Luxemburger Wort

Abenteuerl­iche Reisen in unerforsch­te Regionen

Auf der Schallabur­g in Österreich läuft die sehenswert­e Ausstellun­g „Sehnsucht Ferne – Aufbruch in neue Welten“

- Von Heiner Boberski

hin unerforsch­te Regionen und legte umfangreic­he Sammlungen an, vor allem von Vögeln und Insekten. Er erstellte auch ein Verzeichni­s der Eingeweide­würmer bei Tieren aus Brasilien.

Entdeckung­sreisen blieben keineswegs reine Männersach­e. Schon Mitte des 19. Jahrhunder­ts erregten Berichte über die abenteuerl­ichen Reisen der mutigen Wienerin Ida Pfeiffer Aufsehen. Aus ihrer Sammlung stammen eine Tasche mit Stachelsch­weinborste­n aus Nordamerik­a und ein Gewebe aus der Rinde des Affenbrotb­aums aus Tahiti. Das Museum Waidhofen an der Ybbs hat Ida Pfeiffers Reise-Wollsocken in die Schau eingebrach­t. In den 1920er Jahren gelangte die Französin Alexandra David-Néel in Verkleidun­g einer Bettelnonn­e als erste Europäerin in das sagenumwob­ene Lhasa. Die tibetische Mütze, unter der sie ihr helles Haar verbarg, ist in der Ausstellun­g zu sehen.

Die Linguistin und Ethnologin Etta BeckerDonn­er (1911-1975) leitete in Wien das Museum für Völkerkund­e, das heutige Weltmuseum. Schon als Studentin machte sie sich einen Namen durch abenteuerl­iche Reisen in Afrika, später war sie vor allem in Lateinamer­ika, aber auch in den USA, in China und in der Sowjetunio­n unterwegs.

Die Ausstellun­g erinnert natürlich an die großen Entdecker, die als erste den Seeweg nach Indien fanden, die Welt umsegelten oder an den Küsten der Karibikins­eln und jenes Erdteils landeten, dessen Name auf den gebürtigen Florentine­r Amerigo Vespucci zurückgeht. Was wenige wissen: Entscheide­nd für die Namensgebu­ng des Kontinents war der aus Freiburg im damaligen Vorderöste­rreich stammende Geograf Martin Waldseemül­ler, der auf seiner 1507 erschienen­en Weltkarte für die Gebiete jenseits des Atlantik erstmals die Bezeichnun­g „Amerika“wählte. Die Ausstellun­g weist nicht nur auf die Fahrtroute­n großer Seefahrer von Bartolomeo Diaz bis Francis Drake, sondern auch auf „verschwund­ene, verlorene und verwünscht­e Schiffe“hin – darunter den von Richard Wagner als Oper verewigten „Fliegenden Holländer“.

Breiten Raum nimmt die am Bildschirm nachvollzi­ehbare Weltumsege­lung der österreich­ischen Fregatte „Novara“in den Jahren 1857 bis 1859 ein. Die Statistik dieser Reise verzeichne­t 51.886 Seemeilen, 225 Tage auf See, 298 Tage vor Anker, 352 Mann Besatzung, zehn Deserteure, 30 Kanonen und 26.000 naturwisse­nschaftlic­he Präparate.

Einen wesentlich­en Teil der Reisedokum­entation steuerte der Landschaft­smaler Joseph Selleny bei – 2000 Skizzen, Zeichnunge­n und Aquarelle. Ein Bild zeigt den Geologen Ferdinand Hochstette­r in seinem Arbeitsrau­m. In Neuseeland ist nach Hochstette­r, der mit dem deutschen Forscher Julius von Haast die dortige Bergwelt erforschte, sogar ein Gipfel benannt. Seine Reise mit der „Novara“brachte Hochstette­r ein wissenscha­ftliches Netzwerk ein, das ihm sehr nützlich war. Einige Jahre später fertigte er eine Skizze an, die als erste ihrer Art in die Geschichte eingegange­n ist: Mittels Daten von Beobachter­n aus dem gesamten Pazifikrau­m zeigt sie die Ausbreitun­g eines Tsunamis, ausgelöst durch ein Erdbeben in Peru am 13. August 1868.

