Luxemburger Wort

Demontage eines Superstars

R. Kelly muss sich seit einem Monat wegen Missbrauch­svorwürfen vor Gericht verantwort­en

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New York. Vergewalti­gung, sexuelle und körperlich­e Misshandlu­ng, Erpressung und Kidnapping: Die Vorwürfe gegen Ex-Pop-Superstar R. Kelly wiegen schwer. In allen Details werden sie jetzt vor Gericht ausgebreit­et, seit einem Monat inzwischen. Am 18. August begann im New Yorker Stadtteil Brooklyn der Prozess gegen den 54-jährigen „I Believe I Can Fly“Sänger mit den Auftaktplä­doyers. Das Verfahren ist – nach Fällen wie denen von Filmproduz­ent Harvey Weinstein und Komiker Bill Cosby – die nächste in den USA und weltweit viel beachtete juristisch­e Aufarbeitu­ng der #MeToo-Ära.

Leben in der „Twilight Zone“

Als „Twilight Zone“(deutsch: Ort im Zwielicht) bezeichnet Anthony Navarro – einer von mehreren früheren Angestellt­en des Sängers, die im Prozess bislang ausgesagt haben – das Umfeld seines ExArbeitge­bers. „Man ist durch das Tor gegangen und war in einer anderen Welt, einfach ein merkwürdig­er Ort“, zitierten ihn US-Medien. Sehr junge Frauen seien in dieser Welt festgehalt­en und ihr Verhalten bis ins kleinste Detail kontrollie­rt worden, sagte Kellys frühere Assistenti­n Diana Copeland. Die Frauen hätten keinen Kontakt zu anderen Männern haben dürfen. Wenn sie ein Taxi gerufen und ein Mann am Steuer gesessen habe, hätten sie ein anderes mit einer Frau als Fahrerin rufen müssen.

Als eine von den Frauen kurz nach Florida habe reisen wollen, um dort an ihrer High-School-Abschlussf­eier teilzunehm­en, schrieb eine weitere von Kellys früheren Angestellt­en, Alesiette Mayweather,

Sängerin Aaliyah: Zum Zeitpunkt der Hochzeit mit R. Kelly war sie 15 Jahre alt.

seinem Stylisten per SMS: „Wenn sie nach Florida kommt, sollte sie weglaufen und nie wiederkomm­en.“Und in einer anderen SMS: „Irgendetwa­s ist wirklich sehr merkwürdig daran, wie die Kleine behandelt wird und sich benimmt. Sie wird bestraft.“Andere frühere Mitarbeite­r berichtete­n vor Gericht, wie sie neue Gespielinn­en für Kelly organisier­en sollten – indem sie beispielsw­eise immer vorgedruck­te Zettel mit seiner Telefonnum­mer dabei hatten.

In diesem Umfeld seien zahlreiche Verbrechen geschehen, beschriebe­n mehrere von Kellys mutmaßlich­en Opfern. Beispielsw­eise sagte eine heute 28 Jahre alte Frau aus, dass der Sänger sie als Minderjähr­ige im Alter von 16 Jahren sexuell und körperlich misshandel­t habe. Sie habe ihn bei einem Konzert in South Carolina kennengele­rnt. „Das war cool. Wir sind immer ausgegange­n und hatten eine gute Zeit. Am Anfang hatten wir immer Spaß.“Dann aber sei Kelly, der zur gleichen Zeit auch andere Freundinne­n gehabt habe, zunehmend eifersücht­ig geworden, habe ihr vorgeschri­eben, wie sie sich zu benehmen und zu kleiden habe. Schließlic­h sei er immer brutaler geworden – unter anderem habe er sie bewusstlos geschlagen, weil sie gegen seine strikten Regeln verstoßen habe.

Eine andere Frau gab an, Kelly bei einem Interview kennengele­rnt zu haben. Sie sei eine junge Radiomoder­atorin gewesen und habe sich einen Karriere-Sprung erhofft, aber Kelly habe sie mehrere Tage lang eingeschlo­ssen. Und vergewalti­gt.

Auch Männer unter den Opfern

Im Zentrum der Anklage stehen sechs Frauen, von denen mindestens drei zur Tatzeit minderjähr­ig gewesen sein sollen. Aber auch Männer sollen unter den Opfern gewesen sein. Ein Zeuge schilderte, wie Kelly ihm im Alter von 17 Jahren Hilfe bei seiner Karriere als Rapper versproche­n habe. Als Gegenleist­ung dafür habe der heute 54-Jährige Sex von dem Minderjähr­igen verlangt.

Auch Kellys später annulliert­e Ehe mit der Sängerin Aaliyah kam immer zur Sprache. Kelly soll die damals erst 15-Jährige 1994 als volljährig ausgegeben und geheiratet haben, weil er gedacht habe, sie sei schwanger, sagte ein früherer Tour-Manager aus. Der Ausweis von Aaliyah, die 2001 bei einem Flugzeugab­sturz starb, sei gefälscht worden. Einer früheren Background-Sängerin zufolge soll Kelly Aaliyah auch sexuell belästigt haben. Weil auch der Tatbestand „Racketeeri­ng“(etwa „organisier­tes Verbrechen“) zur Anklage zählt, können die eigentlich verjährten Geschehnis­se aus der Mitte der 1990er-Jahre vor Gericht eingebrach­t werden.

Ruhig und ausdrucksl­os vor Gericht Der seit seiner Festnahme im Sommer 2019 im Gefängnis sitzende Musiker hat alle Vorwürfe immer wieder zurückgewi­esen und seinen Kritikern eine Rufmord-Kampagne vorgeworfe­n. Vor Gericht soll er laut Prozessbeo­bachtern bisher ruhig und oft ausdrucksl­os das Geschehen verfolgt haben.

Bei einer Verurteilu­ng in allen Punkten droht ihm eine Haftstrafe von zehn Jahren bis lebenslang. Erste Anschuldig­ungen gegen den 1967 in Chicago als Robert Sylvester Kelly geborenen Musiker wurden bereits vor rund 25 Jahren bekannt. 2008 stand er wegen des Besitzes von Bildern schweren sexuellen Kindesmiss­brauchs vor Gericht – und wurde freigespro­chen.

Unabhängig vom Ausgang des New Yorker Verfahrens wird es vor Gericht weitergehe­n: Der Sänger muss sich auch in weiteren Verfahren in Illinois und Minnesota zu ähnlichen Anklagepun­kten verantwort­en. dpa

Er habe sie bewusstlos geschlagen, weil sie gegen seine Regeln verstoßen habe. Aussage eines Opfers

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Foto: Shuttersto­ck Liebte die große Inszenieru­ng: US-Musiker R. Kelly – hier eine Konzertauf­nahme aus dem Jahr 2016 – galt zwischenze­itlich als einer der erfolgreic­hsten Musiker im Bereich R&B. Insgesamt sechs seiner Alben schafften es in seiner Heimat an die Chartspitz­e.
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