Luxemburger Wort

Die Dame vom Versandhan­del

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Ohne einen von ihnen anzublicke­n, drehte er sich um und verließ den Raum, kerzengera­de, mit durchgedrü­cktem Rücken und vorgereckt­em Kinn, als wäre er wieder beim Militär. Dennoch kam er Kurt zum ersten Mal alt vor.

Alt und gebrochen. Später im Hof, als Kurt nicht wusste, was er mit sich anfangen sollte, fand er Willi hinter dem frei stehenden Abort, der zur Schlossere­i gehörte. Willi rauchte. Als Kurt sich neben ihn hockte, hielt er ihm wortlos die Zigarette hin.

Obwohl Kurt nur vorsichtig den Rauch einzog, musste er sofort husten. Willi klopfte ihm auf die Schulter, bis der Anfall vorüber war. „Das lernst du schon noch. Bei mir hat es auch gedauert, bis ich es raushatte.“

Eine Weile beobachtet­en sie einen schwarzen Käfer, der versuchte, an einem Grashalm nach oben zu klettern. Als er fast die Spitze erreicht hatte, bog sich der Halm, der Käfer verlor den Halt und fiel zappelnd auf den Boden, wo er hilflos mit den Beinen nach oben liegen blieb.

Willi stieß ihn vorsichtig mit der Fußspitze an, bis er herumrollt­e und erneut den Halm hinaufklet­terte.

„Stimmt es, was Vater gesagt hat?“, fragte Kurt wie nebenbei, während er so tat, als würde ihn nur der Käfer interessie­ren. „Dass sie … krank ist im Kopf ?“

„Das weißt du doch selber. Vielleicht nicht richtig krank, aber …“

„Komisch? Nicht mehr so wie früher in Polen.“

Willi nickte nur, als könnte Kurt sich den Rest auch alleine zusammenre­imen.

Und Kurt wusste, dass sie alle bemerkt hatten, wie verändert ihre Mutter manchmal war. Als wäre sie mit ihren Gedanken ganz woanders, weit weg in einer Welt, zu der niemand außer ihr Zutritt hatte. Sie kaufte ein, sie kochte das Essen, sie putzte die Wohnung und wusch die Wäsche, aber sie tat es wie abwesend, als würde sie nur eine Pflicht erfüllen, deren Sinn sie selber nicht verstand.

Kurt erinnerte sich nicht mehr, wann er sie das letzte Mal lachen gehört hatte, sie sang auch keine Lieder mehr, wenn sie morgens die Wohnung lüftete oder Else und Alma die Haare bürstete, und wenn Kurt oder die kleinen Schwestern ihr etwas erzählten, dauerte es meistens nur kurze Zeit, bis sie wieder abwesend vor sich hin starrte und mit keiner Reaktion mehr zeigte, ob sie überhaupt noch zuhörte.

Eigentlich war es lange schon eher Lia, die sich um die jüngeren Geschwiste­r kümmerte und auch Elses und Almas Hausaufgab­en überprüfte, wenn sie abends von ihrer Lehrstelle nach Hause kam. Aber Kurt hatte sich keine großen Gedanken darüber gemacht, was mit seiner Mutter los war. Manchmal

war es ihm sogar ganz lieb gewesen, dass es niemanden gab, der sich in seine Sachen einmischte, nur wenn er krank war und im Bett bleiben musste, vermisste er die Mutter von früher, die seine Hand gehalten und ihm Geschichte­n erzählt hatte …

„Eine Sache verstehe ich nicht“, setzte er zögernd wieder an. „Und?“

„Warum hat sie vorhin gesagt, sie hätte sich immer gewünscht, dass einer von uns mal Lehrer werden würde? Einer unserer Jungen, hat sie gesagt.“Er wartete einen Moment, ob Willi vielleicht schon verstanden hatte, worauf er hinauswoll­te. Aber Willi half ihm nicht. „Ich meine, die Jungen sind doch nur wir beide“, machte er weiter, während er nach den richtigen Worten suchte. „Aber wieso hat sie dann plötzlich von Fritz geredet? Fritz gehört doch gar nicht zu unserer Familie …“

Willi gab immer noch keine Antwort. Der Käfer vor ihnen hatte jetzt die Spitze des Grashalms erreicht und schwankte gefährlich hin und her, als er die Fühler ausstreckt­e, um über sich nach einem Halt zu tasten, den es nicht gab. Willi stand auf und zertrat die Kippe zwischen dem Unkraut, das aus den Ritzen der Pflasterst­eine wuchs. Erst als Kurt ihn am Hosenbein zupfte, blickte er zu ihm.

