Lernen, was gebraucht wird
Das Science Center will bei der Berufsorientierung helfen
Wenn Jugendliche die Schule abgeschlossen haben, spätestens da beginnt das Dilemma: Welche Ausbildung mache ich? Welche Studien gibt es? Was hat Zukunft?
Viele Berufe haben die Jugendlichen dabei gar nicht auf dem Radar, andere verschwinden – oder werden heute schon kaum noch gebraucht. Die Gefahr: junge Menschen studieren Fächer, für die es auf dem Arbeitsmarkt keine Verwendung mehr gibt. Auf der anderen Seite müssen die heutigen Schüler im Grunde auf Berufe vorbereitet werden, die es noch gar nicht gibt.
Hier will das Science Center in Differdingen helfen und sich verstärkt an Jugendliche und junge Studenten – besonders aber an Schüler in den Lycéen – richten. „Es gibt unzählige wichtige und interessante Berufe, die die jungen Leute gar nicht kennen“, sagt Nicolas Didier, Direktor des Luxembourg Science Center.
Zumal sich gerade jetzt mit der Digitalisierung von vernetzten Autos über Smart-Home bis zu vernetzten Produktionsabläufen viele Berufe, ja ganze Branchen völlig ändern: Schüler müssten darum schon früh in der Schule motiviert werden, sich für die neuen digitalen Berufe zu interessieren, so der Science Center-Direktor.
Dabei gehe es nicht darum, aus jedem einen Wissenschaftler zu machen oder ihn für Wissenschaft zu begeistern: „Wir wollen die Interessen, die bei den Besuchern vorhanden sind, verstärken“, so Didier. Ob das nun mit Optik, Musik oder Sport zu tun hat, denn auch solche Themenfelder deckt das Science Center ab.
Alte Berufe verschwinden, neue Berufe entstehen
Das Konzept des Science Center als reines Wissenschaftsmuseum hat sich gewandelt hin zur Technologievermittlung und Erfahrungshilfe zur Berufsorientierung. Es bietet Schülern ab 13 Jahren verschiedene Programm an. Sie werden „Orientation Science“, „Découverte des Professions et Métiers“oder „Future Skills“genannt und ermöglichen Kindern und Jugendlichen, in unterschiedliche Berufstätigkeiten einzutauchen, begleitet von Leuten vom Fach. Nicht zum Lernen, sondern zum Erfahren. Gefördert wird das Ganze vom Europäischen Sozialfonds, dem Bildungsministerium und der Chambre des Métiers.
Das Weltwirtschaftsforum schreibt in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2018, dass bereits im Jahr 2025 Maschinen mehr Arbeitsschritte erledigen werden als Menschen. Zwischen 2019 und 2022 werden weltweit schätzungsweise 75 Millionen Jobs wegfallen – während auf der anderen Seite rund 133
Millionen neue Stellen entstehen sollen. Dabei sind immer noch Domänen wie IT und Elektrotechnik „Männerberufe“. Auch das, so die Hoffnung, soll sich bald ändern, indem mehr Mädchen und Frauen gefallen an der technischen oder elektronischen Arbeitswelt finden.
In der Schule können engagierte Lehrer für Themen begeistern – die Schule mit Noten- und Leistungsdruck kann aber auch Fächer und Themen unbeliebt machen. Das muss aber nicht das ganze Leben lang so bleiben. Merkt man allerdings erst später als Erwachsener, dass einem wichtige Kenntnisse fehlen, ist es schwer, sich diese wieder anzueignen oder gar den Beruf zu wechseln und eine ganz neue Ausbildung zu machen.
Ein gutes Beispiel, dass „uninteressante“Schulfächer doch begeistern können, ist die Mitarbeiterin des Science Center Nathalie Gales, die nach eigenem Bekunden ihr Interesse an Physik erst nach der Schule an der Uni entdeckte. Letztendlich hat sie das Fach dann studiert. In der Laborküche des Science Center zeigt die Wissenschaftsvermittlerin, wie man Fachbereich, Wissenschaft und Beruf verbinden kann: „Wir hatten hier zum Beispiel einmal einen Workshop über Zucker“, sagt sie. „Das reicht vom Kochen und Backen bis hin zur Frage, was ist der Unterschied zwischen Zucker und Zuckerersatzstoffen, wie sieht Zucker unter dem Mikroskop aus und so weiter“.
