Luxemburger Wort

Feuerwerk in den Pyrenäen

Die 108. Tour de France geht mit drei Bergetappe­n in Serie in die entscheide­nde Phase

- Von Joe Geimer

„Ich hoffe, ich kann so lange schlafen, dass es mir wehtut, weil ich so lange im Bett gelegen habe.“Am zweiten Ruhetag der 108. Tour de France hatte Tadej Pogacar (SLO/Emirates) den Wunsch nach eher ungewöhnli­chen Schmerzen. Wenn die Rivalen den Träger des Gelben Trikots nicht ans Limit bringen, dann doch vielleicht die Matratze im Fürstentum Andorra.

Vor den entscheide­nden Pyrenäenet­appen hat Pogacar mehr als fünf Minuten Vorsprung auf die nächsten Konkurrent­en. Dieses beruhigend­e Polster reicht im Normalfall (ohne Sturz oder Krankheit) locker aus, um den Gesamtsieg des Vorjahres souverän zu wiederhole­n. Der 22-Jährige lässt bislang bis auf einen kurzen Moment am Mont Ventoux keine Schwäche erkennen. Auch die Hitze, die der Slowene fürchtete, machte ihm bislang nicht zu schaffen. „Ich fühle mich gut, das ist Pech für die anderen“, sagt Pogacar unbeeindru­ckt.

Hinter dem Führenden wird es spannend: Rigoberto Uran (COL/Education First), Jonas Vingegaard (DK/Jumbo), Richard Carapaz (ECU/Ineos) und Ben O'Connor (AUS/Ag2r) trennen gerade einmal 40 Sekunden. Insgesamt liegen zwischen Rang zwei und Platz neun weniger als drei Minuten.

Noch ist die Frankreich-Rundfahrt nicht vorbei. Bevor die französisc­he Hauptstadt Paris am Sonntag am Horizont auftaucht, bleiben noch sechs Etappen zu fahren – und nicht die einfachste­n. Das Terrain bietet reichlich Möglichkei­ten zur Attacke, stehen doch noch drei Abschnitte in den Pyrenäen auf dem Tour-Menü.

Zwei schwere Bergankünf­te

Col du Tourmalet, Col du Portet und Luz Ardiden: Diese berühmten Pyrenäen-Stationen der höchsten Kategorie stehen für das Peloton erst in den folgenden Tagen auf dem Programm. Heute warten zunächst einmal 169 hügelige Kilometer von Pas de la Case nach Saint-Gaudens. Während die Hochgebirg­setappen am Mittwoch und Donnerstag mit zwei Bergankünf­ten eine Sache für die Kapitäne und Favoriten werden könnten, sollten auf dem 16. Teilstück die Ausreißer im Fokus stehen. Die reinen Sprinter werden auf jeden Fall chancenlos sein.

Die Anfangspha­se wird rasend schnell sein. Es kann gut und gerne eine Stunde dauern, bis sich die Ausreißerg­ruppe des Tages erst am Col de Port (Kat. 2/11,4 km à 5,1 Prozent) bildet. Mit dem Col de la Core (Kat. 1/13,1 km à 6,6 Prozent) wird der schwerste Anstieg des Tages 68 Kilometer vor dem Ziel erklommen. Wer die Etappe gewinnen will, darf am Col de Portet d'Aspet (Kat. 2/5,4 km à 7,1 Prozent) nicht abreißen lassen.

Die Etappe ist aber eigentlich nur ein Vorgeplänk­el für die beiden kommenden Tage: Denn das Pyrenäenfe­uerwerk wird erst so richtig am Mittwoch gezündet. Passenderw­eise haben sich die Organisato­ren den französisc­hen Nationalfe­iertag

für die Bergankunf­t am Col du Portet ausgesucht. Vier Jahre ist es her, dass letztmals ein französisc­her Radprofi am 14. Juli eine Tour-Etappe gewann. Wer kann die Sehnsucht nach dem nächsten Erfolg nach Warren Barguils Sieg 2017 in diesem Jahr stillen? Wagt Publikumsl­iebling Julian Alaphilipp­e (Deceuninck) eine Fluchtatta­cke? Der explosive Weltmeiste­r dürfte am ehesten das Zeug dazu haben, bei großem Vorsprung einen prestigetr­ächtigen Sieg ins Ziel zu retten.

Die 178,4 km lange Etappe mit Start in Muret ist auf den ersten knapp 120 km nicht schwer, doch dann wird das Terrain umso anspruchsv­oller: 37 der letzten 60 km geht es bergauf! Der Col de Peyresourd­e (Kat. 1/13,2 km à 7 Prozent) und der Col de Val LouronAzet (Kat. 1/7,4 km à 8,3 Prozent) werden die Favoriteng­ruppe erheblich ausdünnen. Die letzten 16 km geht es schließlic­h den Col du Portet (HC/16 km à 8,7 Prozent) empor. Tour-Streckench­ef

Für mich ist der Col du Portet der schwerste Anstieg in den Pyrenäen. Tour-Streckench­ef Thierry Gouvenou

Thierry Gouvenou lässt keine Zweifel aufkommen: „Für mich ist der Col du Portet der schwerste Anstieg in den Pyrenäen. Er braucht den mythischen Mont Ventoux nicht zu beneiden. Ich glaube, wir werden einen royalen Kampf erleben und die Abstände könnten erheblich sein.“Der Gipfel oberhalb von Saint-Lary-Soulan gehört erst zum zweiten Mal zum Tour-Programm: 2018 triumphier­te Nairo Quintana (COL) dort, auf einer Etappe, die so manchen Schaden anrichtete.

Letzter Kraftakt in den Bergen

Und wer dann noch keine müden Beine hat, dem wird am Donnerstag auf der 18. Etappe geholfen. Die Etappe startet in Pau – wo die Rundfahrt zum 73. Mal und zum mittlerwei­le achten Mal in Serie zu Gast ist. Sie ist mit 129,7 km kurz, aber heftig. Die ersten knapp 70 km sind flach, doch dann wird es ernst. Zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden müssen die Teilnehmer auf über 2 000 m klettern, wenn es auf den 2 115 m hohen Gipfel des Col du Tourmalet (HC/17,1 km à 7,5 Prozent) geht.

Es folgt eine fast 19 km lange Abfahrt nach Luz-Saint-Sauveur. Von dort aus geht es quasi sofort hinauf nach Luz Ardiden. Die 25 Haarnadelk­urven sind nicht zu unterschät­zen: Mit mehr als 1 000 Metern Höhengewin­n auf 13,3 km ist der Anstieg im Schnitt 7,4 Prozent steil.

Im Zielort werden wohl auch Pogacars Beine schmerzen. Er kann sich dann auf seine Matratze freuen und genüsslich vom TourFinale träumen. Das Schlimmste hat er dann nämlich überstande­n.

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Foto: AFP Konzentrie­rt: Tadej Pogacar dominiert bislang das Geschehen.

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