Brüssel zeigt den Weg
Die Europäische Kommission stellt die notwendigen Reformen vor, um die EU-Klimaziele zu erreichen
„Europa hat als erster Kontinent angekündigt, bis 2050 klimaneutral zu sein, und nun sind wir ebenfalls die Ersten, die einen konkreten Plan vorlegen“, sagte die EUKommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gestern in Brüssel: „Europa lässt nun seinen Worten zur Klimapolitik Taten folgen.“
Unter dem etwas verwirrenden Namen „FitFor55“legte die Brüsseler Behörde ein riesiges Gesetzespaket vor, das den Weg vorzeichnet, um die neuen Klimaziele der EU Realität werden zu lassen. Im vorigen Dezember hatten sich die 27 Mitgliedsstaaten der EU darauf geeinigt, die Treibhausgase der Union bis 2030 um mindestens 55 Prozent (Deswegen „FitFor55“) unter den Wert von 1990 zu senken – und nicht wie zuvor auf nur 40 Prozent. 2050 soll die EU dann klimaneutral sein. Das gestern vorgestellte Paket legt alle Gesetze dar, die laut Kommission in der Union reformiert oder neu angenommen werden müssen, um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen. Im Kern des Pakets steht die Feststellung, wonach fossile Brennstoffe ausgedient haben.
„Es wird hart sein – für jeden“, warnte der EU-Klima-Kommissar Frans Timmermans, der weiß, dass viele der Reformen große Herausforderungen für Wirtschaft und Bevölkerung mit sich bringen werden. „Der Weg zu einer grünen und gesunden Zukunft für alle erfordert erhebliche Anstrengungen in allen Sektoren und in allen Mitgliedsstaaten.“Deswegen folgt das Paket zwei Leitlinien: Einerseits lassen die vorgeschlagenen Gesetze den Preis von CO2-Emissionen steigen, andererseits ist die EU-Kommission bemüht, die Last dieser Preissteigerung nicht zu sehr auf die Schultern der europäischen Bürger und Bürgerinnen fallenzulassen.
Wer zahlt für die Wende?
Damit der Preis der Verschmutzung steigt, sollen EU-Regeln verschärft oder breiter aufgestellt werden. Einer der wichtigsten Vorschläge, die angekündigt wurden, ist demnach eine Überarbeitung des europäischen CO2-Marktes, bekannt als Emissionshandelssystem (ETS). Dieses System sieht vor, dass bestimmte Unternehmen für den Ausstoß von Kohlendioxid, Lachgas und perfluorierten Kohlenwasserstoffen Verschmutzungszertifikate brauchen, die sie entweder ersteigern müssen oder kostenlos zugeteilt bekommen. Die Logik: Wer sauber produziert, muss weniger Rechte erwerben oder kann überschüssige wieder verkaufen. Das Problem: Insgesamt deckt dieses System derzeit lediglich rund 40 Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU ab – Straßenverkehr ist etwa davon ausgeschlossen. „Der Straßenverkehr ist (aber) der einzige Sektor, in dem die Emissionen in den vergangenen Jahren sogar noch gestiegen sind – und dem müssen wir etwas entgegensetzen“, sagt etwa Ursula von der Leyen. Deswegen soll der Handel auf den Wohnungs- und Verkehrssektor ausgedehnt werden. Konkret sollen künftig also auch Straßenverkehr, Schifffahrt und internationale Flüge betroffen sein. Die Krux: Erstmals wird der Emissionshandel Bereiche berühren, die sehr nah am Endkonsumenten sind.
Dies sorgt für Kritik seitens Umweltschützer und einiger Regierungen, die befürchten, dass die Akzeptanz für ehrgeizige Klimaziele dadurch sinken wird. Während „Déi Gréng“in Luxemburg etwa begrüßen, dass die Schifffahrt nun auch dem ETS-System unterliegen wird, bedauert man, dass dies auch der Fall für den Straßenverkehr sein wird. Für die Luxemburger Umweltministerin Carole Dieschbourg
(„Déi Gréng“) ist die Idee nämlich „kontraproduktiv“: „Der überhöhte Preis der Zertifikate birgt die Gefahr, dass in einer EU mit großen Kaufkraftunterschieden zwischen den Mitgliedsstaaten unnötige soziale Schwierigkeiten entstehen. Ein zu niedriger Preis der Zertifikate kann die erforderliche Emissionsreduktion nicht erbringen.“
Soziale Abfederung
Die EU-Kommission kennt die Kritik und will die negativen Folgen für die Haushalte mit einem Klimasozialfonds abfedern. Finanziert wird dieser Fonds mit einem Betrag aus dem EU-Haushalt, der 25
Prozent der erwarteten Einnahmen aus dem Emissionshandel für Treibstoffe im Gebäudesektor und Straßenverkehr entspricht. Die Kommission rechnet dabei mit 72 Milliarden über sieben Jahre. „Das wird nicht ausreichen, um die regressiven Verteilungseffekte des neuen ETS-Systems auf Straßenverkehr und Bauwesen auszugleichen“, befürchtet indes der europäische Arbeitnehmerverband Etuc.
Harte Verhandlungen in Sicht
Vor allem Deutschland warb für die Ausweitung des ETS-Systems auf den Straßenverkehr, da die Kosten der Wende dadurch nicht auf die Industrie, sondern vor allem auf den Treibstofferwerb abgewälzt werden. Allerdings bleibt die Autoindustrie nicht ganz von den Plänen der Kommission verschont. Brüssel schlägt nämlich vor, dass die Treibhausgasemissionen von Neuwagen bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zu 2021 sinken sollen. Wenn sich Hersteller nicht an die Vorgaben halten, sollen Strafen gezahlt werden müssen. Ab 2035 sollen in der EU dann nur noch emissionsfreie Neuwagen zugelassen werden, was dem faktischen Ende des Verbrennungsmotors entspricht. Nun müssen Mitgliedsstaaten und EU-Parlament über die Gesetzesvorschläge verhandeln. In Brüssel rechnet man mit langen und zähen Verhandlungen in den kommenden Jahren.
Das Paket sieht auch die Einführung einer CO2-Abgabe für Importe von Zement, Stahl, Aluminium, Düngemittel und Strom aus Ländern mit geringeren Klimaschutzstandards vor. Die Kommission hat dabei drei Ziele im Auge: Den Reformdruck auf Drittstaaten erhöhen, der Industrie die Verlagerung der Produktion außerhalb der EU weniger schmackhaft machen und die heimische Produktion vor Dumpingpreisen aus dem EU-Ausland schützen.
Obendrein sollen Kerosin, das als Kraftstoff in der Luftfahrt verwendet wird, und Schweröl, das in der Seeschifffahrt genutzt wird, für Reisen innerhalb der EU nicht mehr wie bisher vollständig von der Energiesteuer befreit sein. Die Reform der Richtlinie zur Besteuerung von Energie könnte zudem auch den Spielraum für Tanktourismus reduzieren.