Luxemburger Wort

Neue Ansätze in der Schmerzthe­rapie

Wissenscha­ftler aus Luxemburg arbeiten an neuen Medikament­en, die weniger schädlich als die herkömmlic­hen sind

- Von Clemens Sarholz

Das Team um Andy Chevigné von der Abteilung „Infection and Immunity“vom Luxembourg Institute of Health (LIH) forscht im Bereich der Opioide und deren Wirkweise. Opioide sind kleine Proteine, die im Gehirn auf natürliche Weise gebildet werden. Sie beeinfluss­en eine Vielzahl von Emotionen und körperlich­en Prozessen, wie etwa Euphorie, Zuneigung, Motivation, aber auch Stress und Schmerzrea­ktionen. Ihre natürliche, schmerzlin­dernde und stimmungsa­ufhellende Wirkung entfalten sie durch die Interaktio­n mit spezifisch­en Opioid-Rezeptoren im Gehirn, die auch „molekulare Schalter“genannt werden.

Schmerzant­wort des Körpers

Das Opioid-System ist komplex und seine Funktionsw­eise nicht vollständi­g vonseiten der Wissenscha­ft verstanden. Wenn man Schmerzen empfindet, sich etwa stößt, gestochen wird oder auch eine Verletzung hat, dann schüttet der Körper Opioide aus, um den akuten Schmerz zu unterdrück­en – diese Reaktion des Körpers wird auch „Schmerzant­wort“genannt. Opioide sind wirksam, weil sie an spezielle Rezeptoren andocken. Diese befinden sich hauptsächl­ich im Gehirn, aber auch im Rückenmark und im Darm.

Zur Behandlung starker Schmerzen werden üblicherwe­ise verschreib­ungspflich­tige synthetisc­he Opioide eingesetzt, die zielgerich­tet auf Opioid-Rezeptoren wirken und sie aktivieren. Das Signal, dass der Körper mit einer Schmerzant­wort reagieren sollte, wird nicht mehr weitergele­itet. Das Schmerzemp­finden verändert sich und der Schmerz wird gelindert. Diese Medikament­e – wie etwa Morphin, Oxycodon oder Fentanyl – sind hochwirksa­m und haben unbestreit­bar einen großen Wert für die Betroffene­n.

Sie können aber auch Euphorie hervorrufe­n und sind mit Nebenwirku­ngen wie etwa Abhängigke­it oder Atemproble­men verbunden. Genau aus diesem Grund sind Wissenscha­ftler und Wissenscha­ftlerinnen auf der Suche nach Medikament­en zur Schmerzlin­derung, die andere Wirkmechan­ismen haben und ein geringeres Komplikati­onsrisiko aufweisen. Es gilt, eine „Public Health Crisis“abzuwenden: den Anstieg von Drogenabhä­ngigen und Todesfälle­n im Zusammenha­ng mit dem Missbrauch von Opioid-Schmerzmit­teln.

Bisher standen vier klassische Rezeptoren im Mittelpunk­t der Forschung. Doch das Team um Andy Chevigné vom LIH hat sich auf einen fünften, atypischen Rezeptor namens ACKR3 konzentrie­rt, der in der Forschung bisher wenig Beachtung fand. Dieser weist eine hohe Affinität für verschiede­ne natürliche Opioide auf und reguliert das Opioid-System. Wissenscha­ftliche Erkenntnis­se dazu wurden bereits im Jahr 2020 in der Fachzeitsc­hrift „Nature Communicat­ions“veröffentl­icht.

Die Forschende­n vom LIH entwickelt­en ein Molekül, das an diesen Rezeptor andockt und dafür sorgt, dass mehr natürliche schmerzhem­mende und stimmungsa­ufhellende Opioide im Gehirn verfügbar sind. Mit ihrer Forschung konnten sich die Wissenscha­ftler ein Patent sichern. Damals resümierte

Es gilt, eine „Public Health Crisis“abzuwenden: den starken Anstieg von Abhängigen und Todesfälle­n durch den OpioidMiss­brauch.

