Unvergessener Jubel
Mit Winston Churchill hat vor 75 Jahren ein leidenschaftlicher Individualist, ein hochbegabter Schriftsteller und ein schlagfertiger Redner Luxemburg besucht
Boris Johnson, der eine Winston-Biografie geschrieben hat. Sein Buch „Der Churchill-Faktor“ist aber mehr Charakterstudie als Biografie, es ist eine biografische Liebeserklärung, eine Hommage an die politische Persönlichkeit Churchills. Johnson beschreibt darin den verrauchten Raum in Westminster, in dem sich das Kriegskabinett zu Beginn des Krieges traf und darüber beriet, ob Großbritannien NaziDeutschland die Hand reichen sollte oder nicht. „Was wäre passiert, wenn man den Kriegspremierminister aus diesem dunklen Raum rausgenommen hätte?“, fragt Johnson. Was wäre, wenn Außenminister Lord Halifax oder der krebskranke Chamberlain das Steuer übernommen hätten. Undenkbar, was aus deren Beschwichtigungspolitik geworden wäre ...
Vor Johnson hat auch der Publizist und Historiker Sebastian Haffner in seiner ChurchillBiografie darauf hingewiesen, dass Geschichte an bestimmten Punkten von Einzelnen abhängt, von ihrer Energie und ihrer Unbeirrbarkeit. Dabei zeigt auch Haffner auf die dünnen Fäden, an denen oft Heil oder Unheil hängt und stellt ebenso wie Johnson die Frage: Was wäre gewesen, wenn?“
An den beiden Tagen des Churchill-Besuchs in Luxemburg im Juli 1946, wird dem Kriegsgewinner aber auch Wahlverlierer im eigenen Land – er war ein knappes Jahr zuvor abgewählt worden – zugejubelt. Am zweitem Besuchstag würdigt ihn der Kammerpräsident Emile Reuter, Stadtbürgermeister Emile Hamilius überreicht ihm eine Kunstkeramik aus Septfontaines aus dem 18. Jahrhundert.
Churchill reist am Abend des 15. Juli ab. Bevor er sich auf der Flugpiste Findel von Luxemburg verabschiedet, legt er noch einen Blumenkranz am Grab des US-Generals George
Bevor sich Winston Churchill auf dem Fluggelände Findel von Luxemburg verabschiedet, legt er einen Blumenkranz am Grab des US-Generals George Patton auf dem Militärfriedhof in Hamm nieder.
Patton auf dem Militärfriedhof in Hamm nieder, der am 21. Dezember des Vorjahres in Heidelberg nach einem Autounfall ums Leben gekommen war.
Ein Denkmal ohne Zigarre, aber in Bronze
Luxemburg wird Churchill sobald nicht vergessen. 1973, acht Jahre nach seinem Tod, lassen die British-Luxembourg Society und die Ligue des Prisonniers Politiques et Déportés, ein Monument für „den größten Politiker Europas während der Kriegszeit“errichten. Großherzog Jean hat seine Schirmherrschaft über eine Stiftung gestellt, in die die Luxemburger für das Monument einzahlen können. Die Statue, ein Werk des kroatischen Bildhauers Oscar Nemon (1906-1985), wird am 23. Oktober 1973 eingeweiht. Der Künstler hat in seiner Schaffenszeit mehr als ein Dutzend Skulpturen von Winston Churchill angefertigt.
Bei der Enthüllung des Monumentes ist auch Churchills Tochter Mary dabei, die auch 1946 bereits in Luxemburg war. Sie hält eine Ansprache: „My father saw no conflict between his devotion to the European cause on the one hand, and on the other his loyality to Britain and his determination that Britons should be free to remain themselves, and in this spirit he pointed the way towards creation of a united Europe“, sagt die junge Frau bei der Einweihungszeremonie und erinnert auch daran, wie ihr Vater im September 1946, also nur zwei Monate nach seinem Besuch in Luxemburg, in einer Rede vor der akademischen Jugend in Zürich die Schaffung der Vereinigten Staaten Europas gefordert hat. 1972, ein Jahr vor der Einweihung der Statue, hat Großbritannien die Beitrittsurkunde zur Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet. Der aktuelle Premierminister Großbritanniens Boris Johnson aber, hat inzwischen einen anderen Kurs in Europa eingeschlagen.
Sebastian Haffner, „Winston Churchill“, 2002, Rowohlt Boris Johnson, „Der Churchill Faktor“, 2015, Klett-Verlag