Jetzt ist Sydney an der Reihe
Australiens größte Stadt hat mindestens zwei weitere Wochen Lockdown vor sich – Kritik an langsamem Impffortschritt
Vor einem Jahr war es, als Covid19 in der australischen Metropole Melbourne so richtig wütete. Mehrere hundert Personen starben, die Stadt wurde von den Behörden infolgedessen während knapp vier Monaten richtiggehend lahmgelegt. Es war einer der härtesten Lockdowns der Welt. Und nun, gut ein Jahr später, brach in Sydney die Delta-Variante aus. Wahrscheinlich infizierte eingereistes Flugzeugpersonal Mitte Juni einen Chauffeur, der das Virus wiederum unbewusst in die Bevölkerung trug. Obwohl die Behörden danach zuerst einen Teil der größten australischen Stadt in einen Lockdown schickten, konnte der Ausbruch nicht eingedämmt werden. Die Folge: Zwei Wochen Lockdown für den Großraum Sydney mit mehr als fünf Millionen Einwohnern.
Gestern hat nun die Premierministerin des betroffenen Bundesstaats New South Wales, Gladys Berejiklian, die Maßnahmen bis zum 30. Juli verlängert. „Es schmerzt immer, so etwas bekanntzugeben“, sagte sie in einer Pressekonferenz. Die Einwohner sind weiterhin dringend angehalten, zuhause zu bleiben. Einzig wegen vier Gründen dürfen sie das Haus verlassen: Einkaufen, medizinische Gründe, körperliche Ertüchtigung und unverzichtbare Arbeit. „Das ist ein harter Lockdown. Ich kann nicht genug betonen, dass alle die Situation ernst nehmen müssen“, erklärte Kerry Chant, oberste Medizinerin des Bundesstaats.
Seit März 2020 ist Australien zu
Experten halten es für wahrscheinlich, dass die Maßnahmen auch nach weiteren zwei Wochen Lockdown aufrechterhalten werden müssen. Das Ziel müsse sein, die Zahl der Ansteckungen auf Null drücken zu können. Am Mittwoch waren 97 neue Fälle bekannt geworden, womit sich nun seit dem Chauffeur 864 Personen mit dem Virus angesteckt haben.
Das mag nach wenig Fällen klingen – und das ist es im weltweiten Vergleich auch. Aber Australien verfolgt eine Null-Toleranz-Politik in Sachen Covid-19. Das heißt, bei neuen Ausbrüchen führen die einzelnen Bundesstaaten schnell harte Maßnahmen ein, damit die Situation unter Kontrolle gebracht und das normale Leben möglichst rasch wieder aufgenommen werden kann. Zu den Maßnahmen gehören neben Blitz-Lockdowns auch immer wieder geschlossene Grenzen innerhalb des Landes. Die einzelnen Bundesstaaten verbarrikadieren sich bei neuen Ausbrüchen regelmäßig.
Nach außen ist das ganze Land seit März 2020 zu. Einreisen dürfen nur australische Staatsbürger, Ausnahmefälle wie reiche Geschäftsleute, Filmstars und Sportler sowie teilweise Touristen aus dem Nachbarland Neuseeland, das die Situation ebenfalls unter Kontrolle hat. Doch selbst für Australier, die aus dem Ausland zurückkehren, ist die Reise nicht einfach. Zehntausende müssen manchmal monatelang auf einen der nötigen Plätze in Quarantänehotels warten, wo sie nach der Landung zwei Wochen verbringen müssen, bevor sie ins Land gelassen werden. Fälle von Ehepaaren, die seit einem halben oder gar einem ganzen Jahr voneinander getrennt sind, sind keine Seltenheit.
Die australische Strategie ist radikal, aber sie funktioniert recht gut: Das Land verzeichnet bis dato rund 31 000 Ansteckungen und gut 900 Todesfälle bei 25 Millionen
Einwohnern. Beim Impfen allerdings hapert es gewaltig. Bisher sind gerade einmal rund zehn Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. Damit liegt Australien weit abgeschlagen hinter europäischen Staaten, von denen viele um die 40 Prozent der Bevölkerung geimpft haben. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. So setzte die australische Regierung zu Beginn der Impfkampagne voll auf den Impfstoff von Astrazeneca. Doch wurde dieser wegen einer möglichen Gefahr von Blutgerinnsel auf über 60-Jährige beschränkt. Die anderen Impfstoffe von Moderna sowie Pfizer/Biontech wurden erst später bestellt, weswegen es davon im Land nur geringe Mengen gibt.
Das führt zu Kritik an der Regierung. Immer wieder schießen Politiker gegen Premierminister
Scott Morrison. So etwa James Merlino, stellvertretender Premier von Victoria: „Das ist ein Rennen und wir fallen weiter nach hinten.“Auch Anthony Albanese, Vorsitzender der Oppositionspartei Labor, geht den Premierminister hart an: „Scott Morrison hat beim Impfprogramm versagt.“
Australien könnte heute soweit sein wie Großbritannien, aber nun befindet man sich am Ende der OECD-Rangliste. Auch Teile der Bevölkerung sind nicht zufrieden. James Powditch, ein Künstler in Sydney, fertigte ein Schild an, auf dem er den Politiker hart angeht: Scott Morrison sei ein nutzloser Vollidiot, der nach 18 Monaten Pandemie nur genügend Impfstoff für vier Prozent der Bevölkerung bestellt habe. Viele machen den Premierminister für den neuen Lockdown in Sydney verantwortlich, da das Impfprogramm zu wenig fortgeschritten sei.
Vier-Punkte-Plan ohne Fahrplan
Derweil kommt auch eine neue Werbekampagne, welche die Australier zum Impfen animieren soll, nur mäßig gut an. Sie zeigt in drastischen Bildern eine junge Frau in einem Spital, wie sie mit Covid-19 kämpft. Man solle nun einen Termin für eine Impfung buchen, heißt es in der Aufforderung. Dumm nur, dass junge Personen wohl noch monatelang auf das Vakzin warten müssen, da wie erwähnt der Impfstoff im Land sehr knapp ist.
Scott Morrison hat also an allen Ecken und Enden zu kämpfen. Da soll ihm ein Vier-Punkte-Plan helfen, der aufzeigen soll, wann Australien wieder zur Normalität zurückkehren wird. Wann die beiden letzten Lockerungsphasen gestartet werden sollen, ist allerdings nicht klar. Gefragt, ob die Australier zu Weihnachten 2022 – nicht 2021 – wieder ins Ausland reisen können, antwortete er, das sei zu weit weg. Er hoffe es aber.