Nach sieben Jahren Stille läutet die Glocke von Mossul wieder
Im Sommer 2014 wurden die 35 000 Christen aus der nordirakischen Millionenstadt von der Terrormiliz Islamischer Staat vertrieben
Mehr als 200 Gläubige hatten sich versammelt, als am Samstagnachmittag Pater Pios Affas die Glocke der Kirche von Mar Tuma in Bewegung brachte. „Sieben Jahre der Stille und des Schweigens sind jetzt vorüber“, verkündete der chaldäische Geistliche, als das erste Läuten ertönte. Lauter Jubel brach aus. Einige der Anwesenden stimmten aber auch stille Gebete an, um ihre Freude darüber zum Ausdruck zu bringen, dass in Mossul „wieder das Herz des Christentums schlägt“.
„Meine Freude ist unbeschreiblich“, jubelte Nidaa Abdel Ahad. Die 40-jährige Lehrerin war aus dem 130 Kilometer entfernten Arbil gekommen, um bei der Einweihung der 285 Kilogramm schweren Glocke, die im Libanon gegossen wurde, dabei zu sein.
Fast genau sieben Jahre ist es her, seitdem die Terrorkommandos des sogenannten „Islamischen Staat“die 35 000 Christen in der nordirakischen Millionenmetropole vor die Wahl gestellt hatten, Mossul innerhalb von 24 Stunden zu verlassen oder eine monatliche Sondersteuer für Nicht-Muslime (Dschizja) zu zahlen. Sonst würden sie hingerichtet.
Massenflucht aus Mossul
In Mossul setzte daraufhin eine Massenflucht ein. Die meisten Christen brachten sich in den angrenzenden kurdischen Provinzen in Sicherheit. Andere schlugen sich nach Bagdad durch. Ihr Hab und Gut mussten sie zurücklassen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Irak, erklärte zwei Tage später der chaldäische Patriarch Louis Sako, gebe es in Mossul keine Christen mehr.
Ihre Häuser und Wohnungen waren von der Terrormiliz beschlagnahmt und in „Volkseigentum“überführt worden. Die meisten der über 30 Kirchen der Großstadt am Tigris wurden verwüstet oder in Moscheen umgewandelt. Christliche Pilgerstätten wie das Grab der Propheten Jona ließ der IS mit Vorschlaghämmern und Baggern zerstören.
Auch der weithin sichtbare Glockenturm der Kirche von Mar Tuma im Zentrum von Mossul, die irakische Christen auch „Unsere Liebe Frau der Stunde“nennen, war von den IS-Terroristen schwer beschädigt, aber nicht völlig zerstört worden. Das Ende des 19. Jahrhunderts erbaute Gotteshaus ist eine Schenkung von Kaiserin Eugenie, der Frau von Napoleon III. Mit dem Wiederaufbau der „Stundenkirche“, der erst in zwei Jahren abgeschlossen sein soll, wurde im Herbst 2018 begonnen.
Zwei Jahre zuvor war es der von den USA angeführten „Internationalen Koalition“gelungen, Mossul zu befreien und damit das Ende des von Abu Bakr al Baghdadi in Mossul proklamierten sogenannten „Kalifats“einzuleiten.
Bis zum Beginn der amerikanischen Intervention zum Sturz von Saddam Hussein im März 2003 lebten im Irak rund eine Million Christen. Nach dem Sturz des Diktators kam es zu einem Bürgerkrieg, in dessen Verlauf islamistische Gruppierungen die christliche Minderheit gezielt terrorisierten. Bis heute haben mehr als 700 000 irakische Christen ihr Land verlassen.
Die aus Mossul vertriebenen Christen gelten als „interne Vertriebene“oder Binnenflüchtlinge, um die sich jetzt vor allem die irakischen Kurden kümmern. Diese sind mit der Bewältigung der humanitären Katastrophe im NordIrak allerdings überfordert und auf westliche Hilfe angewiesen.
Um den Exodus der irakischen Christen zu stoppen, war Papst Franziskus im März dieses Jahres in den Irak gereist. Bei einer Messe in Mossul gedachte er der Opfer des IS-Terrors. „Heute bekräftigen wir nichtsdestotrotz erneut unsere Überzeugung, dass die Geschwisterlichkeit stärker ist als der Brudermord“, sagte der Papst bei seinem Besuch vor mehr als 20 000 Gläubigen.