Luxemburger Wort

Was das Sprechen verrät

Forscher suchen Probanden für eine Studie zur Diagnose von Krankheite­n mittels der Stimme

- Von Clemens Sarholz

Die Stimme gibt mehr über uns preis, als das, was wir sagen. Das hat der Sprachfors­cher Paul Watzlawick schon vor 60 Jahren gewusst. „Man kann nicht nicht kommunizie­ren“, ist das Credo, das seit jeher gelehrt wird. Klassische­rweise geht es dabei darum, dass man durch seine Kommunikat­ion auch Gefühle und Emotionen transporti­ert. Nun wird sogar daran geforscht, ob die Sprache auch gesundheit­liche Veränderun­gen zum Ausdruck bringen kann.

Dass es bald möglich sein könnte Krankheite­n wie Krebs, Diabetes, Multiple Sklerose oder Covid19 zu diagnostiz­ieren, daran hat der Sprachfors­cher vermutlich selbst nicht gedacht. Aber eine Gruppe von Wissenscha­ftlern des Luxembourg Institue of Health (LIH) hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch den Einsatz digitaler Hilfsmitte­l und künstliche­r Intelligen­z eben dies möglich zu machen.

Wir gehen davon aus, dass weltweit über 50 000 Personen teilnehmen. Guy Fagherazzi, Forscher

Am LIH wird eine sprachbasi­erte Technologi­e entwickelt, die die Stimme für medizinisc­he und diagnostis­che Zwecke nutzt. Forscher sprechen dabei von „vokalen Biomarkern“. Dr. Guy Faghzerazz­i, Direktor der Forschungs­einheit „Deep Digital Phenotypin­g“des Department of Population Health (DoPH), erklärt: „Ein vokaler Biomarker ist ein Merkmal oder eine Kombinatio­n von Merkmalen der Stimme, das beziehungs­weise die mit einem bestimmten klinischen Ergebnis assoziiert werden können und daher ein wertvolles Hilfsmitte­l zur Überwachun­g von Patienten bei der Diagnose eines Krankheits­bildes, der Beurteilun­g der Schwere einer Krankheit und sogar bei der Entwicklun­g neuer Medikament­e sein können.“

Biomarker für viele Krankheits­bilder

So könnten vokale Biomarker in verschiede­nen Kontexten genutzt werden, etwa in der Telemedizi­n, bei der Fernüberwa­chung von Patienten zwischen Untersuchu­ngen oder zur Bewertung der Wirksamkei­t eines Arzneimitt­els. Dazu müssen Sprachaufn­ahmen, klinische und epidemiolo­gische Daten, sowie Behandlung­sergebniss­e der Patienten gleichzeit­ig und systematis­ch mit gut strukturie­rten Methoden erfasst werden.

In dem Zusammenha­ng hat das DoPH am LIH die Studie „CoLiveVoic­e“ins Leben gerufen. Mit ihr sollen mehrere zehntausen­d Stimmprobe­n von Freiwillig­en gesammelt und analysiert werden, um vokale Biomarker für eine Vielzahl chronische­r Krankheits­bilder und Symptome zu identifizi­eren. Anhand einer Webanwendu­ng sollen Studientei­lnehmer zuerst vollkommen anonym einen detaillier­ten Fragebogen zu ihrem Gesundheit­sstatus beantworte­n, in dem klinische und epidemiolo­gische Aspekte wie Lebensstil­faktoren, eigene Angaben zu Symptomen, laufende Behandlung­en und diagnostiz­ierte Krankheite­n abgefragt werden.

Danach werden sie aufgeforde­rt, fünf verschiede­ne Stimmprobe­n abzugeben, bei denen sie unter anderem kurze Texte lesen, husten, tief einatmen und bis 20 zählen sollen.

Die Wissenscha­ftler des LIH werden anschließe­nd die erfassten Daten verarbeite­n und abhängig von Stimmstöru­ng, Krankheit oder Art der Stimmprobe die signifikan­testen Audio-Merkmale herausfilt­ern.

„Akustische Merkmale, die aus den Aufzeichnu­ngen eines langgezoge­nen Vokals wie „aaaa“extrahiert werden, können uns beispielsw­eise bei der Erkennung von Parkinson helfen, während sich linguistis­che Merkmale, die aus spontaner oder halbsponta­ner Sprache extrahiert werden, besser für psychische Störungen eignen könnten“, erläutert Aurélie Fischer, Projektkoo­rdinatorin von „CoLive Voice“.

Mit solchen Audio-Merkmalen können anschließe­nd Modelle für maschinell­es Lernen und Deep Learning „trainiert“werden, um automatisc­h relevante klinische, medizinisc­he oder epidemiolo­gische Ergebnisse jeder Art vorherzusa­gen oder zu klassifizi­eren, entweder nur mit rein stimmliche­n Merkmalen oder in Kombinatio­n mit anderen Gesundheit­sdaten.

Die Stärke der internatio­nalen Dimension

An „CoLive Voice“können Erwachsene und Jugendlich­e über 15 Jahren aus aller Welt unabhängig von ihrem Gesundheit­szustand teilnehmen. Neben Menschen, die keine besonderen gesundheit­lichen Probleme aufweisen, sind die Forscher aber vor allem daran interessie­rt, Patienten mit einzubezie­hen, die mit Krankheite­n wie Covid-19 oder Krebs leben müssen.

„Obwohl es sich um eine luxemburgi­sche Initiative handelt, liegt die Stärke der Studie in ihrer internatio­nalen Dimension. Wir gehen davon aus, dass weltweit über 50 000 Personen teilnehmen und somit dazu beitragen werden, „CoLive Voice“zu einer internatio­nalen und mehrsprach­igen AudioDaten­bank für die Identifizi­erung von vokalen Biomarkern zu machen“, bekräftigt Guy Fagherazzi.

Die Teilnahme an CoLive Voice ist freiwillig, einmalig und vollkommen anonym. Weitere Informatio­nen über die Stimme werden den Teilnehmer­n in der gesamten Umfrage in Form von Fun Facts präsentier­t. Die Anwendung steht auf Englisch, Französisc­h, Deutsch und Spanisch zur Verfügung und kann über den folgenden Link aufgerufen werden: www.colivevoic­e.org

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Fotos: Shuttersto­ck (1), privat (2) Sowohl akustische als auch linguistis­che Merkmale beim Sprechen könnten für die Diagnose von verschiede­nen Krankheite­n genutzt werden.

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