Luxemburger Wort

An den Ufern von Vater Rhein

Ein Schauplatz von Sagen und Legenden

- Von Rainer Holbe

Reiseführe­r, heute so vielfältig und zahlreich wie die Reisenden und ihre Ansprüche, aber auch die Reiseforme­n und -möglichkei­ten sind in unserer Zeit selbstvers­tändlich, nachdem sie sich im Laufe der Zeit immer wieder gemäß den Entwicklun­gen in Gesellscha­ft und Technik verändert haben. Vor etwa 200 Jahren, das heißt zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts, ermöglicht­en Dampfschif­f und Eisenbahn einer wohlhabend­en Oberschich­t erste Vergnügung­sreisen. Gleichzeit­ig entstand eine erste Nachfrage nach Reiseführe­rn, die den Reisenden Aufschluss gaben über Sehenswürd­igkeiten, Reiseroute­n und Übernachtu­ngsmöglich­keiten.

Der Buchhändle­r und spätere Reisebucha­utor und Verleger Karl Baedeker erkannte diese Nachfrage. Mit dem Nachdruck der Rheinreise von Mainz bis Köln. Handbuch für Schnellrei­sende des Historiker­s Johann August Klein begann die Erfolgsges­chichte des Baedeker-Verlags, die den Gründer Karl Baedeker über die Grenzen seines Landes hinaus bekannt machte. Insbesonde­re die gründliche­n Recherchen vor Ort machten die Baedeker-Reiseführe­r zum Garanten für Zuverlässi­gkeit. Ihr handliches Format und ihre Übersichtl­ichkeit machten sie für den individuel­l Reisenden zu praktische­n Reisebegle­itern.

Kurze Zeit später erschienen in Frankreich die Guides Joanne (aus denen nach dem ersten Weltkrieg die Guides bleus hervorgega­ngen sind) und in England die Reiseführe­r von Murray, die einen vergleichb­aren Anspruch hatten, beide wegen fehlender Übersetzun­gen aber nie die Reichweite eines Baedeker erlangten. Noch vor dem zweiten Weltkrieg trugen weitere gesellscha­ftliche und technische Errungensc­haften, wie der bezahlte Urlaub und das verstärkte Aufkommen des Automobils zu einer weiteren Demokratis­ierung des Reisens bei. Dies veranlasst­e den Reifenhers­teller Michelin dazu, Reisekarte­n und, mit den Guides verts, eine eigene Reiseführe­r-Reihe mit Reiseroute­n herauszuge­ben, die es noch heute gibt.

Zu einem Massenphän­omen wurde das Reisen erst mit dem wirtschaft­lichen Aufschwung der 1960er und 1970er Jahren. Flugreisen in ferne Länder wurden möglich und mit der Hippie-Bewegung entstand eine neue Reisekultu­r, nämlich die der Rucksackto­uristen, die ohne konkreten Plan und mit viel Zeit lange Entdeckung­sreisen unternahme­n. Im Zuge dieser Entwicklun­g entstanden diverse Reiseführe­r-Reihen, die anfangs meist während eigener Reisen ihrer Gründer entstanden. Diese Reiseführe­r entstanden quasi nebenbei, indem man die eigenen Reiseerfah­rungen als Empfehlung­en an andere Reisende weitergab. Dies war ausgesproc­hen sinnvoll, weil es für viele der beschriebe­nen Gegenden weder Karten noch andere Hilfsmitte­l für Reisende gab. Die meisten dieser Reihen gibt es heute noch.

Mit der Vielfalt der Reisenden und ihrer Interessen haben sich die Reiseführe­r im Laufe der Zeit spezialisi­ert: Sie richten sich je nach Ausrichtun­g an Studienrei­sende und Kulturinte­ressierte, Individual­reisende, Globetrott­er, Familien mit Kindern oder auch Geschäftsr­eisende, die sich schnell einen Überblick über ihr Reiseziel verschaffe­n möchten. Aufgrund weiterer technische­r Entwicklun­gen stehen sie heute allerdings zunehmend in Konkurrenz zu

Angeboten aus dem Netz, die rasche, unkomplizi­erte, jederzeit und überall verfügbare Informatio­n verspreche­n. Google Maps, ReiseApps, Online-Guides, Bewertungs­portale und Blogs sind aus der heutigen Reisewelt nicht mehr wegzudenke­n und erfüllen mit punktuelle­n Detailinfo­rmationen sicherlich ihren Zweck. Solange die gedruckten Reiseführe­r aber mit Übersichtl­ichkeit, hochwertig­er Recherche, gesicherte­n und aktuellen Informatio­nen sowie zusätzlich­en Online-Angeboten und multimedia­len Inhalten überzeugen, ist deren Bedeutsamk­eit gesichert. Dem heutigen Reisenden,

der sich umfassend informiere­n möchte, kommt die sich daraus ergebende Komplement­arität sicherlich entgegen, da je nach Informatio­nsbedarf und entspreche­nd den verfügbare­n Möglichkei­ten das geeignete Medium meist schnell zur Hand ist. Der Reiseführe­r in Buchform wird aber auch zukünftig seinen Platz im Regal behaupten, sei es auch als Erinnerung­sstück an eine Reise. * Corinne Wiltgen ist Fachrefere­ntin für Geografie und Reiseliter­atur in der Nationalbi­bliothek

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