Kreativ gestalten und lernen
Centre Formida begleitet Jugendliche und junge Erwachsene auf ihrem Weg zur Ausbildung
Esch/Alzette. Fährt man durch das Tor des Centre Formida in Esch/Alzette, wird man an die Geschichte des Eisenerzes erinnert. Hier ist man auf der Roten Erde, der „Terre rouge“neben Ellergronn, wo sich die Natur über die Jahre die Industrieflächen wiedererobert hat. Das Centre Formida, das Jugendliche und junge Erwachsene betreut, ist in ehemaligen Arbed-Hallen aus den 1920er-Jahren untergebracht. Nach der Stilllegung wurden die Hallen vom Schreinerbetrieb Lavandier genutzt, bevor sie vom Centre Formida übernommen wurden.
Prinzip Kreislaufwirtschaft
In verschiedenen Ateliers zu den Fachbereichen Schreinerei, Elektronik und Schlosserei sowie Logistik, Medien und Digitalisierung wird gewerkelt, repariert, gebastelt, geknipst oder gefilmt aber auch diskutiert und koordiniert zwischen Erziehern, Handwerkern und den von ihnen betreuten Jugendlichen. Um die Räumlichkeiten zu verbessern, wird auch mal gestrichen oder es werden Fliesen verlegt. Jedoch dreht sich am Ende alles um die Logistik, wo das verwendete Material ankommt, sortiert, gelagert und an die verschiedenen Ateliers verteilt wird.
Das Material stammt von Firmen oder Recyclingzentren und wird im Rahmen von pädagogischen Workshops und der beruflichen Orientierung handwerklich kreativ zu neuen Objekten umfunktioniert. Der gesamten Arbeit liegt nämlich die Kreislaufwirtschaft zugrunde. „Es wird kaum etwas neu gekauft. Wir benutzen weitestgehend wiederverwendetes Material. Somit zeigen wir den Jugendlichen vielfältige Möglichkeiten und dass man nichts Neues kaufen muss, um ein tolles Produkt herzustellen“, erklärt Viviane Hansen, Leiterin des Centre Formida seit Mitte 2019.
Auf diese Weise könne man die Kreativität der Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders gut fördern. Auch im Bereich Digitales und Neue Medien können die Jugendlichen ihre Ideen umsetzen, dies in Form von Grafikdesign, Videos oder Fotos, die sie während der kreativen Prozesse aufnehmen und später zusammensetzen. Neben der Arbeit in den Ateliers, werden die Jugendlichen auch darin beraten, wie sie eine Bewerbung aufstellen oder bei einem Vorstellungsgespräch die Ruhe bewahren können.
Respekt und Interaktion
Lucas hatte im Centre Formida in den vergangenen Monaten die Möglichkeit, verschiedene Fachbereiche kennenzulernen. Er schätzt ganz besonders die Vielfältigkeit und die Kreativität. So hat er in Begleitung
des Berufhandwerkers Alexander Becker zum Beispiel unterschiedliche Modelle von Lampen entworfen. „Ich erkläre ihnen die Grundregeln, was Strom überhaupt ist, wie ein Kreislauf funktioniert und was die fünf Sicherheitsregeln sind. Danach lasse ich sie weitestgehend eigenständig arbeiten und stehe bei Fragen zur Seite“, erklärt Alexander Becker. Was Lucas dabei noch zusätzlich gelernt hat, sind Respekt im Umgang mit anderen, Ruhe zu bewahren und die Zusammenarbeit.
Auch Mia und Eloi befürworten die Tatsache, dass sie im Centre Formida einen Einblick in unterschiedliche Berufe bekommen konnten. Beide helfen im Bereich Logistik und Koordination mit, während sich Mia bei der Hotelschule beworben hat und Eloi eine Lehre im Baugewerbe anvisiert. „Wir helfen den Jugendlichen, am Ball zu bleiben, Ausdauer bei der Arbeit zu erlernen sowie soziale Kompetenzen zu entwickeln“, erzählt Anes Agovic der seit etwa fünf Jahren als Erzieher arbeitet. Außerdem sei es wichtig, zu zeigen, dass man etwas ausprobieren kann, ohne den Druck zu verspüren, keine Fehler machen zu dürfen.
Im Centre Formida werden junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren aufgefangen, die nach der Neuvième Technique des Sekundarunterrichts keinen Ausbildungsplatz gefunden oder die Schule abgebrochen haben. Sie sollen hier an das Arbeitsleben herangeführt werden und herausfinden, was sie aus ihrem Leben machen wollen. Die geregelten Arbeitszeiten von montags bis freitags, von 8 bis 15 Uhr, und die pädagogische Begleitung helfen ihnen auf diesem Weg.
Neben Erziehern arbeiten im Zentrum auch Handwerker und Künstler. Insgesamt begleitet ein Team aus 30 Angestellten etwa 40 junge Menschen.
Platz zum Wohnen
Dieser übergreifende Ansatz sei besonders bereichernd und förderlich für alle Beteiligten, erläutert Viviane Hansen. Nach einem Jahr integrieren die Schüler für gewöhnlich die Schule der zweiten Chance, finden eine Ausbildungsstelle in einem Betrieb oder schließen die Lehre ab. Denn das Ziel des Centre Formida besteht darin, zu verhindern, dass die Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Schule oder Ausbildung ganz abbrechen.
Neu ist auch das Internat Formida Wunnen, das seit April 13 Schüler zwischen zwölf und 19 Jahren aus dem Lycée Guillaume Kroll beherbergt und am 8. Juli gemeinsam mit den neuen Räumlichkeiten der Ateliers öffentlich eingeweiht wird. Jugendliche sollen sich hier außerhalb ihres familiären Umfeldes mit kreativen Bildungs- und Freizeitaktivitäten auf ihre schulische und berufliche Entwicklung konzentrieren können.
Festigen für das Berufsleben
Wichtig sei bei den ganzen Anstrengungen, dass die Jugendlichen nicht nach ein paar Wochen die Lehre oder Ausbildung wieder abbrechen. Sie sollen in ihrem Alltag stabilisiert werden, technische
Fähigkeiten sowie Ausdauer entwickeln und Perspektiven für die Zukunft bekommen.
Es verstehe sich, dass bei einem Unternehmen die pädagogische Betreuung wegfällt und der Schüler nicht mehr begleitet werden kann wie beim Centre Formida, erklärt Viviane Hansen. Der Übergang von der behüteten FormidaWelt in die reale Welt stelle ein Kontrast dar. Eine verlängerte pädagogische Begleitung könnte den Jugendlichen dabei helfen, den Halt nicht zu verlieren.