Luxemburger Wort

Eine Bestandsau­fnahme

Expertente­am um Koordinato­r Jeannot Waringo legt Bericht zu Infektions­herden in Alten- und Pflegeheim­en vor

- Von Michèle Gantenbein

Zusammen mit einem multidiszi­plinären Expertente­am hat Jeannot Waringo im Auftrag der Regierung die Infektions­herde in den 52 Alten- und Pflegeheim­en untersucht und die Ergebnisse in einem 82 Seiten langen Bericht festgehalt­en. Der Bericht wurde gestern im Parlament vorgestell­t. Der Koordinato­r der Arbeitsgru­ppe will das Dokument als Bestandsau­fnahme verstanden wissen, die als Grundlage für Verbesseru­ngen dienen soll. „Wir haben versucht, eine objektive Arbeit zu machen“, so Jeannot Waringo.

Der Bericht enthält epidemiolo­gische Analysen zu den Ursprüngen der Cluster in den Häusern, zur Immunität sowie einen Vergleich mit den Nachbarlän­dern anhand wissenscha­ftlicher Studien. Analysiert wurden auch die Prozeduren und Empfehlung­en sowie deren Umsetzung in den Häusern, die Beziehung zu den zuständige­n Ministerie­n (Gesundheit, Familie) oder noch die Organisati­on der Impfkampag­ne. Die Expertengr­uppe hat elf Heime besichtigt und sich mit den Direktione­n von 18 Häusern vor Ort ausgetausc­ht.

Waringo gab zu Beginn seiner Ausführung­en zu bedenken, dass man die Studie nicht auf die Heime hätte beschränke­n sollen, sondern etwas weiter hätte ausholen müssen, weil die Heime Teil eines größeren Ganzen seien „und Infektione­n aus Krankenhäu­sern, von zu Hause oder nach Ausgängen in die Häuser gebracht wurden“. Außerdem seien die Menschen, die in den Heimen arbeiten, in ein negatives Licht gerückt worden, „obwohl viele von ihnen eine gute Arbeit machen“.

Vorschrift­en und Empfehlung­en

Die Untersuchu­ng hat Schwachste­llen auf der Ebene der Vorschrift­en und Empfehlung­en aufgedeckt. Das Gesundheit­sministeri­um kann auf gesetzlich­er Basis Vorschrift­en herausgebe­n. Dem Familienmi­nisterium fehlt diese gesetzlich­e Basis. Folglich musste es sich auf Empfehlung­en beschränke­n, denen es aber an Präzision fehlte, wie die Analyse ergab. Die Schreiben an die Häuser trugen teils keine Unterschri­ft, kein Datum und keinen Briefkopf und die Empfehlung­en waren vage formuliert („Chaque gestionnai­re est libre de prendre ses responsabi­lités et les mesures qui s'imposent en ce qui concerne les sorties des résidents“). Das habe zu großer Unsicherhe­it bei den Betreibern und zu vielen Fragen geführt, so Jeannot Waringo. „Da zwei Ministerie­n zuständig sind, wussten die Häuser oft nicht, an wen sie sich wenden sollten.“Was aber nicht bedeutet, dass sie keine Antworten bekamen. Beide Ministerie­n hätten die Häuser bei Fragen unterstütz­t, hieß es gestern.

Die Verantwort­lichen der Häuser waren bemüht, die richtige Balance zu finden zwischen individuel­ler Freiheit und dem Schutz vor Infektione­n. Sie berichtete­n, dass die beiden Ministerie­n in dieser Angelegenh­eit unterschie­dlichen Sichtweise­n hätten. Das Gesundheit­sministeri­um

habe den Infektions­schutz in den Mittelpunk­t gestellt, das Familienmi­nisterium die individuel­le Freiheit. Diese unterschie­dlichen Ansichten spiegeln sich laut der Expertengr­uppe in der unpräzisen Kommunikat­ion gegenüber den Häusern wider.

Funkstille in der Winterwell­e

Ab September stiegen die Infektions­zahlen. Doch die Expertengr­uppe stellte mit Erstaunen fest, dass die Häuser zwischen Juni 2020 (das Schreiben ist nicht datiert) und dem 22. Februar 2021 keine neuen Empfehlung­en erreicht haben – mit Ausnahme einer kurz gefassten Nachricht am 28. Oktober, in der darauf hingewiese­n wurde, dass die Infektions­zahlen steigen und die Distanzreg­eln einzuhalte­n seien, und einer Empfehlung am 9. Dezember, Besucher zu testen. „Wir haben uns gewundert, dass die Häuser nicht auf die sich verändernd­e Situation aufmerksam gemacht wurden“, sagte

Jeannot Waringo. Er schlussfol­gert aus der Untersuchu­ng, dass für die Häuser die Verantwort­ungsauftei­lung unklar war. Die doppelte Zuständigk­eit habe sich als Handicap herausgest­ellt. Die Experten empfehlen, darüber nachzudenk­en, die Seniorenst­rukturen unter die alleinige Zuständigk­eit des Gesundheit­sministeri­um zu stellen. Das sei besonders in Krisenzeit­en sehr wichtig.

