Eine Frau bricht ihr Schweigen
Wie Liv sich nach sexuellen Übergriffen durch eine Vertrauensperson zurück ins Leben kämpft
te verhindern, dass anderen Ähnliches widerfährt. Sie möchte, dass die Gesellschaft über das Thema spricht. Und sollte der Täter noch andere Mädchen missbraucht haben, hofft sie, dass diese den Mut fassen, zur Polizei zu gehen.
Psychische Gewalt und Manipulation Der Täter hat nie physische Gewalt angewendet. Er konnte seinen Willen durchsetzen, indem er seine Opfer psychisch manipuliert und seine Position als Vertrauens- und Bezugsperson schamlos ausgenutzt hat. „Liv hat ihn auf ein Podest gehoben, nur positive Eigenschaften in ihm gesehen. Wenn man von so jemandem so tief enttäuscht wird, fällt man von seinem Glauben ab“, sagt die Psychotherapeutin. „Aus der Wissenschaft weiß man, wenn ein Kind von einer Bezugsperson missbraucht wird, dann ist das viel schlimmer für das Kind, als wenn es sich um eine fremde Person handelt.“
Die Gewalt, die der Täter den Mädchen antat, hinterließ keine Spuren am Körper. „Ich hatte nie blaue Flecken“, sagt Zoé. Schlimmer noch. Sie konnte nicht aussagen, sie habe sich gewehrt. Das sei sehr belastend und auch der Grund gewesen, warum sie erst einige Jahre nach den Übergriffen zur Polizei gegangen ist. „Ich konnte die Situation nicht einordnen und war mir nicht sicher, ob überhaupt eine Straftat vorliegt, ob ich nicht vielleicht mit dran schuld bin.“Sie erzählt, der Täter sei früher Polizist gewesen. „Für mich bedeutete das, dass er die Gesetze kennt und weiß, was er machen darf und was nicht. Weil er Polizist war, habe ich mich ganz besonders auf ihn verlassen“, erzählt Zoé.
Zurück ins Leben
Der Täter wurde schuldig gesprochen, doch Liv bekam keine Genugtuung – wegen des Urteils und weil der Täter ausgerechnet in ihrem Fall – trotz Beweislast – alle Vorwürfe abgestritten hat. Möglicherweise aus Rache, weil sie die Dinge ins Rollen gebracht hat.
Doch Liv lässt sich davon nicht beeindrucken. Sie findet ihren eigenen Weg, die Erlebnisse zu verarbeiten. Sie verlässt die Opferrolle, bietet dem Täter die Stirn, indem sie offen über alles redet. Sie setzt sich ans Steuer ihres eigenen Lebens. Im Gespräch strahlt sie Besonnenheit
aus und wirkt sehr reflektiert. Sie weiß, was sie tut und was sie will. Liv mache große Fortschritte, erzählt die Psychotherapeutin. Sie sei fasziniert „von dem starken Willen und den unfassbar vielen Ressourcen, die Liv in sich trägt“. Momentan fahre sie mit angezogener Handbremse durchs Leben. „Aber sie hat viele Stärken und es ist schön zu sehen, dass sie diese nutzt, um sich aus dem emotionalen Zustand zu befreien.“Unterstützt wird sie dabei von einer liebevollen Familie, die ihr viel Halt gibt.
Zoé lebt heute in Berlin. Ab und zu denke sie noch an die Ereignisse und sie hätten definitiv einen Einfluss auf ihre Liebesbeziehungen. Dennoch komme sie gut klar. „Ich mache diese Dinge mit mir selbst aus“, sagt sie.
Entschuldigung
Aus dem Musikverein hat sich niemand bei Liv, Zoé oder den Eltern gemeldet. Bis heute kein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung. Die jungen Frauen waren über Jahre Mitglied und hätten sich eine Entschuldigung gewünscht. „Man kann sich auch für Dinge entschuldigen, wenn man persönlich nichts falsch gemacht hat, man aber eine gewisse Aufsichtspflicht hatte“, sagt Zoé. „Um Verzeihung zu bitten, tut nicht weh.“
Ich war mir nicht sicher, ob ich nicht vielleicht mit dran schuld bin. Zoé