Auftakt zum Untergang
Der Angriff auf die Sowjetunion vor 80 Jahren beendete den Flirt der Diktatoren
nach Sally W. Stoecker – einem „wankenden Koloss“ohne klare Führung.
Der deutsche Vormarsch dauerte fünf Monate. Hinter den vorrückenden Truppen verrichteten Einsatztruppen der SS ihre blutigen Untaten. Unzählige Juden, Sinti, Roma, kommunistische Funktionäre und Intelligenzler wurden ermordet. Für Hitler waren es nur „asiatisch-minderwertige Untermenschen“, „Bestien“. Kriegsalltag, das hieß für die Menschen in der Sowjetunion: Mangel an Nahrung, Kleidung, Brennstoffen.
Die Armee hatte Vorrang. Kriegsalltag hieß auch: Brennende Dörfer und Städte, Massenerschießungen, Brutalitäten ohne Ende. Im gleichnamigen Buch zu seiner TV-Dokumentation („Hitlers Krieg im Osten“) schildert der britische Journalist Laurence Rees die deutschen Verbrechen auf russischem Boden. Er weicht aber auch Tabuthemen nicht aus, wie den Verbrechen sowjetischer Partisanen an der eigenen Zivilbevölkerung.
Am 7. Oktober 1941 fiel der erste Schnee, eine Katastrophe für die unzureichend gerüstete Wehrmacht. Der Winterkrieg begann: Regen, Schlamm und Kälte, dazu miserable Kleidung und Verpflegung. Die Stimmung der Landser fiel auf Null. Feldpostbrief des Gefreiten Fritz S. vom 6. November: „32 Grad Kälte. Mein Gott, so was hab ich noch nie erlebt.“Erfrorene Fingerkuppen, Hände, Zehen. Klage des Unteroffiziers Gottfried K.: „Ja, wir sind arme Schweine geworden.“
In den Reihen der Wehrmacht fanden sich – laut Wikipedia – auch rund 100 000 Elsässer, 30 000 Lothringer und 11 160 Luxemburger, denen von Nazi-Deutschland der Einsatz an der Front gegen ihren Willen aufgezwungen worden war. (Im Nachkriegsfrankreich sahen sich viele Zwangsrekrutierte – sogenannte „Malgrénous“– dennoch dem Vorwurf der Kollaboration und des Verrats ausgesetzt.)
Bereits im Dezember 1941 zeichnete sich die Wende ab. Vor Moskau kam der deutsche Vormarsch zum Stehen. Im Februar 1943 kapitulierten die Reste der 6. Armee unter Generalfeldmarschall Friedrich Paulus (1890-1957) vor Stalingrad. Dank angloamerikanischer Hilfe konnten die Sowjets das Blatt zu ihren Gunsten wenden. Dabei war nach Ansicht des englischen Forschers Richard Overy der alliierte Sieg weder zwangsläufig noch unausweichlich. Die Materialüberlegenheit der Gegner Hitlers sei weniger überwältigend gewesen als gemeinhin angenommen.
Letztlich hätten besseres Management, die wirksamere Ausschöpfung der Ressourcen und die höhere Motivation von der Gerechtigkeit der eigenen Sache den Ausschlag gegeben. Am 2. Mai 1945 eroberten die Sowjets Berlin. Die Rote Armee stand nun mitten in Europa, an Elbe und Werra. Hitlers Krieg im Osten hatte unermessliches Leid hinterlassen. Über 20 Millionen tote Sowjetbürger, über 2,1 Millionen tote Deutsche. Nicht zu vergessen die unzähligen Opfer der nationalsozialistischen Eroberungspolitik auf Seiten anderer europäischer Völker.
Unter den etwa 9 000 Inhaftierten des berüchtigten Kriegsgefangenenlagers Nr. 188 bei der russischen Stadt Tambow befanden sich – neben zwangsrekrutierten Lothringern und Elsässern – auch rund 1 000 Luxemburger. 838 von ihnen, schreibt Henri Leyder, sahen „d’Heemecht“wieder. Die bei Kriegsende aus den Ostgebieten vertriebenen über 16 Millionen Deutschen und 2,5 Millionen Vertreibungstoten waren die letzten Opfer der verbrecherischen Politik Hitlers. Schillers Wort vom „Fluch der bösen Tat“, die „fortzeugend immer Böses muss gebären“, hatte sich auf grausame Weise erfüllt.
Mit dem Aufruf „Frauen von Köln! Das Wahlrecht ist Euch verliehen!“warb in großen Lettern eine Partei auf einem ihrer Wahlplakate im Jahr 1919 um die Gunst von Wählerinnen. Dass Frauen seit der Weimarer Republik das Wahlrecht haben, ist entscheidend dem entschlossenen Einsatz einer engagierten Frau zu verdanken: Else Falk (1872 bis 1956). Vor allem in ihrer Kölner Zeit initiierte die gebürtige Jüdin zahlreiche Altersheime für Frauen und förderte national und international soziale Projekte. Von 1919 bis 1933 war die in Brasilien gestorbene Sozialpolitikerin und Frauenrechtlerin die Vorsitzende des Stadtverbands Kölner Frauenvereine. Seit 2019 verleiht die Stadt Köln den nach Else Frank benannten Preis für Frauen und Gleichstellungsarbeit. Eine Straße im Stadtteil Longerich erinnert an die engagierte Jüdin.
