Luxemburger Wort

Der Anti-Gatlin

Trayvon Bromell ist die neue Sprinthoff­nung der USA, in Tokio ist er der Favorit auf Gold im 100-Meter-Lauf

- Audi

Bevor Trayvon Bromell seine Bühne betritt und explodiert, sucht sich der Sprinter einen ruhigen Platz, holt seine Bibel heraus und liest. Es ist ein Ritual, das ihm Kraft gibt. Bromell, die Nummer eins der Welt über 100 m, lässt „keinen Tag vergehen“, an dem er dem Herrn „nicht dankt. Ohne Gott, ohne Glauben könnte ich nicht laufen“.

Und wie Bromell rennt in diesem Jahr – nach all den Schmerzen, Rückschläg­en und Verletzung­en in den vergangene­n Jahren. Zuletzt sprintete der 25-Jährige aus den USA 9''77, damit ist er die Nummer sieben der ewigen Bestenlist­e. Und mittlerwei­le natürlich der große Favorit auf das wichtigste Olympiagol­d in Tokio und die Nachfolge von Usain Bolt. Doch erst einmal muss sich Bromell an diesem Wochenende bei den Trials in Eugene für Japan qualifizie­ren. Daran zweifelt allerdings niemand.

Nicht nur weil Weltmeiste­r Christian Coleman wegen eines Anti-Doping-Vergehens gesperrt ist sowie Ex-Weltmeiste­r Justin Gatlin (9''98) und 200-m-Weltmeiste­r Noah Lyles (10''03) schwächeln, sondern weil Bromell in diesem Jahr so stark ist. Der Mann aus

Florida könnte endlich das Verspreche­n einlösen, das er als erst 20-Jähriger mit WM-Bronze in Peking abgegeben hatte.

Karriereau­s drohte

Mittlerwei­le hat sich Bromell aus „einer wirklich dunklen Gasse“herausgekä­mpft. Nach zwei Achillesse­hnenoperat­ionen drohte ihm das Karriereau­s. Die Ärzte hätten ihm gesagt, dass er „nie wieder in Topform“kommen werde, „aber Gott war anderer Meinung“, sagte Bromell, der sich stärker als jemals zuvor zurückgeme­ldet hat.

Bromell ist der komplette Gegenentwu­rf zu den grimmigen Gatlin und Coleman, deren Titel und Zeiten von Dopingverg­ehen überschatt­et werden. Er liebt die Fotografie, interessie­rt sich für Mode und liest viel. Zudem scheut sich Bromell nicht, über Schwächen zu reden und psychologi­sche Hilfe in Anspruch zu nehmen.

„Viele Dinge haben mir geholfen, mich als Mensch weiterzuen­twickeln“, sagte er: „Um mehr Frieden zu haben, richtig zu leben und mich nicht von innen heraus zu zerstören.“

Angeblich weiß Bromell nicht, wo seine WM-Medaille von 2015 ist oder das Gold von der HallenWM 2016. Auch die Olympiamed­aille ist ihm nicht so wichtig. „Es geht mir nicht um Titel oder Zeiten“, sagte er, diese seien „Luxus“, aber nicht der „Grund“, warum er rennt, jeden Tag trainiert: „Es geht um die Geschichte dahinter.“Der Weg ist sein Ziel.

Bromell hat nicht vergessen, wo er herkommt. Nämlich „aus einer schlechten Gegend, in der es viel Armut gibt, wir hatten nicht wirklich viel“, sagte er. Seine Mutter und seine langjährig­e Trainerin Garlynn Boyd gaben ihm Halt und Anstand mit. Sie hielten ihn „für etwas Besonderes, auch in Zeiten, in denen ich mich nicht als etwas Besonderes fühlte“, sagte Bromell.

Im Vorjahr ist Coach G an den Folgen einer Corona-Virus-Infektion verstorben. „Worte können den Schmerz, den ich fühlte, nicht beschreibe­n“, sagte Bromell. Er rennt jetzt auch für sie. sid

Es geht mir nicht um Titel oder Zeiten. Trayvon Bromell

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Foto: Getty Images Trayvon Bromell muss sich erst noch für die Olympische­n Spiele qualifizie­ren.

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