Eine Mutter auf Abwegen
Die Netflix-Serie „Sex/Life“und das merkwürdige Frauenbild, das sie transportiert
Einst war ihr Körper ein Tempel der Lust, jetzt begehrt nur noch ein Säugling nach Milch aus ihrer Brust: Die erste Einstellung der Serie „Sex/Life“zeigt schonungslos das Dilemma der Psychologin Billie (Sarah Shahi), die sich nach wilden Jahren in New York City als Abziehbild einer Hausfrau und Mutter im ländlichen Connecticut wiederfindet.
Die Überzeichnung des Mutteridylls lässt dabei kein Klischee aus: In einem faltenfreien Spitzennachthemd gleitet sie durch den Garten ihres Landhauses und überblickt mit sanftem Lächeln ihre herzigen Kinder. Mit ihrem soliden Ehemann Cooper (Mike Vogel) hat sie eine Vernunftentscheidung getroffen: Ein geregelter Alltag,
dem sie all die ekstatischen Höhepunkte ihrer vergangenen New Yorker Jahre anvertraut: Die durchfeierten Nächte, der Kitzel der ersten Begegnungen und die hemmungslosen Lust-Erfahrungen. Und darin immer wieder der Name ihres Exfreunds Brad (Adam Demos), mit dem Billie einräumt, den besten Sex ihres Lebens gehabt zu haben.
Hahnenkampf gleicht Gebrauchtwagendeal
Natürlich liest der arglose Ehemann die geheimen Gedanken seiner Ehefrau und die Krise nimmt ihren Lauf. Eine Begegnung mit dem immer noch anziehenden Exfreund bringt Billie in eine veritable Identitätskrise und ihre Ehe auf Kurs in Richtung Scheitern. Die acht rund 45-minütigen Episoden beschreiben das Geplänkel des Dreiergespanns um die – man muss es beim Namen nennen – Besitzansprüche auf die Protagonistin, die sich nicht so recht entscheiden kann, ob sie im sicheren Hafen der Ehe bleiben oder doch lieber mit ihrem toxischen Bad Boy in ungewisse Gewässer davonsegeln will.
Die beiden Männer verhandeln schließlich um die Zukunft der Frau, als ginge es um einen Gebrauchtwagendeal. Über dem gesamten Plot klebt ein Guss von patriarchaler Selbstgewissheit und latenter Frauenverachtung, über die man angesichts des sonst geltenden Diversitätsanspruchs in Netflix-Produktionen nur staunen kann. Dass auch die affirmative Dichotomie der Frau zwischen dem Anspruch der Heiligen und der
Verurteilung als Hure hier nie auch nur in Zweifel gezogen wird, fügt sich ins Bild. Die Figuren bleiben holzschnittartig, die Wendungen der Handlung wenig nachvollziehbar. Welchen Standpunkt die Serie zu ihrem eigenen Gegenstand einnimmt, das vermag man bis zum Ende hin nicht wirklich zu ergründen. „Einander nicht zu kennen in einem Grad, der alles Kennenkönnen übersteigt, war schön“, schrieb der Schriftsteller Max Frisch (übrigens generell ein guter Ratgeber für zweifelnde Eheleute) in seinem Roman „Mein Name sei Gantenbein“. Er brachte damit in einem bestechenden einfachen Satz all das auf den Punkt, was sich verändert, wenn aus Leidenschaft Liebe wird. Die Serie „Sex/Life“braucht viele Worte, um weniger zu sagen.