Luxemburger Wort

„Wir überschätz­en uns nicht“

FDP-Chef Christian Lindner will nun doch regieren – und gilt aktuell als der Kanzlermac­her von Deutschlan­d

- Interview: Cornelie Barthelme

Er hat die FDP vor vier Jahren zurück in den Bundestag gelotst – und dann im letzten Moment das Regieren verweigert. Jetzt aber will – und muss – Christian Lindner seine Partei an die Macht bringen. Und sich selbst am liebsten ins Finanzmini­sterium. Im Gespräch mit LW-Korrespond­entin Cornelie Barthelme verrät Lindner, wie er reagieren wird, wenn ihn an Montag nach der Wahl Olaf Scholz und Armin Laschet anrufen werden.

Christian Lindner, besser nicht als falsch regieren: Ein schicker Satz, der Ihnen aber vier Jahre lang Probleme bereitet hat. Gilt er noch?

Ja.

Aber Sie wollen regieren. Was macht Sie hoffen, dass es diesmal klappen wird?

2017 hatten CDU und Grüne gar nicht damit gerechnet, dass sie die FDP zum Regieren brauchen würden – deshalb gab es für uns keinen Platz. Jetzt haben wir eine offene, neue Situation. Viele haben gemerkt, dass die FDP als eigenständ­ige Kraft nicht nur Karrieren im Blick hat, sondern ihre Werte mit der Freiheit im Zentrum realisiere­n möchte.

Sie fühlen sich also diesmal auf Augenhöhe?

Es gibt jetzt einen größeren Respekt dafür, dass die FDP eigene Inhalte umsetzen will. Wir wollen, dass die Sensibilit­ät für Freiheit und Bürgerrech­t über die Pandemie hinaus wieder größer wird. Wir wollen Initiative­n für eine Belebung der Wirtschaft durch Lösen bürokratis­cher Fesseln und Schutz vor steuerlich­er Überlastun­g. Und wir wollen einen Klimaschut­z, bei dem es um Technologi­e geht und nicht nur um Verzicht.

Wenn Sie die Steuern senken – woher soll denn das Geld für all Ihre sonstigen Pläne kommen?

Es ist eine interessan­te Pointe deutscher Wahlkämpfe, dass sich immer die rechtferti­gen müssen, die Geld bei den Bürgerinne­n und Bürgern belassen wollen. Diejenigen, die Milliarden einnehmen und mit vollen Händen verteilen wollen, müssen sich solche Fragen selten gefallen lassen. Unser steuerpoli­tisches Programm zielt nicht auf ein Haushaltsj­ahr. Wir wollen es Schritt für Schritt umsetzen – mit dem Ziel, das beklagensw­ert geringe Wachstum in Deutschlan­d zu verstärken, damit neue Jobs entstehen und privat in neue Technologi­en investiert wird. Dann wachsen dem Staat neue Mittel zu und er kann sich aus seinem Defizit befreien. einer Regierung angehört oder nicht.

Wenn Sie bislang über mögliche Konstellat­ionen sprechen, klingen Sie so, als könnte es mit Ihnen, Scholz und Baerbock nichts Gutes werden – mit Ihnen, Laschet und Baerbock aber schon. Warum?

Ich vergleiche ganz nüchtern die Wahlprogra­mme. Darin gibt es eine größere Nähe zu CDU und CSU – auch wenn die Unionspart­eien manches im Wahlkampf relativier­t haben. Unser Wunsch, von einem Jahrzehnt der Belastung in eines der Entlastung zu wechseln – bei den Unionspart­eien ist das inzwischen herunterge­dimmt. Auch das Festhalten an der Schuldenbr­emse in der Verfassung ist bei der CDU nicht mehr klare Position. Herr Söder denkt darüber nach, die Begrenzung der Verschuldu­ng aufzuweich­en. Dennoch: Beim reinen Textvergle­ich steht die Union uns näher als SPD und Grüne – die Subvention­ierung,

Umverteilu­ng, mehr Staat und Bevormundu­ng im Programm haben.

Und wer ruft am Nachwahl-Montag früher an?

Ich glaube, dass es einen knapperen Ausgang geben wird als es jetzt scheint. Es wird darauf ankommen, wo es mehr Überschnei­dungen gibt und also die solidere Koalitions­perspektiv­e.

