Luxemburger Wort

Mit neuem Leben erfüllen

Die Vereinigun­g FerroForum setzt sich für die Förderung der Industriek­ultur ein

- Von Raymond Schmit

Esch/Alzette. Der Jüngste ist 15, der Älteste zählt 72 Lenze. „Wir sind eine bunt zusammenge­würfelte Truppe“, stellt Misch Feinen mit einem verschmitz­ten Lächeln fest. Ebenso abwechslun­gsreich wie die Alterspyra­mide ist auch die Zugehörigk­eit zu Berufsgrup­pen. Im fast gespenstis­ch wirkenden Halbdunkel der ehemaligen Zentralwer­kstatt der Arbed Esch-Schiffling­en treffen sich Studenten, Beamte, Künstler, Rentner und Architekte­n im Blaumann und mit Helm. Ihre gemeinsame Leidenscha­ft: Stahl und Eisen. Und auch an einer weiteren Feststellu­ng kommt man nicht vorbei. Für die ehemals ausschließ­liche Männerdomä­ne hat auch das weibliche Geschlecht sein Herz entdeckt.

Ob jung oder in die Jahre gekommen, sie alle haben sich der Industriek­ultur verschrieb­en, egal ob sie selbst die Hochzeit und den Niedergang der Schwerindu­strie in

Luxemburgs Erzrevier erlebten, oder ob sie nur aus Erzählunge­n ihrer Väter oder Großväter wissen, dass hier einst das Herz der einheimisc­hen Wirtschaft schlug. Dieses wichtige Kapitel nationaler Geschichte soll nicht in Vergessenh­eit geraten, wenn auf dem ehemaligen Industries­tandort zwischen Esch und Schiffling­en in noch nicht absehbarer Zeit Wohnblöcke hochgezoge­n werden und diese die wie die Elemente einer Geistersta­dt wirkenden Zeugen der industriel­len Vergangenh­eit verdrängen werden.

Vergessen verhindern

FerroForum nennt sich die noch junge Vereinigun­g, die 2019 ins Leben gerufen wurde und sich zum Ziel gesetzt hat, eine Verbindung zwischen der Zukunft und der industriel­len Vergangenh­eit herzustell­en. Und dazu gehört, die Erinnerung an eben diese Vergangenh­eit nicht in die Schublade des Vergessens abzuschieb­en. Eine Starthilfe kam von der „Oeuvre de secours Grande-Duchesse Charlotte“und der Trägergese­llschaft Esch 2022. Und das hat seinen guten Grund, denn wenn Esch gemeinsam mit der Südregion 2022 Europäisch­e Kulturhaup­tstadt sein wird, soll sich die Industriek­ultur nicht mit einer Nebenrolle abfinden.

Um das Vergessen zu verhindern, soll in die ehemalige Zentralwer­kstatt, in der es vor fast zehn Jahren zum Stillstand kam, neues Leben einziehen. FerroForum will hier nicht nur den Werdegang vom Erz zum Stahl veranschau­lichen, sondern auch einen Einblick in die Handwerke vermitteln, die an dem Prozess beteiligt waren. Dazu stellt Präsident Misch Feinen fest: „Wir wollen kein Museum sein, sondern ein lebendiger Ort.“So will man hinter den hohen Mauern der früheren Werkstatt sowohl auf die Ursprünge der Eisenindus­trie eingehen als auch die neuen Technologi­en in der Stahlverar­beitung vorstellen.

Dazu hat man sich die Mitarbeit von externen Experten zugesicher­t. Den Löwenantei­l der

Arbeit aber übernehmen ehrenamtli­che Mitarbeite­r, die sich jeden Dienstag und ab und zu auch samstags treffen, um der stillgeleg­ten Werkstatt neues Leben einzuhauch­en. 18 Leute, die hier regelmäßig mit Hand anlegen, gehören zum sogenannte­n harten Kern.

Ein erstes Projekt, das seiner Vollendung entgegensi­eht, ist ein Hochofen im Miniaturfo­rmat. Ganz so klein, wie es die Bezeichnun­g vermuten lässt, ist er aber nicht, denn immerhin misst er fünf Meter. „Es ist meines Wissens nach der kleinste Hochofen, der je gebaut wurde“, erklärt Misch Feinen.

Der Präsident von FerroForum erkennt in dem Projekt einen klaren Unterschie­d zum benachbart­en Standort Belval: „Belval mit den Hochöfen ist eine Kulisse. Hier sollen die Besucher konkret sehen, wie in der Stahlindus­trie gearbeitet wurde.“

Dokumente und Zeitzeugen

Neben der Vorstellun­g von historisch­em Handwerksz­eug und modernen Technologi­en in der Stahlindus­trie in den Ateliers verfolgt die Vereinigun­g noch ein anderes Ziel. So soll ein Archiv aufgebaut werden. Dabei soll sich nicht darauf beschränkt werden, Bildmateri­al und technische Zeichnunge­n zu horten, sondern FerroForum will auch Aussagen von Zeitzeugen festhalten, die in der Stahlindus­trie ihr Brot verdienten. Und, so versichert man, diese Sammlung soll nicht nur für interne, sondern auch für externe Projekte zur Verfügung gestellt werden.

Ein dritter Aspekt bei dem Projekt ist die Einrichtun­g eines Aufenthalt­sbereichs mit Ausschank. Er soll genutzt werden für Konferenze­n, Lesungen, Konzerte und den

Wir wollen kein Museum sein, sondern ein lebendiger Ort. Misch Feinen, Präsident von FerroForum

Austausch zwischen Gleichgesi­nnten. Hier will man auch typische Gerichte aus der Zeit des Bergbaus und der Eisenindus­trie anbieten. Zum Kulturjahr 2022 könnten in diesem Bereich außerdem Diskussion­en und Workshops organisier­t werden. Zusätzlich will die Vereinigun­g Besichtigu­ngen anbieten.

Und wie sieht die Zukunft aus? Droht die Zentralwer­kstatt, die 1913 im Rahmen der Erweiterun­g der Eisenhütte zwischen Esch und Schiffling­en entstand, nicht der Abrissbirn­e zum Opfer zu fallen, wenn auf der Industrieb­rache ein Wohnungsba­uprojekt verwirklic­ht wird? Man hoffe auf die Unterstütz­ung des zukünftige­n Eigentümer­s Agora und führe auch Gespräche mit der Denkmalsch­utzbehörde, erklärt Misch Feinen. Er gibt sich optimistis­ch: „Wir sind zuversicht­lich, dass die Ateliers bestehen bleiben.“

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Foto: R. Schmit Misch Feinen (rechts) und seine Mitstreite­r wollen die Erinnerung an die Stahlindus­trie erhalten.

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