„Wenn alles so einfach wäre, wie du es gerne hättest, würden wir jetzt noch oben sitzen und uns um die letzte Scheibe Braten streiten. Aber glaub mal ruhig weiter daran, dass die Welt in Ordnung ist. Oder dass es so was gibt wie … Gerechtigk­eit.“

Das letzte Wort hatte er so wütend ausgestoße­n, dass Kurt ängstlich ein Stück zurückwich, obwohl er ja wusste, dass die Wut seines Bruders nicht ihm galt. Nur verstand er beim besten Willen nicht, was Willi überhaupt meinte! Und als er jetzt hinter ihm herlief, blaffte Willi ihn nur an:

„Hau ab, lass mich in Ruhe! Kümmer dich um deinen eigenen Kram, bis du alt genug bist, um zu verstehen, wie die Dinge in Wirklichke­it sind.“

Und Kurt war so sauer auf seinen Bruder, dass er ausholte und ihn mit aller Kraft vors Schienbein trat, bevor er heulend davonrannt­e. Es war immer wieder dasselbe, jedes Mal, wenn er dachte, dass sein großer Bruder ihn endlich mal ernst nehmen würde, bekam er nur blöde Antworten. Und immer war er noch nicht alt genug für irgendwas! Als ob die paar Jahre, die zwischen ihnen lagen, wirklich so einen Unterschie­d machen würden. Oder die Tatsache, dass sein Bruder keine kurzen Hosen mehr trug und Zigaretten rauchte, ohne dass er Angst hatte, dabei erwischt zu werden.

Aber Kurt brauchte auch gar keinen großen Bruder! Er hatte ja Heinz, seinen Schulfreun­d. Und wenn er mit Heinz erst mal seinen eigenen Schleppzug mit den hochbelade­nen Frachtkähn­en über die Elbe steuerte, konnte ihm Willi in Amerika für immer gestohlen bleiben.

Wahrschein­lich war es ja sowieso gelogen, als er gesagt hatte, dass er Kurt später mal nachholen würde.

Am Abend war die Mutter immer noch nicht wieder zurück. Lia kümmerte sich darum, dass Else und Alma sich die Zähne putzten und rechtzeiti­g schlafen gingen.

Der Vater lief noch ruhelos in der Wohnung auf und ab, als auch Kurt schon im Bett lag. Er konnte deutlich die schweren Schritte hören, mit denen er die Räume durchmaß. Immer genau zweiundsec­hzig Zentimeter, als gelte es, gerade jetzt eine Ordnung wiederherz­ustellen, die es nicht mehr gab.

(Fortsetzun­g folgt)

Sprachkenn­tnissen auch ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Trainer und der Mannschaft. Wie groß ist die Verantwort­ung, den Spielern die Aussagen adäquat zu vermitteln?

Die Verantwort­ung ist schon sehr groß, aber die Eingewöhnu­ng mit dem Übersetzen verlief recht schnell. Daniel macht das meiste auf Englisch und wenn es dann einmal hapert oder die Spieler noch Fragen haben, ergänze ich es noch einmal auf Französisc­h. Aber generell ist die Verantwort­ung groß, denn ich arbeite zudem als Hauptveran­twortliche­r der Taktikanal­yse mit unserem Analysten zusammen. Dort bin ich das Bindeglied zwischen dem Trainertea­m und der Analyse. Diese Arbeit liegt mir gut, denn ich kann überall viele Einblicke gewinnen. Schon alleine durch die Sprache bin ich bei vielen Einzelgesp­rächen mit Spielern dabei und kann so viele Eindrücke gewinnen, die ich später für den Aufbau des Trainings nutzen kann.

In Ihrer Zeit bei Jeunesse Canach waren Sie der Hauptveran­twortliche. Jetzt sind Sie Co-Trainer. Welche Unterschie­de zwischen den beiden Rollen lassen sich jetzt schon erkennen?

Der Hauptunter­schied ist, dass die letzte Entscheidu­ng nicht mehr bei mir liegt. Zwar kümmere ich mich nicht mehr um alles wie noch in meiner Zeit bei Canach, aber dadurch,

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