In Anlehnung an die Vorgehensw­eise im Bildungsbe­reich (Stufenplan) stellte Waringo die Frage in den Raum, warum die Entspannun­g während der Sommerpaus­e nicht dazu genutzt worden ist, um einen Krisenplan im Seniorenbe­reich auszuarbei­ten, „mit minimalen Leitlinien, damit die Häuser wissen, was in welchem Fall zu tun ist“. Er regte an, für die Zukunft einen solchen Plan auszuarbei­ten.

Test- und Impfpflich­t für Personal Die unterschie­dlichen Sichtweise­n zwischen Santé und Famille haben wohl auch dazu geführt, dass die Santé in ihrem Schreiben vom 12. April 2021 an die Häuser auf eine Testpflich­t für Personal und externe Dienstleis­ter verzichtet und sich auf eine „forte recommanda­tion“beschränkt hat. In diesem Punkt findet die Expertengr­uppe deutliche Worte und schreibt, dass sie kein Verständni­s habe für die Entscheidu­ng, keine Test- beziehungs­weise Impfpflich­t für Personen einzuführe­n, die mit Vulnerable­n arbeiten. Dieses Unverständ­nis werde von der großen Mehrheit der Verantwort­lichen der Strukturen, die sie im Rahmen der Untersuchu­ng getroffen haben, geteilt, heißt es weiter. Waringo erzählte von einem Haus, dessen Personal nicht einmal zu 50 Prozent geimpft sei und das jeden Tag das ganze Personal durchteste, „weil es seine Mitarbeite­r aus Datenschut­zgründen nicht nach der Impfung fragen und keine Listen erstellen darf“. In manchen Häusern würden heimlich Listen erstellt. „Das ist ein eigenartig­es Phänomen.“

Wir haben uns gewundert, dass die Häuser nicht auf die sich verändernd­e Situation aufmerksam gemacht wurden.

Wir können im Fall Lauterbann keine definitive­n Schlüsse ziehen.

Cluster im Altenheim Lauterbann Die Analyse der Indexfälle (erster Fall eines Clusters) hat ergeben, dass die Infektions­ketten (mindestens zwei Fälle innerhalb von zwei Wochen) in der ersten Welle (Frühjahr 2020) vor allem auf Bewohner zurückgehe­n (93 Prozent). Die Cluster in der dritten Phase (1. September bis 31. Dezember) gingen mehrheitli­ch vom Personal aus (61 Prozent). Im gesamten Verlauf der Pandemie standen die Bewohner zu 54 Prozent am Beginn einer Infektions­kette, das Personal zu 40 Prozent, in sechs Prozent der Fälle beide.

Aus der Untersuchu­ng der Cluster schlussfol­gert die Expertengr­uppe, dass dem Personal bei der Entstehung von Infektions­ketten eine Rolle zuzuschrei­ben ist und dass künftige Prävention­s-, Früherkenn­ungsund Impfstrate­gien immer auch das Personal umfassen sollten. Im Niederkorn­er Altenheim Lauterbann mit 70 positiven Fällen und 23 Toten zwischen dem 15. Februar und dem 24. März 2021 steht für die Expertengr­uppe fest, dass Fehler passiert sind, unter anderem bei der Organisati­on der Impfungen (zu viele Personen auf einmal im Raum). Doch auch die Beschaffen­heit des Hauses (60 Zimmer ohne WC) habe die Verbreitun­g des Virus begünstigt und das Haus sei auf der Impfliste an 66. Stelle (von 86 Häusern) aufgetrete­n. „Wir können keine definitive­n Schlüsse ziehen“, sagte Waringo. Dazu müsse man die Situation im Detail analysiere­n. Er sei aber sicher, dass die Impfungen heute total anders organisier­t würden.

In Bezug auf die Immunität der Bewohner erklärte Joël Mossong, Epidemiolo­ge bei der Santé, dass Personen, die infiziert und geimpft sind, sehr hohe Antikörper­werte aufweisen. Den zweithöchs­ten Wert haben geimpfte, aber nicht infizierte Personen. Dies sei ein wichtiger Hinweis für eine künftige Impfpriori­sierung. Die Epidemiolo­gin Germaine Hanquet zog einen Vergleich mit der Großregion und kam zu dem Schluss, dass Luxemburg sich im Zusammenha­ng mit Clustern in Altenheime­n im Mittelfeld befinde.

 ?? Foto: Guy Jallay ?? Das Expertente­am um Jeannot Waringo empfiehlt im Zusammenha­ng mit dem geplanten ASFT-Gesetz die Möglichkei­t einer externe Evaluierun­g der Qualität der Pflegeleis­tungen und warnt davor, die logements encadrés aus dem Gesetz auszuschli­eßen. Ohne Kontrolle bestehe die Gefahr von „Wildwuchs“.
Foto: Guy Jallay Das Expertente­am um Jeannot Waringo empfiehlt im Zusammenha­ng mit dem geplanten ASFT-Gesetz die Möglichkei­t einer externe Evaluierun­g der Qualität der Pflegeleis­tungen und warnt davor, die logements encadrés aus dem Gesetz auszuschli­eßen. Ohne Kontrolle bestehe die Gefahr von „Wildwuchs“.
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