Auch in Köln Riehl erinnert eine Straße an eine bedeutende Jüdin: Hertha Kraus. Die in Prag geborene, spätere US Amerikanerin wurde 1923 vom damaligen Oberbürgermeister Konrad Adenauer als Stadtdirektorin und Leiterin des Wohlfahrtsamtes an den Rhein geholt. Ab 1927 betrieb die überzeugte Sozialdemokratin den Aufbau eines Sozialkomplexes mit Wohnstift, Pflegeheimen und Versorgungsbereichen für Personen mit physischen und psychischen Einschränkungen. Daraus gingen die bis heute bestehenden Riehler Heimstätten hervor. Noch kurz vor dem Ende des Nationalsozialismus schrieb Adenauer an die in die USA emigrierte Jüdin und wollte sie mit den Worten zurückholen: „Ich kenne Ihre Hilfsbereitschaft und Ihre Arbeitsfreudigkeit. Sie könnten sowohl der Stadt Köln wie Deutschland und unseren gemeinsamen Idealen sehr wertvolle Dienste leisten.“Kraus, an die die Technische Hochschule Köln mit dem nach ihr benannten Preis für besondere Abschlussarbeiten im Bereich Management der Sozialarbeit erinnert, kam zwar nicht mehr in die Stadtverwaltung zurück. Gleichwohl brachte sich die Sozialwissenschaftlerin bis zu ihrem Tod immer wieder entscheidend in den Aufbau der deutschen Sozialarbeit nach Weltkrieg und Holocaust ein.
Der Kölner Bankier aus jüdischem Hause, Sir Ernest Cassel.
Szenenwechsel: Köln im 13. Jahrhundert. Die Stadt ist eine der großen jüdischen Gemeinden im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation und spielt neben Mainz und Worms eine herausragende Rolle als eines der Zentren des geistigen und wissenschaftlichen Judentums. Der um 1250 im Rheinland geborene Ascher ben Jechiel war einige Jahre in Köln tätig. Der Gelehrte verfasste eine Reihe von religiösen Texten, deren bedeutendster bis heute im Anhang des Talmud abgedruckt wird. Auch ben Jechiels in Köln geborenen Söhne Jakob und Jehuda spielen mit ihrem spirituellen und wissenschaftlichen Wirken bis heute eine bedeutende Rolle bei der Auslegung von Gesetzestexten.
Falk, Kraus, ben Jechiel sind nur einige namhafte Beispiele für Juden aus Köln, die sich nachhaltig innerhalb der jüdischen Gemeinde, aber auch in Politik und Gesellschaft eingebracht und sie mitgestaltet haben. Der Ursprung liegt im Jahr 321 n. Chr. als es Juden durch ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin gestattet wurde, Ämter in der Stadtverwaltung zu bekleiden. Dieser älteste Nachweis einer jüdischen Gemeinde nördlich der Alpen ist Ausgangspunkt für das diesjährige Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Da lohnt der Blick auf prominente Juden in und aus Köln, wo eben alles begonnen hat.
Als Köln beispielsweise Köln nach dem Einmarsch napoleonischer Truppen französisch wurde und Juden nach 400 Jahren wieder in die Stadt zurückkehren konnten, kam auch der in Bonn geborene Salomon Oppenheim (1772 bis 1828) an den damals aufstrebenden Bankenplatz. Er etablierte eine Privatbank, die bis zum Jahr 2009 im Herzen von Köln ihren Sitz hatte und erheblichen Anteil am wirtschaftlichen Aufblühen und der in vielen Bereichen bis in die Gegenwart reichenden nachhaltigen ökonomischen Bedeutung der Rheinmetropole hatte. Jahrzehntelang brachten sich die später zum evangelischen Glauben konvertierten und vom preußischen König in den Freiherrenstand erhobenen Oppenheims in die Stadtgesellschaft ein.
Ein anderer bedeutender Kölner Bankier aus jüdischem Hause war Sir Ernest Cassel. 1852 in Köln als Ernst Cassel geboren, gelangte er später als bedeutender Banker und enger Vertrauter des britischen Königs Edward VII. zu Ruhm und Ansehen. „Windsor-Cassel“, wie er wegen seiner engen Beziehungen zum Königshaus auch genannt wurde, konvertierte seiner früh verstorbenen ersten Frau zuliebe zum Katholizismus, fühlte sich aber bis zu seinem Tode im Jahr 1921 in London stets als Jude. 1913 war er einer der Mitbegründer der GAG Immobilien Köln, heute für rund 100 000 Menschen die größte Vermieterin in Deutschlands viertgrößter Stadt. Die nach dem vielfach sozial engagiertem „kölschen Jung“aus der Altstadt benannte Ernst Cassel-Stiftung unterstützt seit ihrer Gründung im Jahr 1932 die Mieter der GAG, die in soziale Notlagen geraten sind.
Zwar kein Kölner, aber von hier aus entscheidende Impulse gesetzt und weit über Köln hinaus tätig war der herausragende jüdische Kaufmann Leonhard Tietz (1849 bis 1914). Der aus der Nähe von Posen stammende Kaufmann eröffnete 1891 auf 180 Quadratmetern ein Warenhaus. Angefangen hatte er in Stralsund mit einem Textilgeschäft auf 25 Quadratmetern. Es folgten ähnliche Geschäfte, unter anderen in der damaligen Metropole der Industrialisierung, Elberfeld. Dorthin legte Tietz auch seinen Unternehmenssitz für seine Mehrsparten-Warenhäuser nach französischem Vorbild. Acht Jahre später und nach Eröffnung wei
Edikt des römischen Kaisers Konstantin