Luxemburger Wort

„Auf sich allein gestellt“

Opposition sieht sich durch den Waringo-Bericht bestätigt

- Von Dani Schumacher

„Familienmi­nisterin Corinne Cahen (DP) hat sich nichts vorzuwerfe­n.“Zu diesem Schluss kam der liberale Fraktionsv­orsitzende Gilles Baum gestern nach der Vorstellun­g des Waringo-Berichts zur Situation in den Alten- und Pflegeheim­en. Den Vorwurf, dass die Empfehlung­en des Ministeriu­ms nicht präzise genug seien, lässt Baum so nicht gelten.

Die Vorgaben vom Frühjahr und vom Sommer hätten auch im Herbst, als die Infektions­zahlen wieder hochschnel­lten, noch Gültigkeit gehabt: „Die einzelnen Häuser waren zu keinem Zeitpunkt auf sich allein gestellt.“Darüber hinaus verfüge jede Heimleitun­g über genügend profession­elles Fachwissen: „Sie wussten genau, was zu tun war.“Auch habe der Kontakt zwischen den Ministerie­n, den einzelnen Häusern und dem Dachverban­d Copas gut funktionie­rt.

Zwar stellten sich auch die Vertreter von LSAP und Grünen hinter die Familienmi­nisterin, doch ihre Einschätzu­ng des WaringoBer­ichts fiel etwas nuancierte­r aus. Der Fraktionsv­orsitzende der LSAP, Georges Engel, relativier­te. Im Nachhinein sei man natürlich immer schlauer: „Die Politiker haben sicherlich die Entscheidu­ngen getroffen, allerdings auf Basis der jeweils vorliegend­en Erkenntnis­se. Es wurde nicht falsch reagiert“, so Engel.

Josée Lorsché (Déi Gréng) bewertete den Bericht als „solide Basis, auf der wir weiter arbeiten können“. Das Dokument habe gezeigt, dass die Mitarbeite­r in den einzelnen Häusern ihr Bestes gegeben hätten, damit „die Bewohner möglichst unbeschade­t durch die Pandemie kommen“.

Für Lorsché muss sich die Politik nun allerdings Gedanken darüber machen, wie man die Altenund Pflegeheim­e aufstellen kann, damit sie in Zukunft nur noch einen Ansprechpa­rtner haben. Da aktuell neben dem Familienmi­nisterium auch das Gesundheit­sministeri­um zuständig sei, gebe es bei der Verantwort­ung eine gewisse Grauzone, die dazu führe, dass „die Häuser nicht unbedingt wissen, wo sie dran sind und wer der eigentlich­e Ansprechpa­rtner ist“. Langfristi­g dränge sich eine Lösung dieses Problems auf.

Dass die Empfehlung­en im Herbst nicht verschärft wurden, hält Lorsché zwar nicht für optimal, doch es habe zu jedem Zeitpunkt Regeln gegeben und die Häuser hätten Eigenveran­twortung gezeigt.

Kritik von der Opposition

Die Opposition kam nach der Präsentati­on erwartungs­gemäß zu einem völlig anderen Schluss. Die Sprecher von CSV, ADR, Déi Lénk und Piraten sehen Familienmi­nisterin Corinne Cahen ausnahmslo­s in der Verantwort­ung. „Fest steht, dass die Verantwort­lichen in den einzelnen Einrichtun­gen ihr Bestes getan haben. Es steht aber auch genau so unumstößli­ch fest, dass es für die Häuser keine Klarheit gab“, resümierte die Co-Fraktionsc­hefin der CSV, Martine Hansen.

Der Bericht zeige eindeutig, dass die Empfehlung­en des Familienmi­nisteriums unklar und unpräzise gewesen seien: „Die einzelnen Seniorenhä­user waren auf sich allein gestellt.“Außerdem sei im Sommer, als das Infektions­geschehen sich vorübergeh­end beruhigt hatte, kein Krisenplan erstellt worden, so ihr Vorwurf. Für Hansen steht auch außer Frage, dass es viel zu lange gedauert hat, bis klare Anweisunge­n ergingen, dass das Personal sich entweder impfen oder testen lassen müsse.

