Luxemburger Wort

Entertaine­r führt bei Neuwahl in Bulgarien

Die Parlaments­wahl setzt der Ära Borissow ein Ende – alle Blicke sind nun auf Entertaine­r Slawi Trifonow gerichtet

-

Sofia. Nach der vorgezogen­en Parlaments­wahl in Bulgarien zeichnet sich ein Sieg der populistis­chen Partei ITN („Es gibt so ein Volk“) des Entertaine­rs Slawi Trifonow ab. Die systemkrit­ische ITN lag nach einem amtlichen Zwischener­gebnis von gestern mit 23,91 Prozent auf Platz eins vor der bürgerlich­en GERB-Partei von Ex-Ministerpr­äsident Boiko Borissow (23,69 Prozent). Damit dürfte der 54 Jahre alte Pop-Folk-Sänger Trifonow zumindest ein Etappenzie­l erreicht haben. Bei der Parlaments­wahl vom 4. April landete er noch hinter seinem politische­n Gegner Borissow. Als sicher gilt, dass die Neuwahl „Borissows Ära“, die 2009 begonnen hatte, ein Ende setzte. Der alten GERB-Regierung werden Missstände, Korruption und Versäumnis­se vorgeworfe­n. Das amtliche Endergebni­s soll aber erst am 18. Juli vorliegen.

Trifonow geht in die Offensive

„Es gibt so ein Volk“wollte das politische System in dem ärmsten EU-Land verändern, doch Parteichef Trifonow hielt sich nach der Wahl im April über Wochen hinweg bedeckt. Nach der Neuwahl brach er sein Schweigen.

Der Entertaine­r ergriff die Initiative und überrascht­e in seinem Fernsehkan­al mit einem Projekt – bevor die Mandate seiner Partei und potenziell­er Koalitions­partner überhaupt feststande­n. Demnach strebt Trifonow eine Minderheit­sregierung an.

Die stärkste politische Kraft im Parlament – Trifonows ITN – soll laut Verfassung als erste einen Regierungs­auftrag erhalten. Ob Trifonow mit der Unterstütz­ung der bislang opposition­ellen Sozialiste­n (Ex-KP, 13,51) oder der Partei der türkischen Minderheit DPS (10,6 Prozent) rechnen kann, ist noch unklar. Ungewiss ist auch, ob Borissows GERB ein ITN-Minderheit­skabinett unterstütz­en wird. Insgesamt haben sechs Parteien die Vier-Prozent-Hürde bei der Wahl übersprung­en.

Ministerpr­äsident in einer von der ITN formierten Ein-ParteienRe­gierung soll der renommiert­e Wirtschaft­s- und Finanzexpe­rte Nikolaj Wassilew werden. Dieser war von 2001 bis 2009 Vize-Regierunsc­hef und Minister in zwei Regierunge­n. Auch für den Außenminis­terposten fand Trifonow einen bekannten Diplomaten – den früheren Botschafte­r Bulgariens in Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz sowie einstigen Interimsau­ßenministe­r Radi Najdenow. Erstmals soll eine Frau Verteidigu­ngsministe­rin werden. Trifonow präsentier­te viele Ideen wie E-Voting, Schließung des Anti-Mafia-Spezialger­ichts, Einführung des Euro in dem ärmsten EU-Land, Beitritt zum visafreien Schengenra­um und sogar Flüge ins Weltall mit Hilfe der NASA. „Es ist Zeit, dass wir zu den Sternen schauen“, sagte er.

Trifonow habe diese Regierung wohl im Alleingang aufgestell­t, deutete die prominente Vertreteri­n der Anti-Korruption­spartei „Richte dich auf! Mafiosi raus!“(5,03 Prozent) Tatjana Dontschewa an. Aus den Reihen des anderen möglichen Koalitions­partners – der konservati­v-liberal-grünen Koalition Demokratis­ches Bulgarien (12,56 Prozent) gab es vorerst keine Reaktion.

Geringe Wahlbeteil­igung

Die Wahlbeteil­igung war den Prognosen zufolge mit gut 38 Prozent für eine Parlaments­wahl sehr gering. Bei einer Einwohnerz­ahl von 6,9 Millionen sollen lediglich etwa 2,7 Millionen Wähler ihre Stimme abgegeben haben. Wahlforsch­er führten dies unter anderem auf den Wahltermin mitten in der Urlaubszei­t zurück sowie auf das Vorgehen der Polizei gegen den illegalen Kauf von Wählerstim­men. dpa

Trifonows ITN soll laut Verfassung als Erste einen Regierungs­auftrag erhalten.

 ?? Foto: AFP ?? Der voraussich­tliche Wahlsieger Slawi Trifonow strebt eine Minderheit­sregierung an.
Foto: AFP Der voraussich­tliche Wahlsieger Slawi Trifonow strebt eine Minderheit­sregierung an.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg