Moderne Zeiten
Eine Ausstellung in Hamburg zeigt die Darstellung von Industrie in Malerei und Fotografie
Romantische Maler des frühen 19. Jahrhunderts wollten mit ihren Bildern die Wirklichkeit zu einem Ideal der Schöpfung erhöhen. Das Hässliche und Banale wurde vertuscht. Auch Armut und soziales Unrecht fanden in ihren illusorisch anmutenden Landschaften keinen Platz. Das änderte sich als Maler wie Adolph Menzel (18151905) begannen, die aufkommenden Errungenschaften der Industrialisierung bildlich festzuhalten. Sein in den 1870ern im Auftrag entstandenes „Eisenwalzwerk“gilt als das berühmteste Industriegemälde seiner Zeit. Der gebürtige Breslauer hatte darin die Herstellung von Eisenbahnschienen im schlesischen Königshütte, der damals – nach dem Ruhrgebiet – modernsten Industrieregion Deutschlands realitätsgetreu wiedergegeben. Zur Vorbereitung fertigte er rund hundert Zeichnungen und Gouachen an, die als Grundlage für das spätere Gemälde dienten. Darunter auch jene, die neben dem agierenden Arbeiter vor heißer Feuerglut den bürgerlich gekleideten Künstler selbst als aufmerksamen Beobachter der Szene zeigt.
Menzel ist einer von über hundert Künstlern und Künstlerinnen, deren Werke aktuell im Hamburger Bucerius Kunst Forum ausgestellt sind. Der Titel der Schau, „Moderne Zeiten“, verweist nicht von ungefähr auf den gleichnamigen Film von Charlie Chaplin, in dem dieser fortschrittliche industrielle Produktionsmethoden (Fließband) und Arbeitsweisen (Stempeluhr) auf die Schippe nimmt. Knapp 30 Gemälden von unter anderem Léon-Auguste Mellé, Heinrich Kley und Franz Radziwill, sind 174 Fotografien gegenübergestellt, die die Entwicklung der industriellen Revolution und ihrer künstlerischen Darstellung über den Zeitraum von 175 Jahren aufzeigen.
Dokumentation für die Industrie
Ausgangspunkt der chronologisch angelegten Schau bilden Arbeiten um 1850: die Darstellung von industriellen Arbeitsstätten sowie die zunehmende Mobilität fanden Einzug in Malerei und Fotografie. Neben dem Schiffsverkehr schritt die Industrialisierung auch auf den Schienen voran. So hatte Belgien bereits ab 1835 eine Dampfeisenbahn und bis Mitte des Jahrhunderts sogar das dichteste Eisenbahnnetz auf dem Kontinent. Aufgrund ihrer Wirklichkeitstreue begann sich die Fotografie neben der Malerei zu behaupten. So dokumentierten erste Fotografen im Auftrag den Bau von Eisenbahntrassen, Schiffen, spektakulären Brückenkonstruktionen oder Werksgeländen. Die Aufnahmen von Carl Ferdinand Stelzner (18051894) vom Altonaer Bahnhof von 1844 gehören zu den frühen fotografischen Zeugnissen neuester Ingenieurskunst. Dabei handelte es sich um Daguerreotypien – Lichtbilder auf versilberten Kupferplatten –, die nicht vervielfältigt werden konnten.
1861 gründete der Industrielle Alfred Krupp als erster Unternehmer weltweit eine werkseigene „Photographische Anstalt“. Er sah die Fotografie als ideales Medium, um Produkte und Produktionsprozesse zu dokumentieren und damit auf internationalen Industrieausstellungen zu werben. Daneben wurden die Aufnahmen in Alben hochrangigen Besuchern als Geschenk überreicht. Besonders eindrucksvoll waren die Panoramafotografien des Essener Gussstahlunternehmens mit einer Länge von bis zu acht Metern.
