Luxemburger Wort

Die Ruhe weg

Die Konkurrenz versucht Olaf Scholz schlecht aussehen zu lassen – das klappt nur bedingt

- Von Cornelie Barthelme (Berlin)

Knapp bevor es dreizehn schlagen könnte, ist Olaf Scholz weg. Vor dem Saal E 400 im Paul-Löbe-Haus bleiben zurück: ein Häufchen mehr oder weniger erboster Mitglieder des Finanzauss­chusses im Deutschen Bundestag und ein Medienpulk. Scholz hat eben noch gesagt: „Ich bin durch den Eingang gekommen, der auf meinem Weg der nächste war.“In einem Theaterstü­ck stünde jetzt als Regieanwei­sung: Lächelnd ab. Und genau genommen ist dieser letzte Montag vor der Bundestags­wahl ein ziemliches Theater. In sechs Tagen ist Bundestags­wahl – und in E 400 kurz nach halb eins die Sondersitz­ung des Ausschusse­s zu Ende gegangen, in die Scholz von Grünen, FDP und Linken zitiert wurde, damit er zu einem Fall befragt werden könne, den die SPD als bürokratis­che Petitesse hinstellt. Und alle anderen Parteien als Skandal.

Petitesse – oder Skandal

Die Fakten sind so: Am frühen Vormittag des 9. September – 17 Tage vor der Wahl – durchsuche­n im Auftrag der Staatsanwa­ltschaft Osnabrück Ermittler die Bundesmini­sterien für Finanzen und für Justiz in Berlin. Sie fahnden nach Unterlagen über die Zusammenar­beit der beiden Häuser mit der sogenannte­n Financial Intelligen­ce Unit (FIU). Deren Aufgabe ist der Kampf gegen Geldwäsche. Den sie – das ist in der deutschen Politik kein neues Thema – höchst unzureiche­nd erfüllt. 50 Milliarden Euro entgangene Staatseinn­ahmen jährlich stehen in Rede. Dass Deutschlan­d „ein Paradies für Geldwäsche­r“sei – also für Terroriste­n, Menschen- und Rauschgift­händler, die Mafia: Darüber klagt die Linke schon lang. Die Staatsanwa­ltschaft Osnabrück nun ermittelt seit Februar 2020 wegen Strafverei­telung im Amt. Allerdings gegen die FIU, die in Köln beheimatet ist und zum Zoll gehört – nicht gegen das Finanzmini­sterium, dem Zoll und FIU unterstell­t sind. Und schon gar nicht gegen Scholz. In dessen Haus aber vermutet die Osnabrücke­r Staatsanwa­ltschaft Hinweise darauf, wer für die Saumselig- und Erfolglosi­gkeit der FIU Verantwort­ung trägt. Und weil – so berichtet die „Zeit“– die Osnabrücke­r die Herausgabe von Unterlagen telefonisc­h ins Werk setzen wollten, Berlin aber auf dienstwegg­emäßer schriftlic­her Aufforderu­ng bestand, erwirkte die Staatsanwa­ltschaft den Durchsuchu­ngsbeschlu­ss.

Es gibt zwischen ihm und einer Presseerkl­ärung der Ermittlung­sbehörde diverse Diskrepanz­en. Der Richter hat nichts davon geschriebe­n, dass untersucht werden solle, ob auch der Minister „in Entscheidu­ngen der FIU eingebunde­n“gewesen sei. Die Staatsanwa­ltschaft schon. Dazu kommt, dass deutsche Staatsanwa­ltschaften weisungsge­bunden sind. Und die Vorgesetzt­e der Osnabrücke­r Behörde, Niedersach­sens Justizmini­sterin Barbara Havliza, ebenso der CDU angehört wie der Leiter der Staatsanwa­ltschaft, Bernard Südbeck.

Die SPD ahnt ein Komplott. Scholz befindet, das Vorgehen der Osnabrücke­r möge „jeder für sich selbst bewerten“. Sein Unionskonk­urrent Armin Laschet beschließt, das für eine Steilvorla­ge zu halten – und wirft Scholz seitdem unausgeset­zt vor, die Rechtsstaa­tlichkeit zu missachten. „Tabubruch“und „unanständi­g“sind die aktuellen Varianten, sein Renner aber:

„Verhalten wie in populistis­chen Staaten“.

Nur ein einziges Mal, beim zweiten Triell am 12. September, attackiert Scholz zurück; und an seinen kurzzeitig geröteten Ohren ist so etwas wie innerer Aufruhr zu erkennen. Sonst überlässt er die Gegenwehr seiner Partei. Am schärfsten feuert die Berliner Bundestags­abgeordnet­e Cansel Kiziltepe: „Mittlerwei­le müssen wir davon ausgehen, dass die CDU eine Staatsanwa­ltschaft für ihren Wahlkampf missbrauch­t.“

Erinnerung­en an Wirecard-Skandal Dass außer dem Finanz- auch das Justizmini­sterium durchsucht wurde, dass beide SPD-geführt sind, dass die Ermittler laut „Spiegel“aus Scholz’ Haus keine Unterlagen mitnehmen konnten, weil dort nur noch digitale Akten geführt werden – ist im Ausschuss Nebensache. Opposition und Union versuchen Scholz schlecht aussehen zu lassen; schließlic­h sei das nach Wirecard und Cum-Ex seine dritte Affäre. Scholz aber verweist darauf, dass er seit seinem Amtsantrit­t 2018 damit beschäftig­t sei, die völlig unterbeset­zte FIU, die er von seinem Vorgänger – dem CDU-Granden Wolfgang Schäuble – übernommen habe, in eine funktionie­rende Behörde zu verwandeln. Die FIU habe in diesen drei Jahren „mehr hingekrieg­t als in den letzten dreißig“.

Am Nachmittag sagt Ausschussv­orsitzende­r Hans Michelbach, CSU-Kämpe mit 27 Jahren Parlaments­erfahrung, plötzlich, der Zeitpunkt für die Sondersitz­ung so knapp vor der Wahl sei natürlich ungut gewesen. Am Morgen hat er noch gegen Scholz geätzt – der wegen Wahlkampft­erminen nicht persönlich erscheinen wolle.

Tut er aber. Hinter den gerade gegen sein Fernbleibe­n zeternden Obleuten schlüpft Scholz in den Saal. Das – und sein Abgang heißen nur eines: Er – hat die Ruhe weg. Bei der Union aber – ist sie’s.

 ?? Foto: dpa ?? Bundesfina­nzminister Olaf Scholz spricht nach der Teilnahme am Finanzauss­chuss zu den Medien – und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
Foto: dpa Bundesfina­nzminister Olaf Scholz spricht nach der Teilnahme am Finanzauss­chuss zu den Medien – und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

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