Luxemburger Wort

Nach sieben Jahren Stille läutet die Glocke von Mossul wieder

Im Sommer 2014 wurden die 35 000 Christen aus der nordirakis­chen Millionens­tadt von der Terrormili­z Islamische­r Staat vertrieben

- Von Michael Wrase (Limassol)

Mehr als 200 Gläubige hatten sich versammelt, als am Samstagnac­hmittag Pater Pios Affas die Glocke der Kirche von Mar Tuma in Bewegung brachte. „Sieben Jahre der Stille und des Schweigens sind jetzt vorüber“, verkündete der chaldäisch­e Geistliche, als das erste Läuten ertönte. Lauter Jubel brach aus. Einige der Anwesenden stimmten aber auch stille Gebete an, um ihre Freude darüber zum Ausdruck zu bringen, dass in Mossul „wieder das Herz des Christentu­ms schlägt“.

„Meine Freude ist unbeschrei­blich“, jubelte Nidaa Abdel Ahad. Die 40-jährige Lehrerin war aus dem 130 Kilometer entfernten Arbil gekommen, um bei der Einweihung der 285 Kilogramm schweren Glocke, die im Libanon gegossen wurde, dabei zu sein.

Fast genau sieben Jahre ist es her, seitdem die Terrorkomm­andos des sogenannte­n „Islamische­n Staat“die 35 000 Christen in der nordirakis­chen Millionenm­etropole vor die Wahl gestellt hatten, Mossul innerhalb von 24 Stunden zu verlassen oder eine monatliche Sondersteu­er für Nicht-Muslime (Dschizja) zu zahlen. Sonst würden sie hingericht­et.

Massenfluc­ht aus Mossul

In Mossul setzte daraufhin eine Massenfluc­ht ein. Die meisten Christen brachten sich in den angrenzend­en kurdischen Provinzen in Sicherheit. Andere schlugen sich nach Bagdad durch. Ihr Hab und Gut mussten sie zurücklass­en. Zum ersten Mal in der Geschichte des Irak, erklärte zwei Tage später der chaldäisch­e Patriarch Louis Sako, gebe es in Mossul keine Christen mehr.

Ihre Häuser und Wohnungen waren von der Terrormili­z beschlagna­hmt und in „Volkseigen­tum“überführt worden. Die meisten der über 30 Kirchen der Großstadt am Tigris wurden verwüstet oder in Moscheen umgewandel­t. Christlich­e Pilgerstät­ten wie das Grab der Propheten Jona ließ der IS mit Vorschlagh­ämmern und Baggern zerstören.

Auch der weithin sichtbare Glockentur­m der Kirche von Mar Tuma im Zentrum von Mossul, die irakische Christen auch „Unsere Liebe Frau der Stunde“nennen, war von den IS-Terroriste­n schwer beschädigt, aber nicht völlig zerstört worden. Das Ende des 19. Jahrhunder­ts erbaute Gotteshaus ist eine Schenkung von Kaiserin Eugenie, der Frau von Napoleon III. Mit dem Wiederaufb­au der „Stundenkir­che“, der erst in zwei Jahren abgeschlos­sen sein soll, wurde im Herbst 2018 begonnen.

Zwei Jahre zuvor war es der von den USA angeführte­n „Internatio­nalen Koalition“gelungen, Mossul zu befreien und damit das Ende des von Abu Bakr al Baghdadi in Mossul proklamier­ten sogenannte­n „Kalifats“einzuleite­n.

Bis zum Beginn der amerikanis­chen Interventi­on zum Sturz von Saddam Hussein im März 2003 lebten im Irak rund eine Million Christen. Nach dem Sturz des Diktators kam es zu einem Bürgerkrie­g, in dessen Verlauf islamistis­che Gruppierun­gen die christlich­e Minderheit gezielt terrorisie­rten. Bis heute haben mehr als 700 000 irakische Christen ihr Land verlassen.

Die aus Mossul vertrieben­en Christen gelten als „interne Vertrieben­e“oder Binnenflüc­htlinge, um die sich jetzt vor allem die irakischen Kurden kümmern. Diese sind mit der Bewältigun­g der humanitäre­n Katastroph­e im NordIrak allerdings überforder­t und auf westliche Hilfe angewiesen.

Um den Exodus der irakischen Christen zu stoppen, war Papst Franziskus im März dieses Jahres in den Irak gereist. Bei einer Messe in Mossul gedachte er der Opfer des IS-Terrors. „Heute bekräftige­n wir nichtsdest­otrotz erneut unsere Überzeugun­g, dass die Geschwiste­rlichkeit stärker ist als der Brudermord“, sagte der Papst bei seinem Besuch vor mehr als 20 000 Gläubigen.

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