte. Und das sowohl inhaltlich als auch was das gesamte Rundherum angeht. Alle sollen sie noch einmal aussagen in den letzten Sitzungstagen: Sebastian Kurz, Finanzminister Gernot Blümel, deren Intimus Thomas Schmid und auch Ausschussvorsitzender Wolfgang Sobotka selbst. Hinzu kommen Ex-Finanzminister Josef Pröll, Justizministerin Alma Zadic sowie auch der suspendierte Spitzenbeamte im Justizministerium, Christian Pilnacek.
Inhaltlich dürfte sich dabei kaum etwas bewegen. Der Informationsgehalt hatte ja auch bereits bisher viel eher zwischen den Zeilen oder in der Handhabe der Situation gelegen als in den getätigten Aussagen selbst. Etwa, wenn Finanzminister Gernot Blümel bei seinem ersten Aufritt vor dem Ausschuss permanent Aussagen verweigerte und sich nicht einmal daran erinnern konnte, ob er denn einen Dienstlaptop gehabt habe in seiner Funktion als Kanzleramtsminister im KurzKabinett mit der FPÖ. Oder wenn Sebastian Kurz angab, in die Bestellung von Thomas Schmid zum Vorstand der staatlichen Beteiligungsgesellschaft ÖBAG in keiner Weise involviert gewesen zu sein – wobei knapp danach geleakte Chat-Protokolle viel eher nahe legen, dass Schmid von Kurz ganz gezielt in diese Position gehievt worden war.
Und auch im abschließenden Aufmarsch der großen Fische der Skandale dürfte sich ein Trend fortsetzen: Der zur Verweigerung. Davon Gebrauch machen dürfte vor allem einmal Christian Pilnacek. Der ist ja bereits angeklagt. Der Verdacht im konkreten Fall: Er soll in Absprache mit einem ebenfalls bereits suspendierten Ex-Justizminister und zuletzt Verfassungsrichter eine geplante Hausdurchsuchung vorab an Verdächtige verraten haben. Im Raum steht aber viel mehr noch der Verdacht, dass Pilnacek in seiner Funktion als Chef der Strafrechtssektion im Justizministerium gezielt Ermittlungen gegen das Umfeld der ÖVP in Sackgassen leitete, verdächtige Freunde vor Befragungen instruierte und unliebsame Staatsanwälte absägte oder sie in heiklen Fällen so mit Arbeit überhäufte, dass deren Verfahren verjährten.
Es ist ein verheerendes Bild, das das Material zeichnet, das der Ibiza-Ausschuss zutage gefördert hat: Das einer Regierungspartei als Staat im Staate, wo Ausschreibungen auf Freunde zurechtgezimmert werden, wo ein enger Kreis um den Kanzler sich selbst als „Familie“bezeichnet und alle anderen als „Pöbel“. Es ist das Bild eines engmaschigen Netzes aus Abhängigkeiten mit Hang zum Unsauberen bis Kriminellen.
Image-Desaster für Politik
Vor allem aber die Reaktionen des Kanzlers auf derartige Vorwürfe waren es, die zum Stresstest für die staatlichen Institutionen wurden und nach wie vor sind: Etwa, wenn sich Kurz weigerte, einem Verfassungsgerichtsurteil nachzukommen, wonach er E-Mail-Korrespondenzen an den Ausschuss aushändigen müsse und dann sagte: Man habe selbst nichts Relevantes in den Daten gefunden, folglich erhalte der Ausschuss keine Korrespondenzen.
Oder wenn Kurz direkt und massiv die aktivste Sonderstaatsanwaltschaft in der Sache angriff: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Die wollte Kurz dann plötzlich reformieren. Oder wenn Ausschussvorsitzender Sobotka plötzlich die Wahrheitspflicht für Auskunftspersonen im Ausschuss abschaffen wollte und zuletzt erneut auch wieder eine Reform der U-Ausschüsse ins Spiel brachte. All das im Paarlauf mit wüsten Angriffen auf die Opposition.
Noch ein paar Sitzungen sind es nun also noch, noch ein paar Aussagen – und dieses Kopfweh-Kapitel ist zumindest einmal abgeschlossen für Kurz. Und dann kann er kommen, der Sommer wie damals. Nur dass Kurz' bisher vor sich her getragenes Selbstbild vom sauberen Politiker und Reformer ohne Netzwerke Schnee von vorvorgestern ist.