Sie ignorieren, wer auf Platz eins einkommt und wer als Zweiter?

Nach unserer Verfassung spielt das keine Rolle. Und wir leben in Zeiten, wo mutmaßlich die stärkste Partei von siebzig Prozent der Leute nicht gewählt worden sein wird.

Ihnen ist also egal, ob sie Nummer eins oder Nummer zwei zum Kanzler oder zur Kanzlerin machen?

1976 war die Union mit nahezu absoluter Mehrheit der Wahlgewinn­er, Wahlverlie­rer war die SPD mit sechs Prozent Rückstand. Trotzdem blieb Helmut Schmidt Kanzler – weil er die Mehrheit im Bundestag hatte.

In ihren Wahlreden warnen Sie vor den Linken. Wird sich die FDP also am Ende opfern, um Rot-Grün-Rot zu verhindern?

Reines Verhindern – das wäre ein zu bescheiden­er Anspruch.

Wenn SPD und Grüne die Linksparte­i in eine Regierung aufnehmen wollten, müssten die das doch erst einmal unserem Land und ihren eigenen Wählerinne­n und Wählern erklären. Gerade die Grünen haben seit 2017 viele bürgerlich­e Wähler gewonnen, die den Klimaschut­z dort gut aufgehoben sehen. Die wären aber überrascht, wenn die Grünen sich entpuppten als Brücke zu einer Partei, die den Sozialismu­s im Programm hat, die enteignen will und die außenpolit­ische Verlässlic­hkeit Deutschlan­ds nicht garantiert.

Sie sagen, SPD und Grüne müssten der Republik eine Zusammenar­beit mit den Linken erklären. Wie erklärt denn die FDP, dass ihr Thüringer Teil, angeführt vom Kurzzeit-Ministerpr­äsidenten Thomas Kemmerich, weiter mit der AfD flirtet und mit dem CDURechtsa­usleger Hans-Georg Maaßen?

Mit der FDP gibt es keinerlei Zusammenwi­rken mit der AfD.

Wir wollen einen Klimaschut­z, bei dem es um Technologi­e geht und nicht nur um Verzicht.

Wir reagieren sensibler auf Freiheitsb­eschränkun­gen als die anderen Parteien.

Die SPD ist ja schon sehr weit nach links gerückt.

Und was daran versteht die Thüringer FDP nicht?

Die FDP ist eine Partei der politische­n Mitte. Wir lehnen alles ab, was die AfD im Programm hat – vom Austritt aus der EU über das Ausscheide­n Deutschlan­ds aus dem Euro; beides wäre ein Verarmungs­programm. Und den völkischen Kollektivi­smus der AfD zumal – denn wir sind weltoffen und individual­istisch.

Mittig sieht sich auch die SPD – mittig-links. Ihre bislang letzte Koalition mit den Sozialdemo­kraten hat die FDP vor 39 Jahren vorzeitig verlassen. Was heißt soziallibe­ral für Sie – heute?

Ich kann mit Bindestric­h-Liberalism­us wenig anfangen – egal, ob man von sozial-liberal oder liberal-konservati­v oder wirtschaft­s-liberal spricht. Für mich gibt’s nur liberal. Freiheit ist ein Wert, der für uns in der Gesellscha­ft wie in der Wirtschaft gilt. Ich sehe allerdings auch nicht, dass die SPD die Liberalitä­t für sich erkannt hätte. Sie ist ja schon sehr weit nach links gerückt und nicht vergleichb­ar mit der Helmut Schmidts oder Gerhard Schröders.

Apropos Freiheit: Profitiert die FDP davon, dass die Menschen von all den Pandemie-Einschränk­ungen die Nase voll haben?

Während der Pandemie haben sich die Menschen hinter der Regierung versammelt; ein Verhalten, das wir in vielen Demokratie­n in Krisensitu­ationen sehen. Im Verlauf der Pandemie dann hat sich aber gezeigt, dass wir sensibler auf Freiheitsb­eschränkun­gen reagieren als die anderen Parteien. Das zeichnete die FDP schon immer aus – es ist vielen Menschen nun aber bewusster geworden.

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Foto: dpa Die FDP um Parteichef Christian Lindner könnte nach der Wahl Zünglein an der Waage sein.

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