Es gehe darum, Interesse an den Naturwissenschaften zu wecken, „denn darin stecken viel mehr Berufsmöglichkeiten
als man denkt“, sagt Didier. Dabei wolle man dem Publikum Wissenschaft auf andere Weise näher bringen als das akademisch oder in der Schule geschehe. Besucher des Science Center können Instrumente ausprobieren – etwa eine Zentrifuge wie im Astronautentraining – und damit am eigenen Leib erfahren, was „G-Kräfte“bedeuten, oder wie ein Kilogramm durch die Hebelwirkung plötzlich deutlich schwerer oder leichter zu sein scheint.
Während ein Lehrer in der Schule Formeln an die Tafel schreibt und sagt, dass es sich dabei um den Zitronensäurezyklus oder eine Differentialgleichung handelt mit dem Effekt, dass mancher Schüler sich schon innerlich aus dem Unterricht verabschiedet, soll im Science Center Wissenschaft fächerübergreifend praktisch nahegebracht werden. Das „Entdeckungszentrum für Wissenschaft und Technologie“kooperiert darum auch mit Unternehmen wie Creos, Post, der CFL oder Cargolux, betreibt einen Roboter von Fanuc sowie einen Scanner von Artec3D; der nächste Schritt wird eine Kooperation mit der Handelskammer sein.
„Wir versuchen, alle Wissenschaften abzudecken“, so Didier. Aus diesem Grund wird auch ausgebaut, so dass das Science Center in Zukunft etwa 60 Prozent größer ist als heute auf dann etwa 1 700 Quadratmeter. Dann wird vor allem „produziert“, so dass Besucher sehen, wie eine CNC, eine computergesteuerte Werkzeugmaschine, funktioniert oder eine Wasserschneidmaschine.
Es gibt unzählige Berufe, die die jungen Leute gar nicht kennen. Nicolas Didier, Direktor des Luxembourg Science Center
Was gebraucht wird, sind Fähigkeiten
„Was heute von der Wirtschaft gefragt ist, ist eigentlich kein Beruf, sondern Fähigkeiten“, so Didier. Er sieht es vor allem als Aufgabe des Science Center an, junge Menschen zu motivieren, sich Fähigkeiten anzueignen: „Früher war Medizin Medizin, Bauwirtschaft
Bauwirtschaft, Physik Physik und Chemie Chemie – heute werden aber in all diesen Fächern ähnliche Fähigkeiten verlangt, denn die benutzten Instrumente sind oft die gleichen oder es steckt zumindest die gleiche Technologie dahinter.“Mit einem Laser kann man heute genauso Pipeline-Rohre schneiden wie an der Augenlinse operieren. „Unser Problem ist heute, dass wir nicht genügend Studenten haben, die sich in solchen Fächern spezialisieren.“Oft aus dem Grund, weil sie vor Technik Hemmungen haben oder schlicht Technologien und Wissenschaften – und damit Berufsmöglichkeiten – gar nicht kennen. „Psychologie liegt eben näher als Data Science, Lebensmittel- oder Energietechnik“, so Didier. Indem Naturwissenschaft visuell und anfassbar gemacht werde, wolle man vermitteln, was Mathematik oder Physik konkret bedeuten – und so die Scheu vor solch klassischen „Angstfächern“nehmen. Viele Schüler, die mit der Schulklasse da waren, kommen später mit ihren Eltern wieder, erklärt Didier. Ein gutes Zeichen, wie er findet.
Erst nach der Schule, an der Uni, entdeckte ich mein Interesse an Physik. Nathalie Gales, Wissenschaftsvermittlerin im Science Center