Parallel zur Fotografie entwickelte sich zwischen 1880 und 1930 das Genre der Industriemalerei. Im Auftrag von Großunternehmen versuchten Maler, die Arbeit in den riesigen Fabrikhallen der Stahl- oder Textilindustrie möglichst realistisch zu erfassen. Im Unterschied dazu setzten die Künstler der Neuen Sachlichkeit häufig gesellschaftskritische Akzente, nicht zuletzt befeuert durch die Schriften von Karl Marx, der das Verhältnis von Kapital und Arbeit erforschte und damit verbunden soziale Ungleichheit zu Papier brachte. Statt für malerischen Impressionismus oder heroische Industriemotive interessierten sie sich für die soziale Wirklichkeit. Arbeitsbedingungen, Massenarbeitslosigkeit und der Arbeiter als Individuum wurden zu zentralen Themen wie zum Beispiel in den Bildern von Conrad Felixmüller. Aber auch die Fotografen konzentrierten sich ab 1900 verstärkt darauf, in dem sie die prekären Lebensumstände der Arbeiterklasse etwa in New York und Berlin eindrucksvoll festhielten. Im Ruhrgebiet gewährte der Kölner Fotograf August Sander (18761964) in den 1920er Jahren mit seinen Fotos von Arbeiterwohnungen intime Einblicke in das Leben des Industrieproletariats.
Im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde die Industriefotografie auch zu einem Mittel der Propaganda. Das nationalsozialistische Deutschland und die Sowjetunion sahen darin die Chance, der Bevölkerung vor Augen zu führen, welche Massen von Waffen produziert wurden und wie heroisch Arbeit für das Vaterland war. Nach 1945 bestimmte die sogenannte „Subjektive Fotografie“die Industriedarstellung mit einer experimentell-abstrakten Bildsprache. Im Unterschied zu der Technikeuphorie der Vorkriegszeit schwang in den Fotografien nun Distanz zum Fortschritt mit. So fotografierte Otto Steinert (1915-1978) Industrielandschaften, die er durch wüstenartige Vordergründe oder Haldensilhouetten im Gegenlicht verfremdete. Als Saarbrücker Arzt und späterer Leiter der Fotoklasse an der Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken, galt er als wichtigster Streiter für die Anerkennung der künstlerischen Fotografie.
In den 1960/70er Jahren zeigten zahlreiche sozialkritische Fotoreportagen für Illustrierte unter anderem die Entfremdung durch monotone Arbeit. Daneben setzten Motive wie rauchende Schlote das Thema Umweltverschmutzung auf die politische Agenda. Zeitgleich wuchs mit dem Verschwinden traditioneller Industriebranchen und der Entstehung neuer Energieformen das künstlerische Interesse, eine dem Untergang geweihte Industriekultur fotografisch festzuhalten. Vorreiter auf diesem Gebiet war das Künstlerpaar Bernd (1931-2007) und Hilla (1934-2015) Becher, deren schwarz-weiße Werkserien von Fördertürmen, Kohlebunkern, Getreidesilos und Gasometern die
Rudolf Holtappel: Vor August-Thyssen-Hütte, Duisburg-Hamborn 1959, Ludwiggalerie Schloss Oberhausen.
Subjektive Fotografie
se heute größtenteils nicht mehr existenten Bauformen sachlich dokumentieren.
Seit den 1980er Jahren erwecken die ökologischen Folgen der Industrialisierung das fotografische Interesse. Tschernobyl und Fukushima, aber auch die Auswirkungen von Gentechnologie in der Landwirtschaft oder die Veränderung der Lebenswelt durch Automatisierung und Digitalisierung – wie bei Henrik Spohler, Thomas Struth und Andreas Gursky – finden den Weg in die Fotoateliers. Andere zeitgenössische Fotografen legen den Finger auf die Wunde. SebastiãoSalgados Foto von der Goldmine Serra Pelada in Brasilien (1986) sowie die Aufnahmen von Taslima Akhter vom Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013, bei dem 1135 Menschen starben, sind beste Belege für den Wandel unseres Planeten infolge von globaler Ausbeutung und Profitmaximierung.
Moderne Zeiten. Industrie im Blick von Malerei und Fotografie, bis 26. September, Bucerius Kunst Forum Hamburg, Alter Wall 12, 20457 Hamburg. www.buceriuskunstforum.de
Heinrich Kley: Die Krupp'schen Teufel, um 1912/13, LWL-Industriemuseum – Westfälisches Landesmuseum für Industriekultur.