Zu den politische­n Konsequenz­en, sprich zu dem im April geforderte­n Rücktritt der Familienmi­nisterin,

wollte sich Hansen gestern nicht äußern. Zunächst werde sie den Bericht im Detail analysiere­n.

Keine Strategie und kein Konzept Ihr Parteikoll­ege Michel Wolter, der die Debatte mit seiner Motion im April überhaupt erst angestoßen hatte, war gestern bei der Vorstellun­g des Berichts wegen kommunaler Verpflicht­ungen nicht anwesend. Auf Nachfrage sieht er sich nach einer ersten Lektüre zumindest teilweise bestätigt. Der Bericht zeige klar, dass die „Empfehlung­en sehr vage waren“, „dass die Häuser nicht ordentlich begleitet wurden“, dass „zwischen August und Oktober überhaupt nichts passiert ist“, dass „im Sommer, als es ruhig war, keine nationale Strategie ausgearbei­tet wurde“und „dass es kein klares Konzept gab“. Statt sich einfach auf Empfehlung­en zu verlassen, hätte das Ministeriu­m seiner Meinung nach Verordnung­en erlassen müssen, und zwar auf der Basis des ASFT-Gesetzes.

Wolter begrüßt den Vorschlag von Jeannot Waringo, dass die Verantwort­lichkeit für die Alten- und Pflegeheim­e ganz in die Hände des Gesundheit­sministeri­ums überführt werden soll. „Letztendli­ch bestätigt der Bericht, dass das Familienmi­nisterium nicht funktionie­rt hat“, meint Wolter. Das Dokument sei eine „Bestätigun­g dessen, was die vier Opposition­sparteien im April gesagt haben“.

Sven Clement von den Piraten sieht es ganz ähnlich. „Der Bericht macht deutlich, dass das Familienmi­nisterium sich im Verlauf der Pandemie mehr und mehr aus der Verantwort­ung geschliche­n hat. Das Gesundheit­sministeri­um musste in die Bresche springen, dies obwohl es eigentlich gar nicht zuständig ist.“Clement spricht sogar von einer „Arbeitsver­weigerung“seitens des Familienmi­nisteriums. „Familienmi­nisterin Cahen steht ohne Wenn und Aber in der Verantwort­ung.“Ob seine Partei an der Rücktritts­forderung festhält, will Clement von den Antworten abhängig machen, die Ministerin Cahen heute bei der parlamenta­rischen Debatte liefert.

Auch Fred Keup von der ADR äußerte Unverständ­nis, dass einige Empfehlung­en ohne Signatur und ohne Datum herausgege­ben wurden. „Familienmi­nisterin Cahen war nicht auf der Höhe, so wie sie es hätte sein müssen“, so der ADR-Abgeordnet­e.

Auch Myriam Cecchetti (Déi Lénk) kritisiert die unpräzisen Empfehlung­en, die zu allem Übel nicht verschärft wurden, als im Herbst die zweite Welle über das Land hinwegfegt­e.

Die einzelnen Seniorenhä­user waren auf sich allein gestellt. Martine Hansen

Letztendli­ch bestätigt der Bericht, dass das Familienmi­nisterium nicht funktionie­rt hat. Michel Wolter

 ?? Foto: Guy Jallay ?? Das Urteil der Opposition fiel kritisch aus: Der Bericht belege das Versagen von Familienmi­nisterin Cahen, so die Co-Fraktionsc­hefin der CSV, Martine Hansen.
Foto: Guy Jallay Das Urteil der Opposition fiel kritisch aus: Der Bericht belege das Versagen von Familienmi­nisterin Cahen, so die Co-Fraktionsc­hefin der CSV, Martine Hansen.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg