Der Impfbus kommt
Mit einer breit angelegten Kampagne möchte die Regierung die Impfquote beim Gesundheits- und Pflegepersonal erhöhen
Es ist eines von vielen Beispielen über den lamentablen Umgang der Mehrheitsparteien mit den Oppositionsparteien: Sven Clement (Piraten) hatte bei der Debatte über den Waringo-Bericht zum Infektionsgeschehen in den Alten- und Pflegeheimen im Parlament bedauert, dass zu wenige Beschäftigte aus dem Pflege- und Gesundheitssektor sich testen und impfen lassen. In einer Motion schlug er vor, das Personal nochmals schriftlich dazu einzuladen, sich doch noch impfen zu lassen und dass es beim Impfen vorgezogen werden sollte. Doch seine Motion wurde mit den Stimmen von DP, LSAP und Déi Gréng abgeschmettert. Die Begründung: Eine solche Kampagne sei am Laufen.
Es ist von Vorteil, wenn man sich am Arbeitsplatz impfen lassen kann. Anne-Marie Hanff, Anil
Das war am Dienstag vor zwei Wochen. Drei Tage später setzten Familienministerin Corinne Cahen (DP) und Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) sich nach Aussagen Cahens im Radio 100,7 zusammen, um zu erörtern, wie die Impfpartizipation beim Pflege- und Gesundheitspersonal erhöht werden könnte. Am Dienstag dieser Woche kam dann die offizielle Mitteilung: „Um weiterhin das Gesundheitspersonal dafür zu sensibilisieren, sich gegen Covid19 impfen zu lassen, haben die Familienund die Gesundheitsministerin eine zusätzliche Impfkampagne für alle Personen lanciert, die beruflich in Kontakt mit vulnerablen Menschen sind.”
Kampagne geht bis zum 10. August Nun können sich zwischen dem 28. Juli und dem 10. August Impfwillige ohne vorherige administrative Schritte, nahe am Arbeitsplatz und während flexibler Zeiten impfen lassen.
Das mobile Impfteam fährt mit seinem Bus mehrere Orte des Landes an. Anvisiert sind das angestellte Personal, das Personal von Subunternehmen, Ehrenamtliche, Praktikanten und Studenten, die zum Zeitpunkt der Impfungen in folgenden Strukturen aktiv sind: Wohnheime, Alters- und Pflegeheime, betreute Wohnstätten, Behindertenund Tagesstrukturen, Ateliers protégés und Pflegenetzwerke.
Das Angebot gilt auch für die Gesundheitsberufler in den Spitälern. Dafür werden in der Woche vom 26. bis 30. Juli Impfmissionen mobiler Impfteams von der Gesundheitsdirektion organisiert. Anvisiert ist das gesamte Verwaltungsund Pflegepersonal, das Personal von Subunternehmen, Praktikanten und Studenten sowie die freischaffenden Ärzte in den vier Krankenhauszentren (HRS, CHL,
CHEM und CHDN) sowie in den acht spezialisierten Zentren, wie das INCCI, das Rehazenter, das CHNP oder das Centre Baclesse. Das Personal im Haus Omega und im Domaine thermal in Mondorf kann sich anschließen, wenn das mobile Impfteam im Hospice civil in Hamm und im Atelier Yolande Coop in Mondorf vorbeikommt.
Impfung mit Janssen und Pfizer
In den Krankenhäusern wird das Vakzin Janssen (Johnson&Johnson) verimpft und in den Pflegestrukturen das von Pfizer. „Wenn jeder seinen Teil zum kollektiven Solidaritätsakt beiträgt, können wir das Virus besiegen”, schreiben die beiden Ministerinnen in der Pressemitteilung.
Die nun gestartete Impfkampagne ist eine Reaktion auf die Untersuchung in den Alten- und Pflegeheimen und die im Bericht formulierte Kritik an der Test- und Impfpolitik im Gesundheits- und Pflegesektor. Die Expertengruppe um Koordinator Jeannot Waringo machte unmissverständlich klar, dass sie kein Verständnis habe für die Entscheidung, keine Test- beziehungsweise Impfpflicht für Personen einzuführen, die mit Vulnerablen arbeiten.
In manchen Häusern lag die Impfquote beim Personal nur bei 30, 40 oder 50 Prozent, wie aus der gemeinsamen Antwort von Familienministerin Cahen und Gesundheitsministerin Lenert vom 18. Mai auf eine parlamentarische Frage des CSV-Abgeordneten Michel Wolter hervorgeht. Auch in den Pflegenetzwerken lag die Quote bei niedrigen 49 Prozent im Schnitt.
Waringo bezeichnete es angesichts der teilweise sehr schwachen Impfquoten als erschreckend, dass „Personen, die sich um die vulnerabelsten Menschen kümmern, sich nicht von sich aus testen lassen“und auch keine Testpflicht eingeführt worden sei. Spätestens nach der ersten Welle, so Waringo sinngemäß, hätte eine Testpflicht für das Personal bestehen müssen. Sie wurde aber erst vergangenen Juni eingeführt.
Santé gibt Zahlen ungern heraus
Die Impfquoten beim Personal lassen zu wünschen übrig. Das weiß auch die Regierung. Deshalb gibt sie präzise Zahlen nur ungern heraus, schon gar nicht aufgeschlüsselt nach Häusern. In der parlamentarischen Frage sind die Impfquoten nach Arbeitgebern aufgeführt, weil man verhindern möchte, dass die Häuser einzeln identifizierbar sind.
Auf die Impfquoten des Personals pro Haus angesprochen, hieß es gestern aus dem Gesundheitsministerium, die Daten seien nicht komplett, da das Ministerium nur über Daten zu in Luxemburg durchgeführten Impfungen verfüge. Bei den Besichtigungen im Rahmen des Waringo-Berichts aber habe sich herausgestellt, dass „eine relativ hohe Zahl an Grenzgängern“sich in ihrem Heimatland hätten impfen lassen, „weil sie dort zu einem bestimmten Zeitpunkt Pfizer verabreicht bekamen statt AstraZeneca“. Was eine „relativ hohe Zahl“konkret bedeutet, sagte das Ministerium nicht, erklärte aber, ein Update der Impfquoten sei in Ausarbeitung.
Die Vorsitzende der Vereinigung der Pflegekräfte (Anil), Anne-Marie Hanff, begrüßt die Impfkampagne und meinte gestern auf RTL, dass es „von Vorteil ist, wenn man sich direkt am Arbeitsplatz impfen lassen kann“. Sie bedauerte aber auch, dass im Bericht zu den Altenheimen nicht näher auf die Frage eingegangen worden sei, warum einzelne Häuser besser durch die Pandemie kamen als andere. Das war auch die Kritik des Virologen Prof. Dr. Claude Muller am Bericht. Er hatte in einem Meinungsbeitrag in dieser Zeitung („Waringo 2.0: Gefällig und ambitionslos“) gefordert, Risikofaktoren für hohe Inzidenzen quantitativ zu analysieren, und kritisiert, dass keine Sekundäranalysen durchgeführt wurden, um quantitative Zusammenhänge zu beleuchten. Ein wichtiger Faktor in dem Zusammenhang ist eben die Erfassung der Impfquoten pro Haus. Muller zufolge wäre es die Aufgabe der Arbeitsgruppe gewesen, Inzidenzzahlen von Häusern mit hoher und mit niedriger Impfrate statistisch zu vergleichen.