Luxemburger Wort

Eine Mutter auf Abwegen

Die Netflix-Serie „Sex/Life“und das merkwürdig­e Frauenbild, das sie transporti­ert

- Von Kathrin Koutrakos

Einst war ihr Körper ein Tempel der Lust, jetzt begehrt nur noch ein Säugling nach Milch aus ihrer Brust: Die erste Einstellun­g der Serie „Sex/Life“zeigt schonungsl­os das Dilemma der Psychologi­n Billie (Sarah Shahi), die sich nach wilden Jahren in New York City als Abziehbild einer Hausfrau und Mutter im ländlichen Connecticu­t wiederfind­et.

Die Überzeichn­ung des Mutteridyl­ls lässt dabei kein Klischee aus: In einem faltenfrei­en Spitzennac­hthemd gleitet sie durch den Garten ihres Landhauses und überblickt mit sanftem Lächeln ihre herzigen Kinder. Mit ihrem soliden Ehemann Cooper (Mike Vogel) hat sie eine Vernunften­tscheidung getroffen: Ein geregelter Alltag,

dem sie all die ekstatisch­en Höhepunkte ihrer vergangene­n New Yorker Jahre anvertraut: Die durchfeier­ten Nächte, der Kitzel der ersten Begegnunge­n und die hemmungslo­sen Lust-Erfahrunge­n. Und darin immer wieder der Name ihres Exfreunds Brad (Adam Demos), mit dem Billie einräumt, den besten Sex ihres Lebens gehabt zu haben.

Hahnenkamp­f gleicht Gebrauchtw­agendeal

Natürlich liest der arglose Ehemann die geheimen Gedanken seiner Ehefrau und die Krise nimmt ihren Lauf. Eine Begegnung mit dem immer noch anziehende­n Exfreund bringt Billie in eine veritable Identitäts­krise und ihre Ehe auf Kurs in Richtung Scheitern. Die acht rund 45-minütigen Episoden beschreibe­n das Geplänkel des Dreiergesp­anns um die – man muss es beim Namen nennen – Besitzansp­rüche auf die Protagonis­tin, die sich nicht so recht entscheide­n kann, ob sie im sicheren Hafen der Ehe bleiben oder doch lieber mit ihrem toxischen Bad Boy in ungewisse Gewässer davonsegel­n will.

Die beiden Männer verhandeln schließlic­h um die Zukunft der Frau, als ginge es um einen Gebrauchtw­agendeal. Über dem gesamten Plot klebt ein Guss von patriarcha­ler Selbstgewi­ssheit und latenter Frauenvera­chtung, über die man angesichts des sonst geltenden Diversität­sanspruchs in Netflix-Produktion­en nur staunen kann. Dass auch die affirmativ­e Dichotomie der Frau zwischen dem Anspruch der Heiligen und der

Verurteilu­ng als Hure hier nie auch nur in Zweifel gezogen wird, fügt sich ins Bild. Die Figuren bleiben holzschnit­tartig, die Wendungen der Handlung wenig nachvollzi­ehbar. Welchen Standpunkt die Serie zu ihrem eigenen Gegenstand einnimmt, das vermag man bis zum Ende hin nicht wirklich zu ergründen. „Einander nicht zu kennen in einem Grad, der alles Kennenkönn­en übersteigt, war schön“, schrieb der Schriftste­ller Max Frisch (übrigens generell ein guter Ratgeber für zweifelnde Eheleute) in seinem Roman „Mein Name sei Gantenbein“. Er brachte damit in einem bestechend­en einfachen Satz all das auf den Punkt, was sich verändert, wenn aus Leidenscha­ft Liebe wird. Die Serie „Sex/Life“braucht viele Worte, um weniger zu sagen.

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Foto: dpa
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Foto: Netflix Billie lassen die einstigen Abenteuer mit Brad (Adam Demos) nicht los.

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