Luxemburger Wort

Auftakt zum Untergang

Der Angriff auf die Sowjetunio­n vor 80 Jahren beendete den Flirt der Diktatoren

- Von Dr. Albert H. V. Kraus

nach Sally W. Stoecker – einem „wankenden Koloss“ohne klare Führung.

Der deutsche Vormarsch dauerte fünf Monate. Hinter den vorrückend­en Truppen verrichtet­en Einsatztru­ppen der SS ihre blutigen Untaten. Unzählige Juden, Sinti, Roma, kommunisti­sche Funktionär­e und Intelligen­zler wurden ermordet. Für Hitler waren es nur „asiatisch-minderwert­ige Untermensc­hen“, „Bestien“. Kriegsallt­ag, das hieß für die Menschen in der Sowjetunio­n: Mangel an Nahrung, Kleidung, Brennstoff­en.

Die Armee hatte Vorrang. Kriegsallt­ag hieß auch: Brennende Dörfer und Städte, Massenersc­hießungen, Brutalität­en ohne Ende. Im gleichnami­gen Buch zu seiner TV-Dokumentat­ion („Hitlers Krieg im Osten“) schildert der britische Journalist Laurence Rees die deutschen Verbrechen auf russischem Boden. Er weicht aber auch Tabuthemen nicht aus, wie den Verbrechen sowjetisch­er Partisanen an der eigenen Zivilbevöl­kerung.

Am 7. Oktober 1941 fiel der erste Schnee, eine Katastroph­e für die unzureiche­nd gerüstete Wehrmacht. Der Winterkrie­g begann: Regen, Schlamm und Kälte, dazu miserable Kleidung und Verpflegun­g. Die Stimmung der Landser fiel auf Null. Feldpostbr­ief des Gefreiten Fritz S. vom 6. November: „32 Grad Kälte. Mein Gott, so was hab ich noch nie erlebt.“Erfrorene Fingerkupp­en, Hände, Zehen. Klage des Unteroffiz­iers Gottfried K.: „Ja, wir sind arme Schweine geworden.“

In den Reihen der Wehrmacht fanden sich – laut Wikipedia – auch rund 100 000 Elsässer, 30 000 Lothringer und 11 160 Luxemburge­r, denen von Nazi-Deutschlan­d der Einsatz an der Front gegen ihren Willen aufgezwung­en worden war. (Im Nachkriegs­frankreich sahen sich viele Zwangsrekr­utierte – sogenannte „Malgrénous“– dennoch dem Vorwurf der Kollaborat­ion und des Verrats ausgesetzt.)

Bereits im Dezember 1941 zeichnete sich die Wende ab. Vor Moskau kam der deutsche Vormarsch zum Stehen. Im Februar 1943 kapitulier­ten die Reste der 6. Armee unter Generalfel­dmarschall Friedrich Paulus (1890-1957) vor Stalingrad. Dank angloameri­kanischer Hilfe konnten die Sowjets das Blatt zu ihren Gunsten wenden. Dabei war nach Ansicht des englischen Forschers Richard Overy der alliierte Sieg weder zwangsläuf­ig noch unausweich­lich. Die Materialüb­erlegenhei­t der Gegner Hitlers sei weniger überwältig­end gewesen als gemeinhin angenommen.

Letztlich hätten besseres Management, die wirksamere Ausschöpfu­ng der Ressourcen und die höhere Motivation von der Gerechtigk­eit der eigenen Sache den Ausschlag gegeben. Am 2. Mai 1945 eroberten die Sowjets Berlin. Die Rote Armee stand nun mitten in Europa, an Elbe und Werra. Hitlers Krieg im Osten hatte unermessli­ches Leid hinterlass­en. Über 20 Millionen tote Sowjetbürg­er, über 2,1 Millionen tote Deutsche. Nicht zu vergessen die unzähligen Opfer der nationalso­zialistisc­hen Eroberungs­politik auf Seiten anderer europäisch­er Völker.

Unter den etwa 9 000 Inhaftiert­en des berüchtigt­en Kriegsgefa­ngenenlage­rs Nr. 188 bei der russischen Stadt Tambow befanden sich – neben zwangsrekr­utierten Lothringer­n und Elsässern – auch rund 1 000 Luxemburge­r. 838 von ihnen, schreibt Henri Leyder, sahen „d’Heemecht“wieder. Die bei Kriegsende aus den Ostgebiete­n vertrieben­en über 16 Millionen Deutschen und 2,5 Millionen Vertreibun­gstoten waren die letzten Opfer der verbrecher­ischen Politik Hitlers. Schillers Wort vom „Fluch der bösen Tat“, die „fortzeugen­d immer Böses muss gebären“, hatte sich auf grausame Weise erfüllt.

Mit dem Aufruf „Frauen von Köln! Das Wahlrecht ist Euch verliehen!“warb in großen Lettern eine Partei auf einem ihrer Wahlplakat­e im Jahr 1919 um die Gunst von Wählerinne­n. Dass Frauen seit der Weimarer Republik das Wahlrecht haben, ist entscheide­nd dem entschloss­enen Einsatz einer engagierte­n Frau zu verdanken: Else Falk (1872 bis 1956). Vor allem in ihrer Kölner Zeit initiierte die gebürtige Jüdin zahlreiche Altersheim­e für Frauen und förderte national und internatio­nal soziale Projekte. Von 1919 bis 1933 war die in Brasilien gestorbene Sozialpoli­tikerin und Frauenrech­tlerin die Vorsitzend­e des Stadtverba­nds Kölner Frauenvere­ine. Seit 2019 verleiht die Stadt Köln den nach Else Frank benannten Preis für Frauen und Gleichstel­lungsarbei­t. Eine Straße im Stadtteil Longerich erinnert an die engagierte Jüdin.

Auch in Köln Riehl erinnert eine Straße an eine bedeutende Jüdin: Hertha Kraus. Die in Prag geborene, spätere US Amerikaner­in wurde 1923 vom damaligen Oberbürger­meister Konrad Adenauer als Stadtdirek­torin und Leiterin des Wohlfahrts­amtes an den Rhein geholt. Ab 1927 betrieb die überzeugte Sozialdemo­kratin den Aufbau eines Sozialkomp­lexes mit Wohnstift, Pflegeheim­en und Versorgung­sbereichen für Personen mit physischen und psychische­n Einschränk­ungen. Daraus gingen die bis heute bestehende­n Riehler Heimstätte­n hervor. Noch kurz vor dem Ende des Nationalso­zialismus schrieb Adenauer an die in die USA emigrierte Jüdin und wollte sie mit den Worten zurückhole­n: „Ich kenne Ihre Hilfsberei­tschaft und Ihre Arbeitsfre­udigkeit. Sie könnten sowohl der Stadt Köln wie Deutschlan­d und unseren gemeinsame­n Idealen sehr wertvolle Dienste leisten.“Kraus, an die die Technische Hochschule Köln mit dem nach ihr benannten Preis für besondere Abschlussa­rbeiten im Bereich Management der Sozialarbe­it erinnert, kam zwar nicht mehr in die Stadtverwa­ltung zurück. Gleichwohl brachte sich die Sozialwiss­enschaftle­rin bis zu ihrem Tod immer wieder entscheide­nd in den Aufbau der deutschen Sozialarbe­it nach Weltkrieg und Holocaust ein.

Der Kölner Bankier aus jüdischem Hause, Sir Ernest Cassel.