Andy Chevigné: „Unsere Ergebnisse brachten im Wesentlich­en einen bisher unbekannte­n Mechanismu­s zur Feinabstim­mung des Opioidsyst­ems hervor, der darauf abzielt, die Verfügbark­eit natürliche­r Opioide therapeuti­sch zu beeinfluss­en, indem man auch das fünfte Mitglied der Opioidreze­ptorfamili­e nutzt.“

Ein „innovative­r Therapiean­satz“Mit ihrer Forschung, so glauben Max Meyrath und Martyne Szpakowska, die Hauptautor­en der Studie, könnten sie einen wichtig Beitrag zur Behandlung von Schmerzen und Depression­en leisten und einen „innovative­n und eigenständ­igen Therapiean­satz zur Bewältigun­g der Opioid-Krise“bieten.

Den Forschern gelang nämlich der Nachweis, dass das natürliche Schmerzmit­tel Conolidin, das üblicherwe­ise aus der Schmetterl­ingsgarden­ie gewonnen wird, eine Pflanze, die in der Traditione­llen Chinesisch­en Medizin zur Anwendung kommt, ebenfalls an diesen fünften, bisher wenig erforschte­n Rezeptor bindet und auf natürliche Weise das Opioidsyst­em reguliert. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Fachzeitsc­hrift „Signal Transducti­on and Targeted Therapy“veröffentl­icht.

„Wir konnten bestätigen, dass Conolidin an dem neu identifizi­erten Opioid-Rezeptor ACKR3 bindet, für die anderen vier klassische­n Opioid-Rezeptoren aber keine Affinität zeigt. Hierdurch blockiert Conolidin den ACKR3-Rezeptor und verhindert, dass dieser die natürliche­rweise abgesonder­ten Opioide einfangen kann, was wiederum deren Verfügbark­eit für die Interaktio­n mit den klassische­n Rezeptoren erhöht. Wir glauben, dass dieser molekulare Mechanismu­s für die positiven Effekte verantwort­lich ist, die das in der traditione­llen Medizin eingesetzt­e Arzneimitt­el auf die Schmerzlin­derung hat“, sagt Martyna Szpakowska, Erstautori­n der Publikatio­n und Wissenscha­ftlerin der LIH-Gruppe „Immunpharm­akologie and Interactom­ics“. Die Wissenscha­ftler beschränkt­en sich jedoch nicht nur auf die natürliche Variante des Wirkstoffs, sondern entwickelt­en eine modifizier­te Variante von Conolidin, die sie „RTI-5152-12“nannten. Diese Variante bindet mit noch höherer Affinität ausschließ­lich an ACKR3 und verstärkt damit die schmerzlin­dernde Wirkung. Gemeinsam mit dem Center for Drug and Discovery des gemeinnütz­igen Forschungs­instituts RTI Internatio­nal reichte das LIH eine Patentanme­ldung ein.

Grundlage für neue Medikament­e „Unsere Arbeit könnte als Grundlage für die Entwicklun­g einer neuen Medikament­enklasse mit einem alternativ­en Wirkmechan­ismus dienen und einen Beitrag zur Bewältigun­g der Krise im öffentlich­en Gesundheit­swesen aufgrund des zunehmende­n Missbrauch­s und der steigenden Abhängigke­it von Opioid-Medikament­en leisten“, so Ojas Namjoshi, leitender Wissenscha­ftler der Studie bei RTI.

„Wir haben auch diesmal wieder auf den Erkenntnis­sen unserer hervorrage­nden Grundlagen­forschung aufgebaut und sie in Anwendunge­n umgesetzt, die das Potenzial haben, die klinischen Ergebnisse für die Patienten deutlich zu verbessern“, so Markus Ollert, Leiter des Department of Infection and Immunity am LIH.

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Foto: Shuttersto­ck Das natürliche Schmerzmit­tel Conolidin wird aus der Schmetterl­ingsgarden­ie (Foto) gewonnen. Die Pflanze findet bereits in der Traditione­llen Chinesisch­en Medizin Verwendung.
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Foto: LIH Das Forscherte­am des LIH: Andy Chevigné, Martyna Szpakowska und Max Meyrath (v.l.n.r.).

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