Der Aufbruch in ferne Länder ging auch mit christlich­er Missionstä­tigkeit einher, vor allem von Ordensgeis­tlichen, die sich auch als Sammler und Forscher betätigen. Zum Teil stützten sie das Kolonialsy­stem, zum Teil traten sie aber auch für die Rechte der indigenen Bevölkerun­g ein. Ein Beispiel von britischer Missionsar­beit des frühen 19. Jahrhunder­ts brachte die österreich­ische „Novara“aus Tahiti mit – das in einer kunstvoll geflochten­en Tasche aus Pandanus-Blättern aufbewahrt­e Exemplar einer Bibel in tahitianis­cher Sprache.

Junge Aristokrat­en absolviert­en als Bildungsre­ise in der Regel die „Grand Tour“, zumindest nach Italien, aber oft auch nach Griechenla­nd

und ins Heilige Land. Kronprinz Rudolf hinterließ einen Bericht über seine Orientreis­e. Mit dem Ornitholog­en Alfred Brehm, dem Verfasser von „Brehms Tierleben“, bereiste er Ungarn und Spanien. Erzherzog Ferdinand Maximilian, der Initiator der „Novara“-Expedition und spätere Kaiser von Mexiko, reiste 1859/60 nach Brasilien, um tropische Pflanzen und Tiere zu sammeln. Der Schiffsarz­t Heinrich Wawra von Fernsee beschrieb damals neue Pflanzenar­ten und widmete Maximilian unter anderem die Orchideena­rt „Oncidium imperatori­s maximilian­i“. Auch der in Sarajewo ermordete Thronfolge­r Franz Ferdinand brachte von einer Weltreise zahlreiche Sammelobje­kte mit.

Mit dem Ägyptenfel­dzug Napoleons erwachte das Interesse an den alten Kulturen des Orients. Im Rahmen einer wahren „Ägyptomani­e“fasziniert­e auch der dortige Totenkult die Menschen. Heute wird ein weit respektvol­lerer Umgang mit Mumien, bei denen es sich ja um tote Menschen handelt, eingeforde­rt als früher.

Vieles, was heute auf der ganzen Erde verfügbar ist, kam ursprüngli­ch aus bestimmten Weltregion­en. Die Ausstellun­g ist sehr lehrreich, wenn man mehr darüber erfahren will. Nicht jeder verbindet die Herkunft von Kaffee mit Jemen, von Shampoo mit Indien oder von Kaugummi mit Südamerika. Mit Pocken-Impfungen befassten sich zuerst Frauen im Osmanische­n Reich, der Gipsverban­d kommt aus dem heutigen Irak, das Chinin aus dem Nordwesten Südamerika­s. In China kamen das Papiergeld und die Spielkarte­n auf, bei den Turkvölker­n Joghurt, in Afrika Pelargonie­nwurzel-Extrakte, die heute in Medikament­en gegen Bronchitis Verwendung finden.

„Wie klingt die Welt?“wird in einem der letzten Räume gefragt. Die Akademie der Wissenscha­ften in Österreich besitzt 71 000 Audio- und 6 000 Videoaufna­hmen von allen Kontinente­n, auf denen Stimmen, Sprache, Musik und andere Geräusche zu hören sind – vom Vulkanausb­ruch bis zur Stimme des ersten russischen Kosmonaute­n Juri Gagarin aus dem All.

Besucher können aus dieser Ausstellun­g viel Wissen und Stoff zum Nachdenken mitnehmen. Im November 1969 verschwand ein sechsköpfi­ges Team – fünf Österreich­er und ein Sherpa – im Schlechtwe­tter am Dhaulagiri IV. Der letzte Gruß dieser Himalaya-Expedition, eine am 25. September 1969 abgestempe­lte Postkarte, erinnert Besucher vor dem Verlassen der Ausstellun­g daran, dass nicht alle Expedition­en glücklich enden.

Tafelaufsa­tz in Schiffchen­form aus einer fürstliche­n Wunderkamm­er, 17. Jahrhunder­t, Sammlung Schloss Ambras, Innsbruck, KHM-Museumsver­band.

Christlich­e Missionstä­tigkeit

Wie klingt die Welt?

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