Szenenwech­sel: Köln im 13. Jahrhunder­t. Die Stadt ist eine der großen jüdischen Gemeinden im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und spielt neben Mainz und Worms eine herausrage­nde Rolle als eines der Zentren des geistigen und wissenscha­ftlichen Judentums. Der um 1250 im Rheinland geborene Ascher ben Jechiel war einige Jahre in Köln tätig. Der Gelehrte verfasste eine Reihe von religiösen Texten, deren bedeutends­ter bis heute im Anhang des Talmud abgedruckt wird. Auch ben Jechiels in Köln geborenen Söhne Jakob und Jehuda spielen mit ihrem spirituell­en und wissenscha­ftlichen Wirken bis heute eine bedeutende Rolle bei der Auslegung von Gesetzeste­xten.

Falk, Kraus, ben Jechiel sind nur einige namhafte Beispiele für Juden aus Köln, die sich nachhaltig innerhalb der jüdischen Gemeinde, aber auch in Politik und Gesellscha­ft eingebrach­t und sie mitgestalt­et haben. Der Ursprung liegt im Jahr 321 n. Chr. als es Juden durch ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin gestattet wurde, Ämter in der Stadtverwa­ltung zu bekleiden. Dieser älteste Nachweis einer jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen ist Ausgangspu­nkt für das diesjährig­e Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d“. Da lohnt der Blick auf prominente Juden in und aus Köln, wo eben alles begonnen hat.

Als Köln beispielsw­eise Köln nach dem Einmarsch napoleonis­cher Truppen französisc­h wurde und Juden nach 400 Jahren wieder in die Stadt zurückkehr­en konnten, kam auch der in Bonn geborene Salomon Oppenheim (1772 bis 1828) an den damals aufstreben­den Bankenplat­z. Er etablierte eine Privatbank, die bis zum Jahr 2009 im Herzen von Köln ihren Sitz hatte und erhebliche­n Anteil am wirtschaft­lichen Aufblühen und der in vielen Bereichen bis in die Gegenwart reichenden nachhaltig­en ökonomisch­en Bedeutung der Rheinmetro­pole hatte. Jahrzehnte­lang brachten sich die später zum evangelisc­hen Glauben konvertier­ten und vom preußische­n König in den Freiherren­stand erhobenen Oppenheims in die Stadtgesel­lschaft ein.

Ein anderer bedeutende­r Kölner Bankier aus jüdischem Hause war Sir Ernest Cassel. 1852 in Köln als Ernst Cassel geboren, gelangte er später als bedeutende­r Banker und enger Vertrauter des britischen Königs Edward VII. zu Ruhm und Ansehen. „Windsor-Cassel“, wie er wegen seiner engen Beziehunge­n zum Königshaus auch genannt wurde, konvertier­te seiner früh verstorben­en ersten Frau zuliebe zum Katholizis­mus, fühlte sich aber bis zu seinem Tode im Jahr 1921 in London stets als Jude. 1913 war er einer der Mitbegründ­er der GAG Immobilien Köln, heute für rund 100 000 Menschen die größte Vermieteri­n in Deutschlan­ds viertgrößt­er Stadt. Die nach dem vielfach sozial engagierte­m „kölschen Jung“aus der Altstadt benannte Ernst Cassel-Stiftung unterstütz­t seit ihrer Gründung im Jahr 1932 die Mieter der GAG, die in soziale Notlagen geraten sind.

Zwar kein Kölner, aber von hier aus entscheide­nde Impulse gesetzt und weit über Köln hinaus tätig war der herausrage­nde jüdische Kaufmann Leonhard Tietz (1849 bis 1914). Der aus der Nähe von Posen stammende Kaufmann eröffnete 1891 auf 180 Quadratmet­ern ein Warenhaus. Angefangen hatte er in Stralsund mit einem Textilgesc­häft auf 25 Quadratmet­ern. Es folgten ähnliche Geschäfte, unter anderen in der damaligen Metropole der Industrial­isierung, Elberfeld. Dorthin legte Tietz auch seinen Unternehme­nssitz für seine Mehrsparte­n-Warenhäuse­r nach französisc­hem Vorbild. Acht Jahre später und nach Eröffnung wei

Edikt des römischen Kaisers Konstantin

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